Mit Sicherheit!
Ein grundlegendes Bedürfnis von Menschen, insbesondere von Kindern, ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Damit ist zweitrangig der Schutz vor äußeren Einflüssen und Gefahren gemeint. Vielmehr geht es um das bedeutende innere Gefühl sicher zu sein. Sicher zu sein fühlt sich ruhig an, geborgen und entspannt. Kleine und große Menschen, die sich sicher fühlen, haben Vertrauen in sich selbst, andere Menschen und das Leben. Sie haben auch das ruhige Wissen, dass sie mit herausfordernden Situationen umgehen können und stellen sich ihnen mit Leichtigkeit. Nichts kann einen Menschen davor bewahren, jemals verletzt (seelisch oder körperlich) zu werden. Innere Sicherheit führt jedoch zu einer gesunden Widerstandsfähigkeit, die den Umgang und die Bewältigung von Verletzungen begünstigt.
Erstes Lebensjahr
Der Grundstein für dieses elementare Grundgefühl wird im ersten
Lebensjahr gelegt. Für Babys ist bedeutend in dieser Zeit, alltäglich
die Erfahrung zu machen, dass sich andere Menschen feinfühlig und
verlässlich um seine Bedürfnisse (nach Nähe, Trost, Nahrung, Pflege,
Schutz und Wärmeregulation) kümmern. Ist diese Fürsorge liebevoll und in
der Intensität darauf abgestimmt, was das Kind braucht, entwickelt sich
eine sichere Bindungsbeziehung zu den Menschen, die sich um das Kind
kümmern. Das Kind verinnerlicht: „Ich bin wichtig. Zwischenmenschliche
Beziehungen sind wohltuend. Menschen helfen einander. Das Leben fühlt
sich gut an. Ich bin sicher“.

Kleinkindzeit
Ausgehend von dieser sicheren Basis beginnt das Kleinkind die Welt zu
erkunden. Im Wechselspiel zwischen Bindung und Autonomie erweitert sich
sein Radius. Mit einem gesunden Gefahrenbewusstsein, einer auf das Kind
abgestimmten Ja-Umgebung und klaren Grenzen stecken Eltern den äußeren
sicheren Rahmen ab, der sich natürlich mit der Entwicklung des Kindes
weiterentwickelt. Weiterhin ist die Beantwortung seiner Bedürfnisse
wichtig, wenngleich nicht jeder Wunsch erfüllt wird. Die elterliche
Botschaft ist „Du bekommst alles was du brauchst, aber nicht alles was
du willst.“ Kurzer zeitlicher Aufschub von Bedürfnissen wird möglicher,
„Ich kann kurz warten. Das fühlt sich nicht gut an, aber ich schaffe
das“. Das Kind entdeckt sich selbst und erkennt, dass es eine
eigenständige Person ist. Der eigene Wille wird wach und es kommt zu
ersten Konflikten. Sicherheit bedeutet in diesem Zusammenhang auch, die
Erfahrung zu machen, mit allen Gefühlslagen und auch bei
unterschiedlichen Vorstellungen angenommen zu werden. „Es ist sicher ich
selbst zu sein (ich muss mich nicht verbiegen).“ Und auch bei der
Gefühlsregulation benötigt das Kind noch lange Zeit die Unterstützung
seiner haltgebenden Eltern „Gefühle fühlen sich groß an, sind aber nicht
gefährlich. Sie sind Hinweise für mich und ich lerne sie zu
regulieren.“ Auch Beziehungen werden erkundet und es ist wichtig, dass
das Kind alltäglich spürt „Auch wenn wir mal nicht einer Meinung sind
oder ich etwas falsch mache, meine Eltern sind immer für mich da. Unsere
Verbindung ist sicher und stabil“.

Kindheit
Im
Hinblick auf das Sicherheitsempfinden brauchen Kinder mit zunehmendem
Alter neben der Beantwortung ihrer Bedürfnisse haltgebende Strukturen,
Verlässlichkeit und sanftes Ermutigen zu lernen ohne Druck. Sie erleben
draußen in der Welt große Abenteuer und sehen sich in verschiedenen
Kontexten mit großen Herausforderungen (Schule, Freundeskreis, Hobbies,
Entwicklung) konfrontiert. Sicherheit geben ihnen Eltern, indem sie ihre
Kinder bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen und
ihnen einen stabilen sicheren Hafen bieten. Unterstützen bedeutet nicht,
ihnen die Herausforderungen abzunehmen. Unterstützen bedeutet da zu
sein, zuzuhören, die Kinder ernst zu nehmen und wenn nötig gemeinsam
Lösungen zu überlegen. In Fällen von Gewalt und anhaltenden
überfordernden Situationen müssen Eltern natürlich schützend eingreifen.
Sicherheit vermitteln Eltern ihren Kindern außerdem, indem sie ihre
Selbstsicherheit stärken. Dazu ist notwendig, dass sie die zunehmende
Ablösung, ihre wachsende Unabhängigkeit und ihr einzigartiges Interesse,
die Welt zu erkunden und dabei auch Risiken einzugehen, befürworten und
unterstützen. Mögliche eigene Ängste müssen Eltern für sich selbst
reflektieren und lösen, um sie nicht auf ihre Kinder zu übertragen.
Jugend
Während der Jugend ist weiterhin der sichere Hafen von Bedeutung, in
dem die Jugendlichen zur Ruhe kommen können. Dabei ist nicht nur das
Zuhause an sich oder das eigene Zimmer gemeint, in das sich die
Jugendlichen zurückziehen können. Auch die klaren, stabilen Beziehungen
zu den Eltern geben Sicherheit und bieten Raum für hilfreichen Austausch
und sichere Reibung. Sie setzen sich mit sich selbst und anderen
auseinander und fragen dabei „Ist es sicher und okay ich selbst zu
sein?“. Die Welt der Jugendlichen wackelt innen und außen, was auch an
ihrem Verhalten und ihren Gefühlsstürmen zu erkennen ist. Wichtig ist,
dass Eltern diesen mit ruhigem Herzen standhalten und nicht
mitschwimmen. Sie sind die Leuchttürme, auf die sich die jungen Menschen
verlassen können. Gleichzeitig müssen Eltern befürwortendes Verständnis
für die Verschiebung in den Beziehungen weg von ihnen als
Bezugspersonen hin in Richtung Peergroup und romantische Liebe
Verständnis haben und Raum dafür geben.

Damit Eltern das sich wandelnde Sicherheitsbedürfnis ihrer Kinder im Laufe der Zeit gut beantworten können ohne kontrollierend oder vernachlässigend zu handeln, müssen sie ganz bei sich sein und Stress tolerieren können. Sie müssen aushalten können, dass Menschen sehr verschieden sind und dass das mitunter auch auf ihre Kinder zutrifft. Sie müssen selbst gute Selbstregulationsfähigkeiten mitbringen, um ihren Kindern angesichts alltäglicher Herausforderungen und Gefahren in Ruhe begegnen und ihnen Sicherheit vermitteln zu können. Sind sie selbst mit kleinen Stolpersteinen, zwischenmenschlichen Konflikten und menschlicher Fehlerhaftigkeit überfordert und fühlen sich stark verunsichert, übertragen sie möglicherweise diese Ängste und Umgehensweisen auf ihre Kinder. Diese wiederum begegnen dann unter Umständen der Außenwelt, Beziehungen und Fehlern auch mit Angst. Sie haben dann oft Schwierigkeiten, sich selbst und anderen zu vertrauen und vermeiden sich einzulassen, was wiederum Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben kann. Wenn Eltern bei sich wahrnehmen, dass es ihnen schwer fällt, ihren Kindern Sicherheit zu vermitteln, dürfen sie sich auf den Weg machen und wieder lernen zu vertrauen: sich selbst, ihren Kindern, dem Leben und der Welt.
Hanna Articus
Räume für Menschen
