Margarete Ostheimer GmbH
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Ein Gespräch mit Pater Anselm Grün und Dr. Jan-Uwe Rogge
Zur immer mehr um sich greifenden Verunsicherung von Eltern tragen nicht zuletzt einschlägige Buchtitel wie „Die Mutter des Erfolgs – Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ von Amy Chua bei. Der Benediktinerpater Dr. Anselm Grün und der Familienberater Dr. Jan-Uwe Rogge haben sich dieses Themas angenommen und weisen erfrischend andere Wege, wie ieErziehung mit Herz gelingen kann, nämlich durch eine neue Spiritualität in den Familien.
„Spiritualität in der Erziehung entlastet Eltern. Sie gibt ihnen das Vertrauen, dass sie aus einer Quelle schöpfen, die weit mehr ist als das Wissen um Dinge. Spiritualität will Mütter und Väter mit ihrer eigenen Seele in Berührung bringen und ihnen Mut machen, ihrer eigenen spirituellen Erfahrung zu trauen und diese auch ihren Kindern weiterzugeben“, sagt der Benediktinerpater und erfolgreiche Buchautor Pater Anselm Grün.
Anselm Grün, Jahrgang 1945, Doktor der Theologie, trat 1964 in den Benediktinerorden ein. Er verwaltet die Abtei Münsterschwarzach. Außerdem ist er geistlicher Berater und Kursleiter für Meditation, tiefenpsychologische Auslegung von Träumen, Fasten und Kontemplation. Seit Jahren schreibt er mit großem Erfolg Bücher.
„Spiritualität wirkt wie ein Kompass, der hilft, sich in der Unübersichtlichkeit des Lebens zurechtzufinden. Spiritualität schreibt nichts vor. Jeder muss seinen Weg finden. Sie entlastet, weil sie einen Pfad jenseits von technokratischer und materieller Betrachtung von Erziehung weist“, sagt der Familien- und Kommunikationsberater und erfolgreiche Buchautor Jan-Uwe Rogge.
Jan-Uwe Rogge, Jahrgang 1947, Doktor der Verhaltens- und Sozialwissenschaften, war nach seinem Studium am Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen tätig. Seit 1985 arbeitet er als Familien- und Kommunikationsberater in eigener Praxis in der Nähe von Hamburg und führt im In- und Ausland Seminare für Eltern und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte durch. Viele Bestseller zu Erziehungsfragen sind von ihm erschienen.
Was sind für Sie wichtige Zutaten für Spiritualität im Alltag?
Grün: Dankbarkeit und Demut zum Beispiel. Wer Kinder hat, der sollte demütig sein, sich als Mensch mit Fehlern und Schwächen, aber auch Kompetenzen und Stärken begreifen. Die Begleitung der Kinder ins Leben erfordert eine solche Demut. Ich ermutige Eltern oft, den Gedanken loszulassen, alles sei plan- und machbar. Erziehung ist nämlich wie eine Kunst zu sehen. An manchen Tagen kann ich mit dem Ergebnis einverstanden sein, an anderen Tagen herrscht Chaos. Kinder zu akzeptieren, wenn sie anderes tun, als man es wünscht, fällt schwer. Aber es ist wichtig und notwendig. Dies zeigt uns das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lukas 15, 11-32). Der Vater in dieser Geschichte ist demütig. Er hat sich als Mensch mit Fehlern und Schwächen erlebt, aber auch als einer, der in der Krise seine Fähigkeiten und Stärken auslotet. Und der seine Kinder nicht gleich behandelt, sondern versucht, ihnen je nach Lebenssituation gerecht zu werden.
Rogge: Die Bereitschaft der Eltern, nicht perfekt zu sein, ist für mich eine wichtige Zutat für Spiritualität. Kinder wollen geerdete Eltern, die zu sich und ihrem Handeln stehen, die wissen, dass sie nicht in allem perfekt sein können. Wer den perfekten Weg will, endet in einer Sackgasse. Eltern hingegen, die sich selber sagen ‚Ich tue das mir Mögliche. Und das ist genug!’ richten ihr erzieherisches Handeln an ihren eigenen Kompetenzen und Stärken aus. Sich in seiner Unvollkommenheit zu akzeptieren, baut Selbstbewusstsein und ein Selbstwertgefühl auf. Ich weiß, was ich habe, spüre meine Stärken, kann damit meine Schwächen und Unzulänglichkeiten akzeptieren und gehe menschenfreundlich mit mir selbst und meinen Kindern um.
Was bedeutet das Heranwachsen eines Kindes in spiritueller Sicht?
Grün: Wachsen ist keine stete Vorwärtsentwicklung. Aber es gibt keine Reise ohne Mühen. Reisen hat mit Abschiednehmen und Ankommen zu tun, mit einer Vielfalt an Gefühlen, mit Momenten des Glücks und der Euphorie, mit absoluter Traurigkeit und völliger Verzweiflung. Kinder möchten verbunden sein – mit ihrem eigenen Selbst, ihren Mitmenschen und der Umwelt, der Natur und einem höheren Wesen. Verbundenheit mit sich selbst bildet den einen Grundstein spiritueller Erfahrung. Doch jeder intellektuellen Erfahrung geht eine körperliche voraus. Für Kinder stellen körperliche, kognitiv-abstrakte und spirituelle Erfahrungen eine Einheit dar. Da gibt es aber auch noch die geheimnisvollen Wege nach innen, in das Reich der Fantasie und Magie: ein Land, zu dem nur das Kind einen Schlüssel hat. Umso wunderbarer ist es, wenn die Kleinen von ihren Vorstellungen über diese magische Welt erzählen. Dann wollen sie keine Belehrungen, sondern Erwachsene, die ihnen zuhören. Kinder sind keine leeren Gefäße, die wir mit unserem Wissen füllen müssen. Sie sind ein Füllhorn ganz eigener, einzigartiger Erfahrungen. Eine spirituelle Erziehung nimmt das ernst und achtet diese besondere kindliche Fähigkeit.
Rogge: Kinder zu achten, ihnen zuzuhören, sie ausreden zu lassen, ihre Gefühle ernst zu nehmen und sie nicht klein zu reden: Dies sind wichtige Regeln im Umgang von Eltern mit ihrem Kind – und in höchstem Maße spirituell. Sie vermittelt dem Kind: Du bist einzigartig und wertvoll für uns. Die Vermittlung einer spirituellen Haltung funktioniert aber nicht über das Reden. Sie muss gelebt, nicht ‚vorgelabert’ werden. Eine spirituelle Haltung ist aufgehoben in einem Familienklima, das von Wertschätzung geprägt ist – und in Ritualen, die Gemeinsamkeit und Geborgenheit zulassen.
Eltern sagen oft, sie wollten immer nur das Beste für ihr Kind. Ist da nicht die Gefahr groß, nur noch um das eigene Kind zu kreisen?
Grün: Für viele Eltern stehen das Kind und die allumfassende Fürsorge an allererster Stelle. Die eigenen Bedürfnisse und Wünsche werden hintangestellt, eigene Grenzen nicht gespürt und gezogen. Grenzenlose Zuliebe und Zuneigung, völliges Aufgehen in der Erziehung eines Kindes haben zu tun mit einer Aufgabe der eigenen Person, des eigenen Selbst. Man mutet sich zu viel zu, ist ständig für andere und kaum für sich selbst da: einer, mit dem man alles machen kann. Dahinter steckt das Gefühl, immer und ständig gebraucht zu werden, unentbehrlich zu sein. Man vernachlässigt sich, nimmt sich selbst nicht mehr wahr. Wer Kinder achten und respektieren will, muss lernen, sich selber ernst zu nehmen und zu achten. Eine zentrale spirituelle Erziehungshaltung dar: Nur wer sich selber liebt, zu sich selber steht, sich in seiner ganzen Person akzeptieren kann, nimmt andere an, steht zu anderen, vermag sie zu lieben. Die folgenden spirituellen Tugenden werden sowohl dem Kind- als auch dem Erziehenden gerecht: dem Kind vertrauen schenken, es nicht über behüten und damit unselbständig machen; das Kind ermutigen, es nicht entmutigen und bevormunden; mit dem Kind Geduld haben, es nicht beschleunigen und verplanen; das Kind annehmen und ihm nicht Rollen zuschreiben und es damit einengen; gelassen sein und sich vom Perfektionismus verabschieden.
Rogge: Ein überbehütender Erziehungsstil hält Kinder klein, macht sie gefühlsmäßig, aber auch intellektuell abhängig von erwachsenen Bezugspersonen. Eltern machen sich ständig Sorgen: ‚Hoffentlich geht’s meinen Kindern gut!’ Und deshalb machen sich diese Kinder auch Sorgen: ‚Ich möchte, dass es meinen Eltern gut geht.’ Die Folge ist ein überangepasstes Verhalten der Kinder. So werden nicht Urvertrauen, stabile Bindungen oder eine positiv erlebte Auseinandersetzung mit Grenzen und Normen ausgebildet, sondern Zögerlichkeiten und Abhängigkeiten. Verwöhnung geht häufig mit einem überbehütenden Erziehungsstil einher, verbunden mit einem hohen Maß an Kontrolle. Eltern sehen und spüren alles, nehmen dem Kind jede Aufgabe und Herausforderung sofort ab. Frustrationen werden nicht zugelassen, jeder Wunsch augenblicklich erfüllt. Kinder wollen aber kein Schlaraffenland, sondern Eltern, die ihnen eigene Wege zumuten, die sie andererseits aber in den Arm nehmen und Trost spenden wenn es nötig ist. Sie brauchen aber auch Frustrationen, Herausforderungen, weil sie nur darüber zu selbstbewussten und zufriedenen Persönlichkeiten werden.
Kinderseelen sind verletzlich. Worauf müssen Eltern besonders acht geben?
Grün: Die tiefste Verletzung, die Eltern ihren Kindern zufügen können, ist, es in seiner Einmaligkeit lächerlich zu machen. Es wird in das Bild hineingezwängt, das wir uns von ihm machen – und so gezwungen, sich anzupassen und das ursprüngliche Gefühl für seine Einzigartigkeit zu verleugnen. Eine andere Gefahr geht von Eltern aus, die ihre Kinder vergöttern. Wenn das Kind etwas Originelles oder auch ganz Gewöhnliches tut, dann erzählen sie es überall herum und meinen, ihr Kind sei außergewöhnlich. Sie umgeben es so mit dem Fluidum des Überirdischen, des Hochbegabten. Doch dann können Eltern diesem Kind nicht mehr gerecht werden. Sie beten es gleichsam an und können keine partnerschaftliche Beziehung zu ihm aufbauen.
Rogge: Kinder und Jugendliche, die den gewohnten Hafen verlassen und sich den Stürmen des Lebens stellen, brauchen, wie es der Psychoanalytiker David Winnicott benannt hat, Übergangsobjekte. Dies sind Symbole, Gegenstände, Rituale, die helfen, Autonomie und Eigenständigkeit auszuhalten. Es mag ungewöhnlich klingen, von Gott als einem Übergangsobjekt zu reden. Aber in einer Zeit, in der personale Bezüge manchmal brüchig oder unsicher werden, gewinnen symbolische Bindungen an Bedeutung. Denn sie sind immer und überall da. Gott als Ansporn, als Herausforderung – aber auch als Trost, als Sicherheit: Dies brauchen Kinder, wenn sie hinausziehen in die Welt.
Wie können Eltern in der Erziehung ihrer Kinder aus dem Glauben schöpfen?
Grün: Der Glaube an Gott kann eine Entlastung bei der Erziehung bedeuten: Ich leiste das, was in meiner Hand liegt und vertraue darauf, dass dieses Handeln gesegnet ist – auch wenn ich mal einen Fehler mache. Indem Eltern an den guten Kern im Kind glauben, helfen sie ihm, das Gute, das Einmalige in sich zu entwickeln. Kinder spüren sehr schnell, ob ihre Eltern ihnen vertrauen und an ihre Fähigkeiten glauben. An das Kind zu glauben, heißt auch, darauf zu hören, was Gott mir durch dieses Kind sagen möchte. Was ist die Botschaft dieses Kindes an mich? Solche Fragen sind gerade bei schwierigen Kindern wichtig.
Rogge: Im Lied ‚Hänschen klein’ marschiert der Kleine mit Stock und Hut los – voller Vertrauen in seinen Körper, in seine Fähigkeit, sich auf andere einzulassen. Aber das ist nur die halbe Miete. Der Stock und der Hut haben spirituelle Qualitäten. Sie symbolisieren den Kontakt zu einem höheren, geistigen Wesen, das phantastische Kräfte und magische Energien bereitstellt. Auch der Weg zum Nordpol fängt mit dem ersten Schritt an, dann folgt ein nächster dann ein dritter. So entwickelt sich eine positive Einstellung zum Leben – verbunden mit der Gewissheit, Schwierigkeiten gemeistert zu haben.
Welche Rolle spielen Rituale bei einer spirituellen Erziehung?
Grün: Rituale geben Orientierung und vertreiben Ängste. Mit Hilfe des Gute-Nacht-Rituals können Kinder ihre Angst vor der Nacht, vor schlimmen Träumen überwinden. Es vermittelt Sicherheit und Geborgenheit. Typisch: Kinder wollen oft immer wieder die gleichen Märchen hören, die gleichen Gebete sprechen. Das gibt ihnen Sicherheit und Heimat. Sie wohnen gleichsam in den Ritualen und fühlen sich darin zu Hause. Rituale haben etwas Magisches, und Magie ist der Versuch, das Wirken Gottes handfest zu erfahren. Früher haben die Menschen einander gern eine gesegnete Medaille mitgegeben. Man trug sie am Hals und vertraute darauf, dass man so vor Gefahren geschützt ist. Wir aufgeklärten Menschen denken, das sei Magie. Aber in Wirklichkeit steckt das Bedürfnis dahinter, auf diese Weise Gottes Hilfe handfest erfahren zu dürfen.
Rogge: Wichtig sind auch Schwellenrituale, etwa wenn ich das Haus verlasse oder wieder heimkomme. Was mich draußen beschäftigt hat, soll mich nicht auch noch zu Hause begleiten. Kinder haben ein Gespür für solche Schwellenrituale. Sie möchten begrüßt und in den Arm genommen werden, wenn sie nach Hause kommen. Und sie möchten, dass ihre Eltern dann ganz da sind und nicht noch mit ihren Gedanken bei der Arbeit. Rituale schließen und öffnen eine Tür. Viele Eltern aber kommen nach Hause, ohne die Tür der Arbeit geschlossen zu haben. Sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes im Durchzug. Doch das tut der Seele nicht gut. Kinder spüren das sofort und werden leicht unruhig. Eltern reagieren dann oft genervt, es entsteht ein Teufelskreis. Rituale haben aber noch eine andere Wirkung: In ihnen werden Gefühle ausgedrückt und Beziehungen vertieft. Es entsteht eine Familienidentität. Wenn Familien noch Rituale haben, dann spüren die Kinder: Wir leben nicht einfach dahin, wir haben eine Kultur. Und wer bei uns eingeladen wird, der hat Anteil an unserer Kultur.
Pater Anselm und Herr Rogge, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Jette Lindholm für unsere Redaktion
Anselm Grün / Jan-Uwe Rogge: Kinder fragen nach Gott.
Wie spirituelle Erziehung Familien stärkt
Glaubt man gängigen Schlagzeilen, steckt Erziehung in der Krise. Im selben Atemzug wird sie als Technik propagiert und Eltern weisgemacht, alles sei machbar, wenn man nur die richtigen Ratschläge befolgt. Aber viele Eltern spüren, dass ihnen das im Alltag nicht weiterhilft. Pater Anselm Grün, der erfolgreichste christliche Autor weltweit, und Jan-Uwe Rogge, Deutschlands bekanntester Erziehungsberater, weisen Wege, wie Erziehung mit Herz, Verstand und Zuversicht gelingen kann. So kommen zwei Grundauffassungen zusammen: Anselm Grüns Überzeugung von der Unvollkommenheit als Lebensprinzip und Jan-Uwe Rogges Haltung, dass es eine richtige Erziehung nicht geben kann. Denn Eltern können in einer Zeit, die von dem Wunsch geprägt ist, alles perfekt zu machen, ihren Kindern nur dann Halt geben und ihnen innere Werte vermitteln, wenn sie sich als Menschen mit Schwächen und Fehlern begreifen. Die Autoren wenden sich gegen die Vorstellung von technischer Machbarkeit in der Erziehung und erläutern, wie diese mit Herz, Verstand und Zuversicht gelingt. Es geht darum, was Spiritualität für das Familienleben bewirken kann. Und es geht in diesem herausragenden Buch um die Balance des Lebens, die starke Persönlichkeiten hervorbringt.
256 Seiten, mit Schutzumschlag, Rowohlt Verlag
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