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Jo-Jacqueline Eckardt: Scheidung - und die Kinder?

So können Eltern ihrem Kind die Zeit der Trennung erleichtern

"Kinder müssen durch eine Scheidung keinen Schaden nehmen, wenn sie weiterhin Liebe und Unterstützung, Offenheit und Ehrlichkeit von beiden Elternteilen erfahren. Wichtig ist vor allem in der Phase der Trennung das Festhalten an lieben Gewohnheiten und Ritualen. Diese bilden ein Gerüst, das Kindern in unsicheren Zeiten Halt und Geborgenheit gibt“, sagt die Heilpraktikerin für Psychotherapie und Buchautorin.

Dr. Jo-Jacqueline Eckardt, Jahrgang 1961, ist Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Autorin von Büchern zu den Themen ADHS, Mobbing, Scheidung, Trauer und Trauma. Sie lebt in Berlin und arbeitet als Eltern-, Mobbing- und Trauerberaterin.

 

Leiden schon Babys unter der Trennung der Eltern?

Für ein Baby ist es nicht so wichtig, ob es in der vertrauten Umgebung bleibt oder nicht, solange die vertraute Bezugsperson weiterhin verlässlich zur Verfügung steht. Aber auch der andere Elternteil sollte das Kleine regelmäßig besuchen, so dass später tatsächlich eine Sorge zu gleichen Teilen möglich wird. Das größte Problem von Trennungsbabys ist, dass die Eltern plötzlich so abgelenkt, gestresst oder depressiv sind. Wenn Babys selbst Stresssymptome entwickeln, dann meist, weil sie durch die Stimmung der Eltern tief verunsichert sind. Diese Symptome können sich in Schlaf- oder Essstörungen, häufigem Weinen oder Ängstlichkeit äußern. Wichtig ist, dem Baby viel verlässliche Aufmerksamkeit zu schenken. So viel Routine wie möglich hilft dem Kind, Halt zu finden. Dazu gehören auch regelmäßige Schlaf- und Essenszeiten.

 

Wie geht es Kleinkindern in einer solchen Situation?

Auch sie brauchen wie Babys eine Hauptbezugsperson und die Fürsorge und Geborgenheit, die sie gewohnt sind. Die Tatsache, dass ein Elternteil sich aus dem Haushalt zurückzieht und weniger verfügbar ist, muss kein Trauma sein. Viele Kinder leben mit Eltern, von denen einer aus Arbeitsgrünen während der Woche in einer anderen Stadt wohnt. Oder die Großeltern verbringen einige Wochen im Haus und gehen dann bis zu einem späteren Besuch wieder fort. Da diese Besuche aber nicht mit Streit und Drama verbunden sind, werden sie als natürlicher Teil des Lebens verstanden. Schwierig wird es für Kleinkinder erst, wenn es viele Spannungen zu Hause gibt, wenn ein Elternteil sich abwendet oder wenn das Kind sich nicht mehr geborgen fühlt. Dem Kind sind ganz andere Dinge wichtig, nämlich Antworten auf Fragen wie: Was wird anders? Wer kümmert sich um mich? Wo wohnen wir? Und – ganz wichtig: Haben Mama und Papa mich genauso lieb wie sonst?

 

Wie geht es Schulkindern bei der Trennung der Eltern?

Tatsächlich haben Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren die meisten Schwierigkeiten mit der Trennung der Eltern. Wenn zu Hause die Atmosphäre gespannt ist und das Kind sich nicht mehr sicher behütet und geborgen fühlt, kann die eigentliche Trennung eine Erleichterung bringen. Dies ist natürlich nur der Fall, wenn Spannungen und Streitigkeiten zwischen den Eltern aufhören und das Kind nicht etwa in einen Loyalitätskonflikt gezogen wird. Wichtig: Beide Eltern sollten dem Kind die gleichen Erklärungen geben und zeigen, dass sie weiterhin zu ihm stehen. Der gemeinsame Ansatz verhindert, dass Kinder von den Eltern unterschiedliche Dinge hören, dadurch verunsichert werden und nicht wissen, wem sie glauben sollen. Sie fühlen sich dann unter Druck gesetzt, sich auf eine Seite zu schlagen.

Was sollten Eltern ihrem Kind erklären?

Sie müssen nicht die ganze Wahrheit sagen, aber was die Eltern sagen, soll wahr und nicht vorgetäuscht sein. Mutter und Vater sollten keine falschen Versprechungen machen und Schuldzuweisungen verhindern, mit denen sie den anderen Elternteil schlecht machen. Ziel eines solchen Gespräches ist es, das Kind auf die bevorstehenden Veränderungen vorzubereiten. Wenn Kinder das Thema wechseln, haben sie erst einmal genug gehört. Eltern sollten das Gespräch dann beenden. Wichtig: Ein Kind braucht auch die Möglichkeit, mit einem anderen vertrauten Erwachsenen oder verständnisvollen Außenstehenden über die Situation und seine Gefühle zu sprechen. Es gibt auch Gesprächsrunden für betroffene Kinder, die oft von Kirchen oder Erziehungsberatungsstellen angeboten werden.

 

Welche Reaktionen von Kindern sind bei einer Trennung der Eltern normal?

Zuweilen fallen Kinder in bereits überwundene Verhaltensweisen zurück, wenn sie sich verunsichert fühlen und unter Stress stehen. Schulkinder verhalten sich wie Kleinkinder, lutschen am Daumen und nässen wieder ein. Kleinkinder verhalten sich wie Babys, möchten wieder Brei und Nuckelflasche. Eltern sollten ihrem Kind diesen tröstenden Rückfall in ein Stadium erlauben, in dem es sich sicherer gefühlt hat. Keine Sorge: Das Kind wird nach einiger Zeit den Rückwärts-Schritt wieder aufholen. Besonders kleine Kinder entwickeln häufig Trennungsängste. Sie sind sehr anhänglich und können sich morgens im Kindergarten nicht von Mama oder Papa trennen. Das Kind hat erfahren, dass das Leben unberechenbar ist. Diese Verunsicherung löst eine Angstreaktion aus. Eltern können ihr Kind durch Verständnis und liebevolles Umsorgen fähig machen, sich auf Umbrüche einzustellen und dabei das Vertrauen in sich selbst und in die Welt nicht zu verlieren.

 

Wie zeigen sich tiefer greifende Veränderungen bei Kindern?

Manche Kinder wirken sehr niedergeschlagen. Sie haben wenig Interesse an Dingen, für die sie sich vorher begeistern konnten. Sie weinen häufiger und leiden nicht selten unter Ess- oder Schlafstörungen. Sie brauchen dann besonders das Mitgefühl von Mama und Papa: „Das ist eine ganz schön schwere Zeit für dich, was?“ Völlig falsch wären Aufforderungen, endlich mal wieder zu lachen oder sich zusammenzureißen. Wenn Eltern ihr Kind nämlich dazu bringen, gute Laune an den Tag zu legen, die es nicht wirklich fühlt, wird es die Trauer tief vergraben, wo sie größeren Schaden anrichten kann. Trauerarbeit und Rituale helfen bei der Verarbeitung von Verlusten. Je besser Kinder über ihre Gefühle reden können, je mehr Ausdrucksmöglichkeiten sie dafür haben und diese in sich und anderen auch erkennen können, umso geringer ist die Gefahr, dass sie depressiv werden. Trennungskinder brauchen einen geregelten Tagesablauf. Er gibt ihnen Struktur und Sicherheit. Wichtig sind konkrete Zukunftspläne, in die das Kind mit einbezogen wird. Je besser ein Kind sich seine Zukunft vorstellen kann, umso besser geht es ihm.

 

Was hilft Kindern darüber hinaus, das Trauma der Scheidung gefühlsmäßig zu verarbeiten?

Kinder brauchen ein Ventil für ihre unverarbeiteten Gefühle. Je nach Alter sollten sie die Möglichkeit haben, ihre Gefühle durch Malen, Schreiben oder Spielen auszuleben. Dabei können Gefühle ausgedrückt werden, die dem Kind oft gar nicht bewusst sind. Eltern könnten zum Beispiel behutsam nachfragen, wenn ihr Kind etwas gemalt hat, das seine Trauer ausdrückt: „Ich finde das Bild ziemlich düster. Und ich habe fast ein bisschen Angst. Kannst du mir erklären, was du da gemalt hast?“ Oder beim Spiel: „Wenn du den bösen Räuber spielst, habe ich das Gefühl, du hast richtige Wut im Bauch. Ist der Räuber so wütend?“ Ein anderer Weg, an die Gefühle heranzukommen, ohne direkt über sie zu reden, sind Erzählungen und Märchen. Im Märchen wird die Botschaft auf einer symbolischen Ebene vermittelt, ohne dass das Kind damit überfordert wird.

 

Wie gelingt der Abschied von dem, was nie wieder so sein wird wie früher?

Bei der Bewältigung von Gefühlen sind Rituale sehr hilfreich. Es ist wichtig innezuhalten und zu überlegen, was positiv war an der zurückliegenden Zeit. Wenn die vergangenen Jahre für die Paarbeziehung nur Horror waren, dann muss das Kind daraus schließen, dass es selbst ein Teil dieses Horrors war. Vielleicht hilft es den Eltern selber auch, wenn sie die Jahre vor der Trennung Revue passieren lassen und sich an die guten Momente erinnern. Indem Mutter und Vater differenzieren, sind sie gleichzeitig ihrem Kind ein großes Vorbild. Denn Kinder müssen lernen, dass das Gute und das Schlechte manchmal Hand in Hand gehen. Wer nicht differenzieren kann und nur schwarz oder weiß sieht ohne die dazwischen liegenden Schattierungen, der wird es als Erwachsener schwer haben. Menschen mit Wahrnehmungs- oder Persönlichkeitsstörungen beurteilen ihre Umwelt oft ohne jede Fähigkeit der Differenzierung. Dinge oder Personen werden entweder hochgejubelt oder verdammt. Es ist ein Zeichen von mentaler Gesundheit, wenn man in seiner Wut oder Enttäuschung dennoch die guten Erinnerungen bestehen lassen kann. Ziel dieser Erinnerungen ist es, dem Kind zu vermitteln: Ich muss meine guten Erinnerungen nicht aufgeben. Ich bin wertvoll, und meine Eltern empfinden mich als Geschenk. Sie erinnern sich gern an die Zeit, als ich klein war. Es gibt nicht nur „schwarz und weiß“. Manche Dinge können „sowohl als auch“ sein.

Manchmal suchen Kinder die Schuld bei sich selbst. Wie können Eltern da helfen?

In ihrer ich-zentrierten Welt denken Kinder öfter, dass sie etwas damit zu tun haben, wenn Mama und Papa auseinander gehen. Oft bekommen Eltern gar nicht mit, wie ihre Kinder die familiären Entwicklungen interpretieren. Typische Gedanken von Kindern sind: „Wenn meine Eltern mich lieben würden, blieben sie zusammen.“ „Wenn ich nicht so böse gewesen wäre, würden sich meine Eltern nicht trennen.“ „Es fing an, seitdem ich nicht mehr so gut in der Schule bin.“ „Meine Eltern trennen sich, weil sie immer wegen mir gestritten haben.“ Wichtig ist, dem Kind zu verstehen zu geben: „Es ist auf jeden Fall so, dass wir uns scheiden lassen, weil wir uns nicht mehr vertragen. Du hast gar nichts falsch gemacht. Im Gegenteil.“ Es gibt sehr gute Bilder- oder Kinderbücher zum Thema Trennung. Sie sind für Kinder in dieser Situation sehr hilfreich.

 

Warum ist der Kontakt zu beiden Elternteilen wichtig?

Das Kind sollte selbstverständlich Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Anders ist es natürlich, wenn ein Elternteil überhaupt kein Interesse am Kind hat oder aber gewalttätig ist. In normalen Eltern-Kind-Beziehungen kann durch den regelmäßigen Umgang ein Trennungstrauma verhindert werden. Wichtig: Kinder wollen wissen, von wem sie abstammen. Die Verbannung eines Elternteiles kann als Verbannung der eigenen Identität aufgefasst werden. Hinzu kommt: Zwei Elternteile haben mehr zu bieten als ein einziger. Durch ihre jeweils unterschiedliche soziale Rolle, Hobbys und Interessen werden die Kinder mit anderen Lebensalternativen konfrontiert und lernen, sich auf verschiedene Menschen einzustellen.

 

Wie lassen sich Loyalitätskonflikte vermeiden?

Kinder leiden, wenn sie glauben, dass ihre Zuneigung zu einem Elternteil dem anderen Elternteil weh tut. Sie wollen es beiden Eltern recht machen und geben zu Hause den Anschein, als wollten sie die Besuche gar nicht. Und wenn sie dann auf Besuch sind, sagen sie, sie blieben am liebsten für immer hier. So sehen sich beide Eltern in ihrer Position gestärkt, ohne zu wissen, dass ihr Kind die andere Seite genauso stärkt.Dann kommt es oft zu wilden Streitereien, die bis vor Gericht gehen. Eltern sollten ihr Kind deshalb unbedingt aus ihren Streitereien heraushalten und nicht schlecht über den anderen reden.

Dazu gehört auch, höflich miteinander umzugehen, wenn das Kind abgeholt oder gebracht wird. Absprachen sollten immer unter den Erwachsenen direkt ausgehandelt werden.

 

Ist es für Eltern nicht schwer, ihrem Kind in dieser Lebenskrise, in der sie ja selbst stecken, zu helfen?

Natürlich. Jede Trennung ist eine traumatische Erfahrung, die an den Grundfesten der eigenen Existenz rüttelt. Der Ehepartner ist zwar nicht gestorben. Doch gestorben sind die Hoffnungen und Träume, die man für sich und die Familie hatte. Hinzu kommen oft Verbitterung, Wut und Angst vor der Zukunft. Diese Gefühle lassen sich nicht einfach beiseite schieben. Die Aufgabe, selbst mit der Trennung fertig zu werden und gleichzeitig auch noch die Kinder zu unterstützen, erfordert einen Spagat, an dem viele Eltern beinahe verzweifeln. Hinzu kommt die Neuorganisation des Alltags. Auch an ihrem Arbeitsplatz müssen Eltern präsent sein. Der Berg der Belastungen ist so groß, dass manche daran zu zerbrechen drohen. Wichtig in dieser Phase ist ein soziales Netz, das auffängt und unterstützt: Familie und Freunde, Nachbarn, Gesprächsgruppen und Beratungsstellen.

 

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Frau Dr. Eckardt!

Dieses Interview führte Jette Lindholm für unsere Redaktion.

 

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