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"Zorn ist die Eigenschaft eines gebildeten Herzens"

Foto: Laurent Burst

„Eine Generation wird auch daran gemessen, was sie ihren Kindern und Enkeln hinterlässt – eine Welt voller Scherben oder eine Welt, in der sie atmen, das Wasser trinken und die Früchte der Erde ohne Furcht essen können: eine Welt, in der man weiß, was Recht und Unrecht ist und in der man den Namen Gottes kennt. Vieles ist verzeihlich.

Unverzeihlich ist, dass wir unseren Nachkommen nicht mehr hinterlassen als die Leere unseres eigenen Geistes und die Trümmer unseres gewaltsamen Umgangs mit der Welt“, sagt der Theologe und Religionspädagoge Prof. Dr. Fulbert Steffensky.

Prof. Dr. Fulbert Steffensky, Jahrgang 1933, war nach seinem Studium der katholischen Theologie 13 Jahre Benediktinermönch. Im Jahr 1969 konvertierte er zum lutherischen Bekenntnis, studierte evangelische Theologie, arbeitete in Schule und Seelsorge und war von 1975 bis 1998 Professor für Religionspädagogik an der Universität Hamburg. Er gehört zu den anregendsten spirituellen Autoren der Gegenwart und ist ein gefragter Referent, zum Beispiel bei Kongressen und Kirchentagen.

Wie unterscheidet sich das Leben der Kinder früher und heute?

In der Welt meiner Enkel ist die Stimme der Toten leise geworden. Die Tradition ist verblasst, und unsere Kinder werden ihren Glauben und ihre Lebensoptionen neu aushandeln müssen. Das verwirrt sie und lässt sie zugleich zu Subjekten ihres Gewissens und ihres Handelns werden. Unsere Welten waren voll von kanonischem Wissen, von Lehren und Lehrern. Unser Problem war, dass wir Texte hatten, die sich die Wirklichkeit unterwarfen. Das Problem unserer Enkel könnte sein, dass sie keine Texte haben, die ihnen die Welt aufschließen.

In meiner Kinderwelt kannten wir nur einen Lebensentwurf - unseren eigenen. Meine Enkel stoßen auf eine vielstimmige Welt, in der sich ihnen die verschiedensten Glaubens- und Lebensweisen anbieten. Das irritiert sie und befreit sie von der Diktatur der Einzigartigkeit. In meiner Kinderwelt waren wir nie ohne Zugehörigkeit. Wir gehörten naturhaft zu einer Großfamilie, einem Dorf, einer Stadt, einer Kirche. Wir wurden gesehen und waren nie allein. Meine Enkel leben in hoch individualisierten Welten. Sie sind frei vom Bann der Gruppen und einsamer, als wir es waren. Die Institutionen meiner Kinderwelt – die Schulen, die Kirchen, das Elternhaus – waren überstark und überstreng. Geist wurde nicht selten mit Strenge verwechselt. Die Bildungswelten unserer Enkel sind meistens von schwacher Liberalität und ohne jede Konsequenz.

In unserer alten Welt gab es eine Kargheitssituation, die die Menschen gezwungen hat, Autoren ihrer eigenen Welt zu sein. Wir wussten, wie man mit den geringen Mitteln lebt und überlebt. Es gab keinen Überfluss. Die Welt meiner Enkel ist (noch) eine Welt des Überflusses.

Jesus liebte die Kinder. Davon ist an vielen Stellen des Neuen Testaments die Rede, etwa im neunten Kapitel des Markusevangeliums. Welchen Auftrag hat Jesus uns hinterlassen?

Im Vers 42, Kapitel 9 des Markusevangeliums heißt es: „Wer einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde.“ Dies ist einer der überscharfen Sätze Jesu, die einem manchmal auf die Nerven gehen. Aber damit entkommen wir ihrem Ernst nicht. Sorgen wir denn für die Seelen unserer Kinder? „Wenn dein Kind dich morgen fragt...“ war die Losung des Kirchentags 2005 in Hannover. Sie ist der großen Mose-Rede aus dem Deuteronomium entnommen. „Wenn dich dein Kind morgen fragen wird: Was sind das für Ermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der Herr, unser Gott geboten hat?“ Und woran sollen die Gefragten ihre Kinder erinnern? Zunächst nicht an Aufgaben und Moral, sondern an eine große Freiheitsgeschichte: „So sollst du deinem Kind sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit starker Hand.“ 

Wir sind unseren Kindern die Geschichten der Freiheit und der Rettung des Lebens schuldig. Wir, die Eltern und Großeltern, die Pfarrer und Lehrerinnen sollten darüber reden, wie wir die Hoffnung an unsere Kinder und Jugendlichen weitergeben können, von der wir selber leben. Wir sollen die Geschichten von der Würde und der Bergung des Lebens weiter tragen. Wir sind die, aus deren Händen Gott die Seelen unserer Kinder fordern wird. Es genügt nicht, unsere Kinder mit Pisa-Effizienz auszustatten. Sie müssen etwas vom Grund unserer Hoffnung erfahren.

Warum sind solche Geschichten für Kinder so wichtig?

Wenn wir unseren Kindern erzählen, erschließen wir ihnen Welten. Sie bleiben nicht in der stummen Gegenwart eingeschlossen. Sie lernen, woher sie kommen und wohin sie gehen. In jedem Märchen, das wir erzählen, in der biblischen Geschichte, die wir unseren Kindern vorlesen, in den Geschichten unseres eigenen Lebens, die wir den Kindern nicht verschweigen, flüstern wir ihnen zu: das Leben geht, es ist gut, und du kannst es loben. Du kannst dem Unglück entrinnen, wie Hänsel und Gretel der Hexe entkommen sind und wie Jona aus dem Walfisch gerettet wurde. Dass das Leben gut ist, lernt man nicht aus Argumenten, man lernt es aus Geschichten  und Bildern. Wenn wir erzählen, sind die Geschichten mit einer Stimme verbunden. Sie sind nicht nur aus einem Buch gelesen, nicht nur von einer Kassette abgehört. Der Inhalt der Geschichte und die Wärme der Stimme trösten, ermuntern und überzeugen unsere Kinder, wenn sie gelernt haben, auf sie zu hören, und wenn sie nicht nur mit mechanischen Stimmen abgespeist werden.

Können Kinder denn überhaupt noch den religiösen Überlieferungen trauen, wenn die Welt unreligiös geworden ist?

Die Menschen waren in traditionalen Zeiten wohl nicht religiöser, als sie es heute sind. Aber die Welten waren religiös. Menschen waren von Religion umgeben, ob sie es wollten oder nicht. Es gab die für alle verbindliche Adventszeit, in der man nicht tanzen ging und in der man nicht heiraten sollte. Es gab die Fastenzeit, die sich mit ihrer größeren Kargheit von anderen Zeiten unterschied. Es gab das Angelusläuten und den Brauch, zu jenem Läuten zu beten. Es gab Personen, deren religiöse Zugehörigkeit von weitem sichtbar war – den Pfarrer, die  Religionslehrerin mit ihrem Dutt. Religion war nicht nur im Herzen verankert, sie lag auch draußen – in den heiligen Zeiten, Personen, Orten und Bräuchen. Diese christlichen Formenwelten verblassen und sind nicht mehr in Mode - übrigens weniger die nicht-christlichen religiösen Welten.

Was bedeutet dies für unsere Kinder?

Einerseits Befreiung: die Tradition liegt nicht mehr über ihnen wie ein Baum, dem man sich beugen muss. Andererseits Erschwerung: sie lernen Religion nicht mehr als eine selbstverständliche Form des Lebens. Normalerweise hört man die fatalistische These: wo Traditionen verloren sind, sind sie nicht mehr herstellbar. Traditionsbruch ist Abbruch! Ich möchte eine Gegenthese wagen: Traditionsbruch macht neugierig auf Traditionen. Der Bruch ist ja nicht nur Abbruch heiler religiöser Welten, es ist auch der Abbruch von allerlei religiöser Fragwürdigkeit. Wir sehen plötzlich, wie junge Menschen sich Traditionen zuwenden, die nie in ihrem Horizont lagen. Man könnte beinahe sagen: je fremder sie sind, umso mehr Interesse wecken sie. Vielleicht ist der Glaube wirklich noch zu schwer für Jugendliche. Vielleicht braucht man dazu doch mehr Lebensniederlagen und Lebensglück. Könnte es sein, dass die These, Religion sei nicht gefragt nach den Zeiten der großen Brüche, eine Schutzbehauptung von uns Erwachsenen ist, die uns erlaubt, in der eigenen bequemen Undeutlichkeit zu verharren?

Es könnte sein, dass unsere Jugendlichen lange Umwege über die Esoterik, über den Buddhismus oder über die verschiedensten Gurus machen. Lasst sie gehen! Wir können ihnen das Recht auf Umwege nicht nehmen – nicht einmal das Recht auf Irrwege. Je deutlicher wir als Eltern, Lehrerinnen und Pfarrer sind, umso mehr Urteil gewinnen sie und umso ungefährlicher werden ihre anderen Wege. Sie wachsen an dem Widerstand, den wir ihnen bieten. Sie erkennen sich an unserem eigenen Anderssein.

Es gibt immer mehr Unsicherheiten bei Eltern, etwa ob sie ihr Kind heute noch taufen lassen sollen. Was würden sie diesen Eltern gerne antworten? Wenn Sie für die Taufe werben müssten: Wie würde dies aussehen?

Wo das Christentum verblasst ist, kennt man noch das Fest der Namensgebung eines Kindes. Ja, so könnte man die Taufe nennen: das Fest der Namensgebung! Es gibt zwei Arten von Namen, den Indianernamen und den Taufnamen. Den Indianernamen bekomme ich, wenn ich mich namhaft gemacht habe. Wenn ich also scharf spähen gelernt habe, nennt man mich Adlerauge.

Wenn ich schnell laufen gelernt habe, nennt man mich springender Hirsch. Der Indianername ist ein schöner Name, weil er die Stärken des Menschen ehrt. Aber wehe, wenn es nur ihn gibt! Wehe, wenn man nur erkannt wird, wenn man sich selber kenntlich gemacht hat! Wehe, wenn man nur angesehen wird, wenn man sich selber ansehnlich gemacht hat! In einer solchen Gesellschaft könnte man nicht Kind sein, nicht alter Mensch, nicht Kranker, nicht Behinderter und nicht Sterbender.

Das Schönste, was uns das Christentum lehrt, ist die Überzeugung, dass wir nicht sind, weil wir uns verdient haben. Wir sind, weil wir schon vor aller eigenen Liebenswürdigkeit geliebt sind. Unser Name ist schon in die Hand Gottes geschrieben, ehe wir uns namhaft gemacht haben. Die Taufe ist der wundervolle Tanz und die heitere Inszenierung dieser Grundüberzeugung des Christentums. Ehe wir schön sind, findet uns jemand schön. Ehe wir uns den Indianernamen verdient haben, sind wir mit dem Namen der Liebe gerufen. Wer wollte die Taufe, wer wollte dieses Liebesspiel einem Kind vorenthalten? Wer wollte so unüberlegt rationalistisch argumentieren: erst muss ein Kind entscheidungsfähig sein, ehe wir es taufen. Nein, wir werden geliebt, ehe wir entscheidungsfähig für diese Liebe sind. Wir taufen unsere Kinder nicht in Zwangssysteme von Kirche und Glauben. Wir taufen sie in die große Freiheit der Güte, von der aus sie erst fähig werden, ihre Wege zu gehen.

Wie wirken sich veränderte Rhythmen, etwa die nicht mehr eingehaltene Sonntagsruhe, auf uns Menschen aus?

In der Nähe unseres Hauses wirbt eine Tankstelle: „Geöffnet 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche!“ Kein Sabbat mehr, keine Erinnerung, keine Unterbrechung, kein Rhythmus des Lebens und der Zeit, nur noch Profit! Das ist der neue Gott, der keine Lieder mehr will und keine Erinnerung an die Freiheit, die seine Pläne nur stören könnte. Er will den Weihrauch unserer ständigen Dienstbarkeit und Verfügbarkeit. Dieser Gott löscht unser Gedächtnis aus, indem er uns immerzu beschäftigt. Er ist der Gott der Atemlosigkeit und der kleinen Wünsche. Wir haben lange gelitten unter der Vergesetzlichung des Sonntags oder des Sabbats. Aber sogar sie war unvergleichlich schön gegen das neue Diktat der Unrast, der Besinnungslosigkeit und der ausgelöschten Träume. Wir haben keine Zeit mehr für Freiheitsdurst und Lebenssinn. Der Mensch unseres Kulturkreises fühlt sich allein als Macher gerechtfertigt, und sein Selbstverständnis bricht zusammen, wo er sich nicht mehr als solcher  erfahren kann. Doch der Mensch heute verliert leider zusehendes seine eher passiven Stärken: Geduld, Langsamkeit, Stillefähigkeit, Hörfähigkeit, Wunschfähigkeit, Wartenkönnen, Gelassenheit, Ehrfurcht und Demut. Was wird aus unseren Kindern und Enkelkindern in dieser Kultur? Werden sie, wenn es keine Sonntage und keine Unterbrechungen in der Zeit mehr gibt, noch lernen, was ein Rhythmus ist? Werden sie nur noch lineare und verödete Zeiten kennen und nicht mehr die Heilkraft eines Rhythmus? Werden sie noch Gebete kennen, die große durstige Sprache der Wünsche? Wir sind für die Seelen unserer Kinder verantwortlich.

Welche Eltern und Großeltern, Lehrer und Lehrerinnen, Pfarrer und Pfarrerinnen brauchen Kinder?

Unsere Kinder brauchen uns als Erwachsene, sie brauchen uns als andere. Sie brauchen Menschen mit deutlichen Gesichtszügen und klaren Optionen – Menschen, die sie mit hinein nehmen in ihren eigenen Lebensglauben, sei er religiös oder nicht. An den Gesichtszügen der Erwachsenen lernen sie ihr eigenes Gesicht. Erwachsene sind in doppelter Weise Stellvertreter ihren Kindern gegenüber. Sie vertreten eine Lebenskonzeption vor ihren Kindern, obwohl diese den Kindern noch fremd ist und sie noch nicht zu ihrer eigenen geworden ist. Sie vertreten mit ihrem eigenen reiferen und erwachseneren Glauben ihre Kinder, die mit dem Glauben wie mit allem im Leben erst anfangen. Erwachsene sind die Vor-beter und Vor-sprecher ihrer Kinder, wo diese noch unmündig sind, wo sie noch nicht selber Mund und Stimme haben. Auch wer nicht religiös ist und die Kinder nicht religiös erzieht, ist Vor-beter seiner Kinder. Er betet und spricht ihnen vor, dass Religion falsch oder überflüssig ist. Ob diese es wirklich ist, werden die Kinder selber entscheiden, wenn wir sie haben entscheidungsfähig werden lassen und wenn unsere Vorsprache nicht zum Diktat der Kinder geworden ist.

Welche Bildungslandschaft, welche Schulen und welche Lehrer und Lehrerinnen wünschen Sie sich für Ihre Enkelkinder?

Ich wünsche mir als Bildungslandschaft eine gerechte Gesellschaft. In der politischen Rhetorik und im öffentlichen Diskurs haben die Begriffe Werte, Menschenbilder, Sinn, Orientierung, Traditionen, Normen, Wertmaßstäbe und schließlich auch Bildung Hochkonjunktur. Oft gehen falsche Erwartungen an diese Begriffe von hoher Idealität. Man spricht von fehlender Innerlichkeit und Orientierungslosigkeit, wo man eigentlich über Arbeitslosigkeit und soziale Kälte reden sollte. Wo eine Gesellschaft kalt, ungerecht in ihrer sozialen Konstruktion und in ihren politischen Absichten ist, da wird man sie nicht heilen können mit importiertem Sinn. Der Sinn einer Gesellschaft liegt nicht hauptsächlich in den normativen Aussagen über sich selber, nicht in den Traditionen, in denen sich die Gesellschaft erklärt. Die Einsichtigkeit einer Gesellschaft besteht in erster Linie darin, dass sie gerecht ist. Das Unrecht stürzt sie in Orientierungslosigkeit und in das Gefühl zynischer Sinnlosigkeit.

Und welche Wünsche haben Sie an den Religionsunterricht Ihrer Enkel?

Ich wünsche mir einen Religionsunterricht, der Kinder gewaltfrei und deutlich einführt in die Sprache der Hoffnung, des Trostes, der Gerechtigkeit, des Lobes und des Aufruhrs. In jener Sprache sollen junge Menschen auf die Grundfragen stoßen, die wir an das Leben haben. Woher kommen wir? Was wollen wir?

Wohin gehen wir? Was ist Recht? Warum leiden wir? Eine Schule hat ihren Sinn als Bildungseinrichtung verloren, wenn sie nur noch beantwortbare Fragen stellt und behandelt. Ohne diese Grundfragen an das Leben und ohne die Kenntnis aller Modelle ihrer Beantwortung verlieren und verstricken sich Menschen in ihren eigenen richtungslosen Informationen und in ihrer reinen Heutigkeit. Unsere Gefahr ist, dass wir uns zufrieden geben mit allem, woran man herumbasteln kann, und dass das Basteln Orientierung, Deutung und Ethos ersetzt.

Was wird aus der Gewissheit und aus dem Gewissen der Menschen, wenn die großen Erzählungen verstummen? Wir sind in einer aktuellen Situation der Entscheidung nicht nur vor unserem Gewissen verantwortlich. Gewissen hat man nicht naturhaft. Man muss es lernen, sonst wird man in moralischer Blindheit in jede Falle stolpern. Was wird aus der Hoffnung? Die Hoffnung und die Lebensgewissheit kommen nicht mit Argumenten aus. Sie ernähren sich von den Geschichten und Liedern vom guten Ausgang der Dinge. Dieser Religionsunterricht sollte nicht fragen, woher die jungen Menschen kommen. Er soll angeboten werden für alle – als Brot für die Fremden, die noch nie oder kaum von dieser Sprache gehört haben, und als Vergewisserung für die, denen sie schon Heimat ist. Die Absicht dieses Religionsunterrichts wäre nicht, die Fremden zu missionieren. Aber sie sollen einen Lebensentwurf kennen lernen, den ernsthafte Menschen ernsthaft vertreten und den sie lieben. Sie sollten verstehen lernen, warum Menschen einen solchen Lebensentwurf schön finden und lieben.

Was könnten wir uns für die Zukunft unserer Kinder wünschen?

Dass nicht nur ihre Seele unverletzt bleiben möge, sondern die Welt, in der sie leben, die Luft, die sie einmal atmen, das Wasser, das sie einmal trinken werden. Wir wünschen unseren Kindern Gottes Segen und übersehen, was mit ihrer Atemluft in zehn oder 20 Jahren sein wird. Wie kommt es, dass unsere Liebe so kurzsichtig ist? Jesus segnete die Kinder.

Segen ist in jener Tradition nie nur etwas Innerliches und Geistiges. Es ist auch der Zuspruch des Reichtums der Schöpfung. Dieser Segen hat etwas zu tun mit den alltäglichen Dingen des Lebens, mit Brot und Wasser und Atemluft. Ich will auf etwas hinweisen, was wir anrichten und was unsere Kinder und Enkel einmal ausbaden müssen, nämlich die Gefährdung des Klimas.

Die globale Klimaerwärmung hat sich weltweit als die größte Bedrohung für das Überleben der Natur und das Wohlergehen der Menschheit entpuppt. Kein anderes Problem hat einen so weitreichenden Einfluss auf die Zukunft unserer Kinder und ihrer Welt. Es ist unfassbar, dass wir Alten, wir Großväter und Großmütter, nicht aufstehen gegen den selbstverständlich gewordenen Schwachsinn, in dem wir die Zukunft unserer Enkel aufs Spiel setzen. Es geht mir nicht darum, dass wir jetzt alle als Einzelne ein schlechtes Gewissen haben. Wohl aber geht es mir um unser aller Wachheit. Wie aufmerksam schauen Parteien und gesellschaftliche Gruppen auf das Problem der Klimaveränderung?

Welche Produkte tragen dazu bei? Welche Firmen müssen wir wegen dieser Produkte boykottieren? Der Boykott kann eine Weise sein, das zu tun, was Christus getan hat, unsere Kinder zu segnen. Als Jesus sah, dass seine Jünger die Frauen wegdrängen wollten, die mit ihren Kindern zu ihm kamen, wurde er unwillig. Wo bleibt unser Unwille, wenn wir sehen, wie das Leben der Kinder bedroht ist? Christus wurde zornig. Wo bleibt unser Zorn? Leidenschaftliche Herzen bleiben nicht gleichmütig, wenn sie das Leben bedroht sehen, sie werden zornig. Zorn ist die Eigenschaft eines gebildeten Herzens, das nicht alles erträgt und hinnimmt. Jesus wurde unwillig. Auch darin sollen wir ihm nachfolgen.

Was ist das Besondere, das Unverwechselbare, das Großeltern ihren Enkelkindern vermitteln können?

Wir lehren unsere Enkelkinder, was Vergangenheit ist. Wir lehren sie auch, was Vergänglichkeit ist. Wenn wir als Großeltern gebrechlich werden, dann lernen die Kinder, dass das Leben endlich ist. Sie sehen, wie unser Gehör und unsere Augen schlechter werden, wie wir dieses und jenes nicht mehr essen dürfen, dass wir vergesslich werden, Krankheiten bekommen und schließlich sterben. Welche illusorische Welt wäre es, wenn unsere Enkel nur die Welt der Jungen, Starken, Berufstätigen, Lebenstüchtigen und Schönen erlebten. Unsere Hinfälligkeit ist die letzte Lehre, die wir den Enkeln geben. Es ist keine leichte Lehre. Ich erinnere mich an den Tod meiner Schwiegermutter. Sie wusste, dass sie starb, und sie wollte es.

Am Tag vorher hat sie sich mit einer großen Geste von einem Enkel, unserer jüngsten Tochter, verabschiedet: „Es ist schön, dass du gekommen bist. Ich werde jetzt sterben“, sagte sie zu dem Kind. „Ich wünsche dir ein gutes Leben.“ Die Sterbende umarmte und küsste das Kind mit schwacher Kraft. Welch ein Erbe für diesen jungen Menschen! Welch ein Erbe für unsere Enkel, wenn wir selber mit einem Segen und in Würde abdanken können.

Herr Prof. Steffensky, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Buchtipps


Fulbert Steffensky:

Schwarzbrot-Spiritualität

„Worte können Irrlichter sein, und ich habe den Eindruck, Spiritualität ist ein solches geworden“, schreibt Prof. Dr. Fulbert Steffensky im Vorwort dieses lesenswerten Buches mit Tiefgang. „Ich verstehe die Sehnsucht der Mensche, die nach einem solchen Wort greifen“, schreibt der Theologe weiter. „Sie sind es müde, mit der banalen Oberfläche des Lebens zufrieden zu sein. Sie sind es müde, in der Kirche einer Rhetorik ohne Erkenntnis ausgeliefert zu sein. Sie sind es müde, in ausgeleuchteten Räumen zu leben, die kein Geheimnis mehr bergen. So greifen sie zu dem neuen Wort, dessen Versprechen manchmal nur seine Neuheit ist.

 

Aber es sind  eigentlich die alten Fragen, die eine Antwort suchen: Wofür stehen wir in unserem Leben? Wie werden wir fähig, auf die Worte zu hören, die unsere Väter und Mütter getröstet haben? Wie entkommen wir dem Zwang, uns durch Funktionieren zu rechtfertigen?“ Fulbert Steffensky gibt in seinem Buch auf diese und mehr Fragen. Eine wichtige Orientierungshilfe für alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben – Eltern, Großeltern, Lehrer und Lehrerinnen, Pfarrer und Pfarrerinnen.

Radius Verlag, 240 Seiten, 15 Euro

Fulbert Steffensky:

Wo der Glaube wohnen kann

Fulbert Steffensky gibt Rechenschaft über seinen Glauben und zieht Bilanz: Was ist wichtiger und was ist schwieriger geworden? „Für beides fällt mir zunächst das Gebet ein“, sagt der Autor. „Nach den großen Untergängen des letzten Jahrhunderts bringt man die Welt in keiner theologischen Erklärung mehr zusammen. Es gibt Inseln und Ströme des Glücks im Leben, die keiner Erklärung bedürfen. Der Sinn des Lebens ist an ihnen ablesbar. Aber es gibt zugleich die großen Störungen, an denen nichts mehr abzulesen und zu erklären ist.

 

Jeder, die Zeitung liest und die Augen nicht verschließt, kennt sie.“ Der Autor greift mit seinem Buch einen seiner Titel auf, der bereits im Jahr 1989 erschienen. Die Hälfte der ursprünglichen Texte hielt der Revision stand, die andere Hälfte ist neu. Fulbert Steffensky resümiert: „Als junger Mensch und Theologe weiß man so viel über ihn zu sagen. Je älter man wird, umso rätselhafter wird einem dieser Gott. Glauben heißt, sich dem Geheimnis des Lebens anvertrauen, obwohl man es nicht entziffern kann.“

Ein Buch, in dem sich suchende Menschen an der Schwelle des Alters  – und nicht nur diese – bestätigt sehen. Ein Buch, das nachdenklich stimmt und Mut macht, sich mit eigenen Glaubensfragen und mit –zweifeln  auseinander zu setzen.

Radius Verlag, 200 Seiten, 15 Euro

 
Das Online-Portal für Eltern

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