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Kinder und Computer - Worauf Eltern achten sollten

Uwe Buermann, geb. 1968, ist Lehrer für Computerkunde an der Freien Waldorfschule in Kiel, Gastdozent an den Waldorflehrerseminaren Kiel und Hamburg, freier Medien- und Suchtberater und seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter des IPSUM-Instituts. Er hat die Homepage www.erziehung-zur-medienkompetenz.de ins Leben gerufen.

 

Kinder nutzen heute immer mehr und vor allem immer früher das Medium Computer. Haben Sie dazu aktuelle Zahlen für uns?

Uwe Buermann: Nach einer aktuellen Studie des Kinderkanals (Stand 2006), haben bereits 47% der 6- bis 7-jährigen Kinder Zugang zu einem Computer, 41% nutzen bereits das Internet und 46% nutzen eine Spielkonsole. Bei den 12- bis 13-jährigen sind es bereits 81 %, die Zugang zum Computer haben und 70%, die das Internet nutzen können. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass immer mehr Kinder eigene Medien in ihrem Zimmer haben und sie somit de facto unkontrolliert nutzen können.

 

Kinder und Jugendliche sind erstaunlich „fit“ am Computer, oft fitter als ihre Eltern. Aber welchen Einfluss hat die Nutzung des Computers auf die Entwicklung der Kinder?

Eine sehr wichtige Frage, die man natürlich nur sehr schwer in der Kürze beantworten kann. Wichtig ist zunächst mal sich klarzumachen, dass die Kinder vor allem fitter in der Handhabung sind, was aber nicht mit Medienkompetenz gleichzusetzen ist. Zur Medienkompetenz gehört neben der Handhabung eine gesunde Selbsteinschätzung (Wann und wie lange ist es für mich ganz persönlich gut, ein Medium zu nutzen?), eine gesunde Urteilsfähigkeit (Stimmt das, was in den Medien berichtet wird? Wie verhält es sich in der Wirklichkeit?) und Kreativität.

Außer dem Umgang kann ich keine der genannten Fähigkeiten am Medium erwerben, ich muss sie vielmehr mitbringen, nur dann kann ich die Medie auch kompetent nutzen.

„Kinder lernen beim Umgang mit dem Computer den Umgang mit dem Computer!“ Ein banaler aber sehr wichtiger Satz.

Wer meint, die Kinder könnten auf diesem Wege fit für das reale Leben werden, täuscht sich. So wird zum Beispiel räumliches Vorstellungsvermögen am Computer nur dann geschult, wenn ich bereits ein räumliches Vorstellungsvermögen besitze. Der Umgang mit der Maus ist ein abstrakter Arbeitsprozess. Während sonst jede Tätigkeit im Leben durch Augen-Handkoordination erworben wird, muss ich bei der Maus auf der Ebene die Bewegung ausführen und auf dem Bildschirm die Bewegung verfolgen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bewegung der Hand viel kürzer ist, als die Bewegung des Cursers auf dem Bildschirm, auf diesem Wege wird bei den kleinen Kindern das räumliche Wahrnehmungsvermögen zerstört! Und wenn wir dann bei immer mehr Schulkindern erleben, dass sie fein- und grobmotorische Schwächen haben, was wir gerne mit Begriffen wie ADHS, Indigokinder und Sternenkinder abtun, bzw. adeln, haben wir es in vielen Fällen eigentlich mit deutlichen Medienschäden zu tun. Einige Neurobiologen, allen voran Manfred Spitzer, weisen ja auch darauf hin, dass Medienkonsum in der frühen Kindheit nicht nur seelische, sondern auch organische Schäden mit sich bringt (Literatur siehe unten).

Ab welchem Alter würden Sie Kinder an den Computer heranführen?

Wie bei allen anderen Medien auch idealerweise erst ab 10 Jahren! Die Betonung liegt in diesem Zusammenhang auf idealerweise. Es gibt keinen Grund zur Panik, wenn das eigene Kind schon vorher mal auf einen Bildschirm schaut. Aber der Umstand, dass das eigene Kind beim Freund am PC gespielt hat, ist eben auch kein Grund, um ihm einen eigenen PC hinzustellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir keine verbohrte Bewahrpädagogik betreiben. Solange unsere Kinder nur Verbote bekommen und dabei ein Defizit erleben, erziehen wir sie eher zur späteren Mediensucht, als zur Medienkompetenz. Nur wenn die Kinder subjektiv gleichwertige Erlebnisse haben, werden sie auch ohne Probleme auf die Medien verzichten können.

 

Ist es nicht realitätsfern, wenn man fordert, dass Kinder erst ab einem gewissen Alter mit dem Computer umgehen sollten? Wie können Eltern ganz praktisch den Umgang mit dem Computer regeln? Haben Sie ein paar Tipps?

Nein, wieso? Kein Vater käme auf die Idee sein 3-jähriges Kind an die Kreissäge zu lassen, egal wie sehr es bettelt. Kein Elternteil lässt sein Kind mit 14 Autofahren - und nicht nur weil es verboten ist, sondern weil wir wissen, dass diese Kinder noch nicht reif dazu sind, diese Maschinen zu bedienen. Dieses Bewusstsein brauchen wir auch (wieder) in Bezug auf die Medien. Gemeinerweise sind die Schäden durch die Medien nicht so offenkundig wie die der Kreissäge, was aber nicht heißt, das sie für die kindliche Entwicklung nicht ebenso gravierend wären.

Eltern sollten den Computer vorbildlich als Arbeits- und Informationsgerät nutzen. Sobald sie den Kindern den Zugang zum Computer gestatten, müssen sie im Auge behalten, was die Kinder bzw. Jugendlichen machen. Die Eltern und die Schulen haben hier eine große Informationspflicht. Es liegt an ihnen, die Kinder über die Gefahren und die rechtlichen Seiten aufzuklären. Natürlich können Eltern nicht jede Minute neben einem Jugendlichen sitzen und alles genau beobachten, aber sie müssen zumindest für eine pädagogische Präsenz sorgen. So sollte ein Computer, der auch von den Kindern genutzt wird z.B. im Wohnzimmer oder Flur stehen, so dass derjenige der daran sitzt jederzeit damit rechnen muss, dass ein anderes Familienmitglied vorbeikommt und sieht was gerade gemacht wird.

Mit den Heranwachsenden sollten Zeiten verabredet werden. Hierbei ist wichtig, sowohl dem allgemeinen Zeitwahrnehmungsverlust an Bildschirmmedien Rechnung zu tragen, wie auch der Suchtfördernden Gestaltung vieler Computerspiele. Eine Regel wie 60 Minuten PC pro Tag lässt sich bei Spielen häufig gar nicht einhalten, da nicht alle Spiele jederzeit gespeichert werden können. Besser ist es Kontigente zu verabreden, einmal für die Schultage (Montag bis Donnerstag) und einmal für das Wochenende. Schließlich sollen die Jugendlichen ja auch im Umgang mit dem Computer einmal selbständig werden. Solche Verabredungen setzen aber voraus, dass sie auch von allen Beteiligten kontrolliert werden.

Was raten Sie Eltern, die von der Sorge umgetrieben werden, dass ihre Kinder in der Welt von morgen nicht bestehen können, wenn sie nicht von Früh an entsprechend vorbereitet werden?

Lassen Sie sich nicht durch falsche Angstpropaganda beeinflussen! Die Bedienung der Geräte wird ja immer einfacher und jeder gesund entwickelte Mensch, der gelernt hat zu lernen, kann den Umgang mit dem Computer in kurzer Zeit erlernen. Wir haben ja bereits eine Heerschar von Anwendern, die in der Lage sind Computer zu bedienen und sich schnell in neue Programme einzuarbeiten. Was uns gesellschaftlich aber zunehmend fehlt, sind Menschen die kreativ und sozialkompetent sind. Wie häufig kriegen wir im Alltag von Menschen zu hören „das geht nicht“ und wenn wir nachfragen erfahren wir, dass die Software, die sie benutzen schuld an dieser Beschränkung ist. Wenn ich einen Tischler bitte mir eine Küche zu bauen und er feststellt, das die Module in seiner Planungssoftware nicht in meine Küche passen, erwarte ich von ihm, dass er eine andere Lösung findet und nicht den Satz „das geht so aber nicht“ verknüpft mit Hinweisen darauf, auf was ich alles verzichten soll.

Kinder die sich gesund entwickeln, die nicht aufhören Fragen zu stellen, die gegebene Informationen weiter hinterfragen, die an Themen dranbleiben, die sie interessieren, die mit der Realität verwurzelt sind und ein grundsätzliches Interesse an anderen Menschen haben, werden bezeiten auch den Computer und andere Medien sinnvoll nutzen können.

Für die sinnvolle Verwendung von Werkzeugen gibt es eine einfache Formel. Ob der Einsatz eines Werkzeuges sinnvoll ist oder nicht, hängt ab von meiner konkreten Aufgabe in Relation zu meinen konkreten Fähigkeiten. Das heißt, solange ich eine Handschrift habe, die ich und andere lesen können, macht es auch im Jahre 2007 Sinn eine kurze Notiz zunächst handschriftlich anzufertigen, einfach weil es schneller geht. Wenn ich meine eigene Handschrift nicht mehr lesen kann (was ja immer häufiger vorkommt) muss ich entweder darauf verzichten, mir etwas zu notieren, oder ich muss mein Handy, mein PDA oder mein Notebook bemühen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder so viele Fähigkeiten wie möglich entwickeln, nur dann können sie wirklich kompetent und souverän im Umgang mit Werkzeugen im allgemeinen und den Medien im besonderen werden. Wie sich zeigt, verhindert der frühe Einsatz der Computer die Entwicklung etlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, so dass gerade die Kinder, die früh an den Computer gebracht werden, später in ihren Auswahlmöglichkeiten beschränkt sind. Sie werden letztendlich zu einer lebenslangen Abhängigkeit von den Computermedien erzogen. Und wer will das schon?

 

Wie erzieht man überhaupt zu einem sinnvollen Umgang mit den Medien?

Vieles ist ja bereits angeklungen. Wir brauchen ein breites Spektrum von Fähigkeiten und vor allem ein im positiven Sinne kritisches Bewusstsein. Aufgrund der Informationsflut hören immer mehr Menschen auf, Fragen zu stellen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ja die Informationsmedien uns ständig Antworten geben auf Fragen, die wir nie gestellt haben. Das ist zwar interessant, aber auch lähmend. Hier müssen wir auch in der Pädagogik wieder ganz neu denken und handeln. Bei dem Bestreben, standardisierte Tests zu bekommen (Zentralprüfungen, etc.) kommt es ja dazu, dass der Unterricht auf die Prüfungsinhalte ausgerichtet wird. Gelehrt wird, was man für die Prüfung braucht. Und in diesem Zusammenhang erleben die Kinder, dass die Lehrer entweder immer schon alle Antworten wissen oder aus Zeitmangel Nachfragen abblocken, um mit dem notwendigen Stoff durchzukommen. Heraus kommt dann diese Form von Wissen, die für „Wer wird Millionär“ ausreicht. Wenn wir aber wirklich von einer Informationsgesellschaft zu einer Wissensgesellschaft werden wollen, müssen wir das Fragen wieder kultivieren und zulassen - vor allem all jene Fragen, auf die es nicht direkt eine Antwort gibt. Schließlich hat genau diese innerlich gelebte Fragehaltung alle Entdeckungen und Erfindungen hervorgebracht.Wer so lernt zu leben, wird Medien nutzen und sich nicht von den Medien benutzen lassen.

 

Haben Sie Lesetipps für unsere Leser?

Gerne gebe ich ihnen einige Literaturhinweise:

„Vorsicht Bildschirm!“ von Manfred Spitzer, Stuttgart 2005, ISBN 3-12-010170-2
„Computersüchtig. Kinder im Sog der modernen Medien“ von Bergmann und Hüther, Düsseldorf 2006, ISBN 3-530-42212-6
„Da spiel ich nicht mit!“ von Rudolf und Renate Hänsel (Hrsg.), Donauwörth 2005, ISBN 3-403-04268-5
„Kalte Herzen“ von Peter Winterhoff-Spurk, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94102-9
„Künstliche Welten – wirkliche Bilder. Vom Umgang mit den Medien“ von Uwe Buermann, Heidelberg 2005, ISBN 3-921132-36-3

 

Herr Buermann, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Das Interview führte die Redaktion von www.spielundzukunft.de.

 
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