Margarete Ostheimer GmbH homebanner
header-standard

Elternliebe: der Schlüssel zum Erfolg

„Kinder machen Mühe – ohne Aussicht auf einen Lohn. Eltern geben ihnen aber nicht aus rationalen Gründen Schutz, Pflege, Nahrung und Wärme. Sie tun es aus Liebe. Sie ist der Katalysator für die Entwicklung der menschlichen Schlüsselqualitäten und damit die Voraussetzung für eine glückliche Kindheit und ein erfülltes Leben“, sagt der Neurobiologe und Hirnforscher Ralph Dawirs.

 

Professor Dr. Ralph Dawirs, Jahrgang 1954, Vater von zwei Kindern, ist Neurobiologe und Hirnforscher und leitet die Forschung der Kinder- und Jugendabteilung für psychische Gesundheit an der Universitätsklinik in Erlangen. Als Entwicklungs- und Gehirnexperte hat er zahlreiche Beiträge zur Entwicklung des Gehirns und des Verhaltens verfasst. In Büchern und Vorträgen setzt er sich für die Belange von Kindern und Eltern ein. 

Wie entsteht eigentlich Urvertrauen?

Vertrauen muss sich entwickeln, denn es gibt kein Vertrauens-Gen. Es ist wie beim Laufen lernen. Wichtige Größen sind dabei das Gleichgewichtssystem und die Erdanziehung. Die sich entwickelnde Motorik vertraut darauf, dass die Erdanziehung eine Konstante ist. Würde dieses Vertrauen fortwährend erschüttert, könnte das Kind nicht laufen lernen. In gleicher Weise erwirbt der Mensch in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt die Fähigkeit, zu vertrauen. Der Säugling braucht die Erfahrung, dass seine Bedürfnisse erfüllt, seine Signale von Mutter oder Vater verlässlich aufgenommen und richtig gedeutet werden. Daraus entsteht eine positive Erwartungshaltung. Und es entwickelt sich eine feste Bindung zwischen Eltern und Kind. Dieses Urvertrauen ist Voraussetzung für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Zeitdruck und Hektik wirken kontraproduktiv. Das Kind braucht vor allem seine Eltern – und keine Aktivitäten in Babykursen oder Krabbelgruppen.

 

Wie würden Sie Elternliebe beschreiben? Ist sie mehr als ein inniges Gefühl?

Ja, sie ist die Summe aller positiven Hinwendungen zum Kind. Diese Liebe erschöpft sich im Geben. Sie achtet nicht auf Gegenliebe. Neugeborene sind ja auch gar nicht in der Lage, Gefühle wie Liebe zu empfinden oder wahrzunehmen. Die nicht zu erschütternde Vertrauensfähigkeit des Kindes ist eine wichtige Voraussetzung, überhaupt Liebe zu empfangen und in die Entwicklung des Gehirns einfließen zu lassen.

Nach Meinung des Schweizer Biologen Adolf Portmann ist der Mensch eine physiologische Frühgeburt. Was bedeutet das?

Wie kein anderes Lebewesen ist ein neugeborener Mensch auf die Betreuung und Fürsorge durch die Eltern angewiesen. Das hat die Natur schlau eingefädelt. Denn die Entwicklung des Gehirns wird in die Zeit nach der Geburt hinein verzögert, um so optimale Anpassungsprozesse zu gewährleisten. Eine echte Erfolgsstrategie von Mutter Natur, doch dieser Erfolg hat seinen Preis, nämlich eben diese Abhängigkeit des Säuglings und Kleinkindes von den Eltern. Chance und Risiko zugleich, denn ohne elterliche Liebe geht die Rechnung nicht auf.

Sie sagen, dass Elternliebe der Schlüssel zum Erfolg ist. Was heißt das genau?

Kinder sind lernbegierig anpassungsfähig. Sie entwickeln ihr emotionales Erleben und ihr Sozialverhalten in Wechselwirkung mit ihrer unmittelbaren Umgebung. Wichtig ist ein liebevolles, fürsorgliches Umfeld. Denn vor allem die in den ersten sechs Jahren gesammelten Erfahrungen formen in individueller Weise die neuronalen Vernetzungen im Gehirn. Eltern, die ihr Kind liebevoll begleiten, nehmen deshalb Einfluss auf seine Gehirnentwicklung – und damit auf den Erfolg ihres Kindes in seinem späteren Leben. Denn emotionale Fitness und soziale Kompetenz entwickeln sich nur durch Liebe.

Was passiert, wenn die Entwicklung eines Kindes nicht positiv begleitet wird?

Durch eine lieblose und aggressive Umgebung prägen sich antisoziale Verhaltensmuster ein, die unter Umständen ein ganzes Leben lang beibehalten werden. Jedes fünfte Kind in Deutschland zeigt mittlerweile deutliche Auffälligkeiten in seinem Gefühlsleben oder sozialen Verhalten. Jedes zehnte Kind leidet an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung. In den ersten Lebensjahren verpasste Entwicklungschancen lassen sich später nicht mehr nachholen.

Sind hier nicht auch in besonderer Weise Kinderkrippen gefordert?

Richtig ist, dass viele Säuglinge und Kleinkinder aus prekären Verhältnissen in Krippen Lebensbedingungen vorfinden können, die allemal besser sind als die in ihren Herkunftsfamilien. Richtig ist aber auch, dass unter günstigen Bedingungen eine Betreuung durch die leibliche Mutter unübertreffbar ist. Für die Entwicklung des Kindes ist es optimal, wenn die vorgeburtlichen Bindungsprozesse an die Mutter auch nach der Geburt kontinuierlich fortgesetzt werden. Kinder sind in intakten Familien allemal besser aufgehoben als in jeder Krippe mit den aktuellen Qualitätsstandards. Ein hervorragendes Konzept stellten früher auch die Großfamilien dar. Säuglinge wurden von Eltern, Großeltern, Tanten, großen Geschwistern und anderen Familienmitgliedern betreut. Sie fühlten sich sicher und geborgen in der Familiensippe.

 

Was ist denn der Unterschied zwischen der Kinderkrippe und der Großfamilie, in der die Kinder ja auch nicht nur von den Eltern betreut werden?

Die guten Bedingungen in diesen eben erwähnten familiären „Urkrippen“ unterscheiden sich ganz wesentlich von denen in den institutionalisierten Krippen. Das angestellte Betreuungspersonal kann die ihm anvertrauten Säuglinge und Kleinkinder im besten Falle liebevoll betreuen, wird sie aber in aller Regel nicht lieben. Aber das Kind braucht Elternliebe – und/oder die Liebe anderer Familienmitglieder, die eine tiefe emotionale Bindung zu diesem aufgebaut haben.

Woran mangelt es denn in unseren Krippen?

Der durchschnittliche Betreuungsschlüssel in deutschen Krippen liegt bei 1:7. Das heißt: Eine Betreuerin kümmert sich um sieben Säuglinge und Kleinkinder. Rechnet man für das Füttern 3 X 10 Minuten und für das Wickeln und die Körperhygiene noch einmal 3 X 10 Minuten pro Tag, so ergibt das 60 Minuten pro Kind und Tag. Auf diese Weise könnte eine Betreuerin also acht Kinder an einem Arbeitstag versorgen. Dies wäre dann die lebenserhaltende Grundversorgung und trifft in etwa die Realität der deutschen Krippen mit dem oben erwähnten Betreuungsschlüssel. Und das bedeutet: keine Hinwendung, kein Trösten, kein Körperkontakt. Wie auch? Überleben wird das Kind diese Tortur. Liebe hat es in dieser Zeit aber nicht erfahren.

Wann ist denn der Zeitpunkt da, an dem das Kind einen Kindergarten besuchen sollte?

Nach dem dritten Lebensjahr, denn bis dahin hat das Kind unter günstigen Voraussetzungen sein Urvertrauen und eine gute Bindungsfähigkeit in seiner Familie entwickelt. Beides gibt ihm die Sicherheit, sich auf das Abenteuer täglich neuer Eindrücke und Lernsituationen in der sozialen Gruppe einzulassen. Jetzt beginnt ein neuer wichtiger Abschnitt im Leben des Kindes – eine tolle und spannende Zeit. Sein Stirnhirn ist jetzt so weit entwickelt, dass es über ein ziemlich gut funktionierendes Kurzzeitgedächtnis verfügt. Zusammen mit dem in den letzten drei Jahren entwickelten Urvertrauen und der engen Bindung an die Mutter, den Vater und andere Bezugspersonen ist das Kind jetzt in der Lage, seine kleine Welt zu erforschen. Es weiß jetzt, dass die Bezugspersonen, die für Liebe und Wärme, Schutz und Sicherheit stehen, noch da sind – auch wenn es sie nicht mehr sehen kann. Es weiß, dass sie es wieder abholen werden. Jetzt beginnt die Zeit der großen Abenteuer, die Zeit der frühkindlichen Entdeckungen.

Was ist in dieser Zeit besonders wichtig?

Auf jeden Fall nicht das Sammeln von abrufbarem Faktenwissen. Dazu ist das Kind in diesem Alter noch gar nicht in der Lage. Denn es hat noch kein Langzeitgedächtnis. Dies beginnt erst zu funktionieren, wenn das Kind eingeschult wird, also mit etwa sechs Jahren. Im Alter von drei bis sechs benötigt das Kind das Langzeitgedächtnis noch nicht. Es würde bloß stören. Vorgänge bewusst reflektieren, Neues bewerten und mit Erfahrenem vergleichen, eigene Handlungen abschätzen: Dazu ist das Kind in diesem Alter noch nicht in der Lage. Bevor diese wichtigen Fähigkeiten des Stirnhirns funktionieren und bevor sich ein Schulkind Wissen aneignen und es abspeichern kann, muss es zunächst wichtige Schlüsselqualifizierungen erwerben, und zwar motorische, emotionale, kognitive und soziale Kompetenzen. Dies kann es nur in der Vorschulzeit tun.

Was braucht ein Vorschulkind, um seine Persönlichkeit möglichst gut entwickeln zu können?

Zwischen dem vollendeten dritten und sechsten Lebensjahr werden Weichen für das ganze weitere Leben gestellt. In diesen drei Jahren werden die Chancen der Kinder verteilt und  aussagekräftige Prognosen für ganze Lebensläufe geschrieben. Die Kindergartenjahre bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, wenn wir unserer Verantwortung gegenüber unseren Kindern und der Zukunft gerecht werden wollen.
Wichtig ist, dass der Kindergarten das Kind in seinen sprachlichen und sozialen Kompetenzen unterstützt, damit es kommunikationsfähig wird. Dies beinhaltet auch die Vermittlung von Werten und religiöse Bildung.

Leider stehen Kinder heute schon im Kindergartenalter unter Leistungsdruck.
Welche Folgen hat ein solcher Förderwahn?

 

Die Folgen sind beängstigend. Immer mehr Kinder erleben sich als Versager. Das Gefühl, den hohen Erwartungen der Eltern und Erzieher(innen) nicht gerecht werden zu können, macht krank. Viele Kinder leiden schon vor der Einschulung an Kopf- und Bauchweh, Appetit- und Antriebsschwäche, Angst und Depressionen, Anzeichen von Überforderung und Stress. Mit der Einschulung wird es nicht besser. Im Gegenteil: Unser Schulsystem erklärt die Kindheit endgültig für beendet. Schon in den Grundschulen herrscht das Gesetz der Leistungs –und Erfolgsgesellschaft. Immer mehr Kinder drohen daran zu zerbrechen. Hinzu kommt: Schon die Kleinsten bekommen Multivitaminpräparate und Mittel, die ihre Konzentration erhöhen sollen. So wird ihnen früh vermittelt, dass sie aus eigener Kraft nicht leistungsfähig genug sind, um den Anforderungen der zu „Early Learning Centers“ mutierten Kindergärten zu genügen, in denen sie zu „Little Giants“ geformt werden sollen. Mit fatalen Folgen für das Selbstwertgefühl.

Haben denn Förderkurse & Co. gar keinen Nutzen?

Nein, im Gegenteil. Sobald ein Kind Druck spürt, wird es in seiner Entwicklung gestört. Die Entwicklung eines Kindes wird umso mehr gelingen, je weniger wir es methodisch fördern. Vorschulkinder brauchen keine Animation für eine gesunde Entwicklung. Die um sich greifende Überpädagogisierung des Vorschulalters wirkt sich eher hemmend auf die Entwicklung der menschlichen Kernkompetenzen im Kindesalter aus. Ein Kind muss spüren, dass es seine Erfahrungen frei und ungezwungen machen kann. Dass die Liebe zu Mama und Papa und das Gefühl von Geborgenheit nicht an Bedingungen geknüpft werden. Leistung allein ist wertlos. Persönliche Leistungsbereitschaft muss in eine sozialverträgliche positive Grundhaltung eingebunden sein, an der der Einzelne gemessen wird. Diese Qualifizierung erwirbt ein Mensch als Kind im liebevollen Miteinander in der Familie.

Wird es da nicht Zeit, dem freien, ungezwungenen Spielen wieder den Platz einzuräumen, den unsere Kinder brauchen, um sich gut zu entwickeln?

Unbedingt, denn Spielen ist ein kindliches Grundbedürfnis, sozusagen der Beruf des Kindes. Durch Spielen lernt ein Kind, die Welt zu verstehen und seine Persönlichkeit zu entwickeln. Spielen ist Bildung. Denn Kinder lernen spielend. Sie sind, wenn man sie lässt, ständig damit beschäftigt, Inhalt und Konzepte aufzugreifen, nachzuempfinden, darzustellen, anzupassen und zu verändern. Im Spiel setzt sich das Kind mit seiner Umwelt auseinander. Es sammelt Erfahrungen, die es im späteren Leben anwenden kann. Im Spiel entwickelt das Kind seine motorischen, emotionalen, kognitiven und sozialen Kompetenzen – alles notwendige Qualitäten für ein erfolgreiches Leben als Erwachsener. Im Spiel erfährt das Kind das Gefühl von Macht und Kontrolle. In der Wirklichkeit ist es den Erwachsenen ausgeliefert, im Spiel jedoch kann es die Bezüge umkehren. In der Welt der Fantasie herrscht das Kind. Die eigene Macht zu spüren, dem eigenen Gestaltungswillen freien Lauf zu lassen, gelingt dem Kind nur im Spiel. Eine Grundbedingung für die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit.

Herr Professor Dr. Dawirs, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Jette Lindholm für die Redaktion.

Buchtipp

Ralph Dawirs

Riskante Jahre. Überlebenswichtige Anmerkungen zur Kindheit

Seine Erkenntnisse als Biologe und Hirnforscher zum Thema Kindheit hat Ralph Dawirs in dem lesenswerten Buch zusammengefasst. Die 30 Kapitel von der Schwangerschaft bis zur Pubertät hat er dabei mit manch humorvollem Seitenblick versehen. Eine Betrachtung der Kindheit und Jugendzeit mit viel Substanz und Tiefsinn. Schonungslos zeigt der Autor auf, wodurch eine glückliche Kindheit bedroht wird – und weist manchen Weg, der Eltern, Erzieher und Lehrer zu einer Kurskorrektur bewegen könnte und sollte.

139 Seiten, 14,95 Euro, Beltz Verlag, Weinheim und Bas

 
Das Online-Portal für Eltern

Reduction reason0

NRC

Reduction reason0

NRC