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Uli Hauser: Eltern brauchen Grenzen

Uli Hauser im Gepräch mit Gabriela Jehn für www.spielundzukunft.de

"Lasst die Kinder Kinder sein“, fordert der Stern-Reporter Uli Hauser in seinem Buch „Eltern brauchen Grenzen“. Er zeigt, wie Eltern im Erziehungsstress stecken und wie schwer es ihnen fällt, Verantwortung zu übernehmen und Kindern Liebe, Zeit und echte Erlebnisse zu geben. „Kinder sind weder Tyrannen noch Problemfälle, weder Projekt noch Partnerersatz. Hört man auf ihre Signale“, so der Buchautor, „sind Kinder sind der beste Erziehungsberater und viele bange Erziehungsfragen lösen sich von selbst.“

Uli Hauser ist Vater eines Sohnes und Ältester von sechs Geschwistern. Vor seiner Zeit als Journalist leitete er Kinder-und Jugendgruppen und organisierte Ferienfreizeiten. Er arbeitet als Reporter für den Stern.

Herr Hauser, was ist der Unterschied zwischen Kindheit früher und heute?

Einer der größten Unterschiede ist der, dass Kinder früher viele waren, d.h. Kinder wurden mit anderen Kindern groß. Im Unterschied zu 1965 gibt es heute ein Drittel weniger Kinder, die meisten davon sind Einzelkinder. Ihnen fehlen die Spielkameraden, sie sind viel mehr auf sich selbst angewiesen oder die Eltern springen als Spielkameraden ein.

Früher gab es eine klare Abgrenzung zwischen groß und klein. Es gab eine eindeutige Hierarchie, die Kindern Sicherheit bot. Bei Festen war es klar, hier waren die Eltern, dort am Kindertisch die Kinder, aber auch nicht lange, denn man schickte sie so bald wie möglich nach draußen zum Spielen. Und das ist der nächste große Unterschied: Kinder wuchsen früher draußen auf, sie organisierten sich selbst und spielten bis zum Einbruch der Dunkelheit bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. Im Freien waren sie unbeobachtet, unter sich und konnten eigene Erfahrungen machen.

Warum sind eigene Erfahrungen so wichtig für Kinder?

Weil wir nur aus eigenen Erfahrungen lernen, weil wir klettern, laufen und schwimmen wollen, weil wir Sinneseindrücke, wie Riechen, Fühlen und Schmecken brauchen, um für das Leben zu lernen. Wer abends seinen Kindern Bullerbü vorliest, muss am nächsten Tag für Auslauf und Freiraum sorgen – alles andere ist Quälerei.

Kindheit heißt Freiräume haben, aus Erfahrungen lernen, hinzufallen und wieder aufzustehen. Wem alles organisiert wird, der verliert die Eigeninitiative. Wem nie langweilig ist, der kann aus sich heraus nichts erschaffen.

Warum können viele Eltern nicht ertragen, wenn sich ihre Kinder langweilen?

Neben der Angst davor, dass unsere Kinder später nicht mithalten können, gibt es meiner Meinung nach noch ein anderes Moment: Kinder machen schon immer das, wovon wir träumen. Aber wir erziehen es ihnen ab. Sie haben eine große innere Freiheit, sie können im Moment leben, sie dürfen spielen und träumen. Wir dürfen all das nicht mehr. Mühsam versuchen wir, es in Selbsterfahrungs-Seminaren zu erreichen. Könnte es nicht unbewusster Neid sein, dass wir unseren Kindern alles das viel zu schnell entziehen? Dabei könnten wir soviel von ihnen lernen.

Inwiefern liegt jemand, der heute Kinder bekommt, quer zu Gesellschaft?

Kindheit ist das Fundament des Lebens und ein gutes Fundament braucht Zeit. Wir sind es heute gewohnt, Informationen aus allen Ecken der Erde in Sekundenschnelle abzurufen und zu verarbeiten, alles ist immer und jederzeit verfügbar, und dabei ist uns die Idee des natürlichen und langsamen Wachstums abhanden gekommen.

Kinder aber werden langsam groß und brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Doch die Geduld, tatenlos dabei zuzusehen, ist vielen Eltern verloren gegangen. Sie stehen selbst unter Zeit- und Leistungsdruck und geben diesen an ihre Kinder weiter.

„Für jemanden Zeit haben, bedeutet ihn zu lieben“, sagen Sie. Haben Eltern zu wenig Zeit für Kinder?

Eltern haben immer weniger Zeit für ihre Kinder, doch es braucht sehr viel Zeit, wenn man sich selbst um seine Kinder kümmern möchte. Es frisst Zeit, wenn man für sie kocht, mit ihnen spielt, spazieren geht, vorliest, zuhört und versucht, sie zu verstehen. Hier baut sich Bindung auf, und Bindung ist das, was die Wissenschaft als einen der Grundpfeiler von gesunder Entwicklung entdeckt hat. Wenn Zeit Geld ist, sollten Kinder auch das Gefühl haben, ihren Eltern etwas wert zu sein.

Auch der Hang zum Perfektionismus, der unsere Gesellschaft auszeichnet, geht auf die Kindheit über, die doch ein geschützter Raum sein sollte. Kinder sollen möglichst früh fit gemacht werden für die Schule und dann für das Leben. Sie sollen möglichst schnell perfekt sein, Zwischenschritte werden ausgelassen. Wenn ein Kind heute auf einen Baum klettern will, steht meist schon jemand darunter, der das Kind hochhebt und es auf einen der oberen Äste setzt. Dort kann es dann zwar weit schauen, aber das Gefühl „Man hat mir etwas zugetraut und ich hab’s allein geschafft“ bleibt aus.

Welche Rolle hat das Spielen für die Entwicklung?

„Versuch macht klug“ sagt der Volksmund. Beim Spielen brauchen Kinder nicht perfekt sein, sie dürfen Fehler machen und können Dinge ausprobieren. Indem Kinder spielen, dass sie groß sind, werden sie groß. Beim Spielen kann man Fantasie und Ideen aus sich herausentwickeln, das bieten weder Computer noch Gameboy, denn damit können Kinder nur reagieren, selbst aber nicht agieren. Kinder werden zu oft mit Ersatzbefriedigung am Computer abgespeist anstatt etwas zu erleben. Eine Erdbeere, die man im Computerspiel pflanzt, kann man hinterher nicht essen, Tiere auf CD-Rom im Bauernhof richtig zu benennen, ersetzt nicht den Besuch auf dem Bauernhof und den Stallgeruch.

Woran und wie wachsen Kinder, wie lernen sie?

Kinder wachsen an richtigen Hindernissen, das Ausweichen vor entgegenkommenden Autos am Computerbildschirm gilt nicht. Heute müssen sich Eltern anstrengen, um Kinder zu echten Erlebnissen zu verhelfen, das ist richtige Arbeit. Doch es gibt auch in Städten Freiräume und Parks, in der Nähe Seen und Wälder. Aber man muss die eigene Bequemlichkeit überwinden und Kinder dort hinbringen und dann alleine machen lassen.

Muss man Kinder nicht fördern, damit sie lernen?

Das menschliche Gehirn kann eines nicht: nicht lernen.

Worauf sollten Eltern bei der Erziehung achten?

Ich bin kein Erziehungsberater, aber ich meine, dass Erziehung im Grunde genommen einfach ist, wenn Eltern von Anfang an auf die Signale ihrer Kinder hören und sie ernst nehmen. Kinder sind der beste Erziehungsberater. Nur können manche Eltern nicht lesen oder blättern schnell weg.

Vertrauen Eltern ihrer eigenen Wahrnehmung nicht genügend?

Wenn ein Baby im Kinderwagen im Restaurant weint, und die Eltern es mit den Worten zu beruhigen versuchen „Ja, ja, vielleicht ist Dir zu stickig und zu laut hier, aber wir möchten nun auch einmal in der Woche auswärts essen dürfen“, zeigt dies, dass sie die Signale sehr wohl erkennen, aber nicht auf sie hören. Eltern sein, heißt auch, manchmal die eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen, doch das ist nicht die momentane gesellschaftliche Entwicklung.

Was unterscheidet fürsorgliche Erziehung von zu großer Einmischung?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden, dafür ist es sicherlich wichtig, ein Gefühl für sich selbst zu bekommen und einen Zugang zu den eigenen Gefühlen zu haben. Einem traurigen Kind zu sagen: „Ist doch alles halb so schlimm“, nur weil wir selbst Traurigkeit nicht aushalten, ist nicht richtig. In diesem Moment ist alles schlimm für dieses Kind und sollte es auch sein dürfen. Und in vier Minuten ist es wieder anders.

Auch eigene Ängste vor Entführung, Unfällen usw. dürfen nicht dazu führen, Kindern den Radius noch mehr zu beschneiden. Der ist in den letzten Jahrzehnten ohnehin sehr geschrumpft. Wir dürfen Kinder nicht mit unseren Ängsten ersticken. Ich ermutige meinen zehnjährigen Sohn, alleine die Häuserblocks der Umgebung zu erkunden oder lasse mich bei einer Radtour von ihm führen. Wenn wir dann woanders landen, als wir wollten, umso besser.

Was ist eine gute Grundausstattung für das Leben?

Wenn Eltern ihr Kind einbinden, ihm Zeit geben, sich zu entwickeln, und sich ihm zuwenden, wenn es sie braucht, ist das meiner Meinung nach ein guter Grundstein. Kinder brauchen Eltern, die stark sind und der Verantwortung, die sie bei der Geburt übernommen haben, gerecht werden. Sie brauchen Eltern, die um die Balance zwischen Festhalten und Loslassen wissen, die ihnen zwar klare Anweisungen, Orientierung und Halt geben, sie dann aber vertrauensvoll laufen lassen.

Was ist verkehrt daran, Kindern auf Augenhöhe begegnen zu wollen?

Wer Kinder auf Augenhöhe begegnen will, mutet ihnen eine Menge zu. Sich auch. Ich glaube, dass viele Eltern ein schlechtes Gewissen haben, sei es, weil sie zuwenig Zeit haben, sie getrennt leben oder weil die Kinder keine Geschwister haben und sie sich deshalb ihren Kindern als Kameradenersatz anbieten. Kinder aber brauchen ein erwachsenes Gegenüber. Erziehung und damit Beziehung gelingt, wenn wir uns eingestehen, dass wir auch älter sind.

Was ist „gute Autorität“, wie gelingt Erziehung?

Wenn Autorität Ausdruck einer inneren Haltung ist und von Eltern nicht nur verkörpert wird. Wenn Kinder merken, dass Vater und Mutter gelassen bleiben, entspannt und sicher sind und nicht von einer Aufgeregtheit in die nächste fallen. Wenn Eltern entschieden sind in ihren Regeln und nicht widersprüchlich zu ihren Reden, wenn sie halten, was sie versprechen, wenn sie verbindlich sind und berechenbar, wenn sie die Integrität ihrer Kinder anerkennen und ihnen mit Achtung begegnen. Dann kann Erziehung gelingen.

Danke für das Gespräch, Herr Hauser!

In seinem Buch „Kinder brauchen Grenzen“ beschreibt Uli Hauser die Grundrechte von Kindern.

Um sie zu lesen, klicken Sie bitte hier .


Uli Hauser

Eltern brauchen Grenzen

Lasst die Kinder Kinder sein

Uli Hauser, Vater, Reporter und Ältester von sechs Geschwistern, macht Eltern Mut, ihre Kinder laufen zu lassen und sich nicht ständig einzumischen. Er fordert Liebe, Zeit und echte Erlebnisse statt Schul- und Erziehungsstress und eine Rückbesinnung auf das, was Kindheit früher einmal war: unbeschwert spielen und etwas erleben können, in Freiheit und doch geborgen aufwachsen dürfen. Stattdessen herrschen Turboschule und Förderwahn. Uli Hauser beschreibt, wie reglementiert unsere Kinder heute aufwachsen, dass alles nur »gefühlt« gefährlicher geworden ist und wie der Leistungsdruck viele Kinder krank macht.

Das Buch möchte Eltern ermutigen, Erziehung entspannter anzugehen. Statt Sorgen, Kontrolle und Förderstress brauchen unsere Kinder Abenteuer, kleine Geheimnisse und das Erlebnis, dass es auch mal langweilig sein darf.

Piper Verlag, 240 Seiten , ISBN: 9783492262828, € 8,95

 
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