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Liebe und Entfaltungsmöglichkeit

"Liebe ist eine der wichtigsten Vorrausetzung für eine gesunde Kindesentwicklung. ... Kinder wie Erwachsene brauchen zur eigenen Lebensgestaltung seelisch–geistige Orientierungen, Wertvorstellungen und Aufgaben, an denen sie wachsen und mit denen sie sich innerlich verbinden können. Kinder brauchen Freiheit und Regeln, Rituale, Klarheit und Wahrhaftigkeit.", sagt Peter Lang.

 

Peter Lang, Jahrgang 1939, ist Pädagoge und war lange Jahre Vorstandsmitglied der "Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten", und arbeitet als Dozent und Seminarleiter an verschiedenen Kindergartenausbildungsseminaren im In- und Ausland u.a. in der Türkei, in Litauen, der Ukraine,  in Japan und Korea. Derzeit ist er im Vorstand der "Vereinigung der Waldorf- Kindertageseinrichtungen Baden-Württemberg e.V.

Herr Lang, Sie beschreiben in Ihrem Buch „Waldorfkindergarten heute - eine Einführung“ zwei elementare Grundbedürfnisse von Kindern. Was sind das für Grundbedürfnisse?

Einer der führenden Neurobiologen, Gerald Hüther, macht in seinem Buch“ Männer- das schwache Geschlecht und sein Gehirn“, 2009, auf diese beiden Grundbedürfnisse, Erfahrungen und Erwartungen aufmerksam, mit denen alle Kinder, Jungen wie Mädchen, geboren werden.

1.Das Bedürfnis nach Verbundenheit, Geborgenheit und Sicherheit. Es erwächst aus der bereits im Mutterleib gemachten Erfahrung und hat sich tief im Gehirn des Kindes verankert. “Ohne diese Erfahrung engster Verbundenheit und Geborgenheit kann kein Kind zur Welt kommen. Sie ist tief im Gehirn jedes Neugeborenen verankert und bestimmt die Erwartungshaltung, mit der jeder Junge und auch jedes Mädchen sich nach der Geburt auf den Weg macht“. (Hüther, S. 84)

2. Das Bedürfnis, Neues zu erfahren und Aufgaben nachzugehen, an denen man wachsen kann, d.h. das Bedürfnis nach Potenzialentfaltung, Autonomie und Freiheit;“ deshalb sind alle Kinder so offen, so entdeckerfreudig und so gestaltungshungrig. Und deshalb erwarten sie, dass sie auch nach der Geburt weiterhin Gelegenheit finden, sich als Weltenentdecker und Weltgestalter auf den Weg machen zu können“. (Hüther, S.84)

 

Ist die wichtigste Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung also die Liebe?

Uneingeschränkt: Ja! Der Schweizer Pädagoge Heinrich Pestalozzi beantwortete etwa um 1815 die Frage, was denn Erziehung sei so:“ Erziehung ist Beispiel und Liebe – sonst Nichts!“. Sichere, liebevolle Beziehungsverhältnisse, Eltern, Erzieher, die Kinder vorbehaltlos annehmen, so wie sie sind, Eltern, die nicht aus ihren Kindern etwas „machen“ wollen, Eltern, die ihren Kindern das Gefühl tiefer Verbundenheit schenken, die Kinder ermutigen, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu entwickeln, die Kindern die erforderliche Zeit für ihre eigene Entwicklung geben, Eltern und Erzieher, die den kleinen Kindern Orientierungshilfe sind; All dies macht wahrnehmbare, erlebbare Liebe aus. Rudolf Steiner fasst das im Sinne des zuvor gesagten zusammen in „Vorbild und Nachahmung“ d.h. das Orientierung gebende, liebevolle Vorbild des Erwachsenen und die mitgebrachte Fähigkeit des Kindes, nachahmen zu wollen und zu können, sich für die Welt zu interessieren, sind bedeutsame Bausteine dafür, dass Kinder später liebefähige Erwachsene werden können.

Viele Eltern meinen, Kinder sollten schon im Kindergarten zum Lernen angehalten werden, Sie aber sagen „Kindheit bedeutet Spielzeit“. Warum ist das Spielen so wichtig für Kinder?

Das kindliche Spiel ist eine weitgehend freie, selbstbestimmte, aus dem Kind heraus sich entfaltende Aktivität, in der Phantasie, Bewegungsfreude, die Lust am puren Tätigsein, ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit in Erscheinung tritt. Dabei lernt das Kind in intensiver Weise, aber es ist eine ganz andere Form des Lernens als zum Beispiel in der Schule oder als das Erwachsenen-Lernen.

In der Art und Weise, wie ein Kind spielt, offenbart sich einerseits sein Entwicklungsstand und seine Beziehung zur Umgebung, andererseits gestaltet sich im Spiel die Fähigkeit, sich zur Welt handelnd, fühlend und denkend in Beziehung zu setzen.

Bereits im ganz kleinen Kind, das den Kopf hebt, sich auf die Arme stützt, zum Sitzen kommt und immer wieder übt, bis es steht und die ersten Schritte macht , wird menschlicher Wille, Tätigkeitsdrang sichtbar. Dieser Tätigkeitsdrang prägt das Spiel der ersten Lebensjahre. Was das Kind sinnlich wahrnimmt, setzt es direkt in Tätigkeit um: Es entsteht ein Spiel, das noch weitgehend zweckfrei ist, oft verknüpft mit der Freude an der Wiederholung. Wenn diesem Tätigkeits- und Bewegungsdrang genügend Raum und Zeit gegeben wird, entsteht ein Teil des Fundamentes, auf dem ein aktiver, tatkräftiger Erwachsener steht, der etwas leisten will und kann.

In der zweiten Spielstufe, etwa zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr, gesellt sich zum reinen Tätigkeitsdrang die Spielfantasie. Die Fantasiekraft des Kindes schafft gleichsam die Welt neu, gestaltet sie um, indem das sinnlich Wahrgenommene jetzt innerlich bewegt, fühlend umgeformt und spielen neu gestaltet wird; hier wird der Boden bereitet, auf dem die aktive Kreativität des späteren Erwachsenen sich entfalten kann.
Etwa zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr zeigt sich im Spiel eine dritte Qualität: Mehr und mehr durchdringen Vorstellungs- und Verstandeskräfte das Spiel des Kindes, seine Gedächtniskräfte nehmen intensiv zu, es reift zum sozialen Wesen. Die Kinder organisieren nun ihr gemeinsames Spiel, entwickeln Regeln, planen und treffen Verabredungen. Sie verbünden sich, manchmal auch gegen den Erwachsenen, sie beherrschen mehr und mehr die Sprache und entdecken ihre unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten, sie beobachten immer genauer und detaillierter. Diese dritte Qualität des kindlichen des kindlichen Spiels bereitet die spätere Fähigkeit zur klaren gedanklichen Durchdringung der Weltzusammenhänge vor.

Keiner dieser Entwicklungsschritte im kindlichen Spiel ist verzichtbar, keiner darf vernachlässigt oder etwa verkürzt werden, alle sind unschätzbare Bausteine für die spätere Lebensgestaltung des Erwachsenen.

Warum ist es so wichtig, dass Kinder sich viel bewegen? Wie sorgt man im Waldorfkindergarten dafür?

Viele Kinder leiden heute unter Bewegungsmangel, Grob- und Feinmotorik sind unzureichend entwickelt, sie „durchsitzen ihre Kindheit“. Doch die seelische und geistige Befindlichkeit des Menschen korrespondiert mit seiner körperlichen Beweglichkeit – wer sein körperliches Gleichgewicht nicht halten kann, bekommt auch eher Probleme mit der seelischen Balance. Die Fähigkeit, sich geschickt und zielstrebig zu bewegen, beeinflusst außerdem ganz entscheidend den Spracherwerb. Im Waldorfkindergarten wird deshalb besonders darauf geachtet, dass sich die Kinder vielseitig bewegen. Regelmäßige Wandertage oder Spielen und Arbeiten im Garten gehören ebenso in dieses Spektrum wie Reigen oder Fingerspiele, Malen, Handarbeiten, Werken, auf die Bäume klettern, Brötchen backen, Kneten, Stelzen laufen, Arbeiten an der Werkbank ... Auf diese Weise erwerben sich die Kinder ihre Körper- und Bewegungskompetenz.

Immer mehr breiten sich virtuelle Welten um uns herum aus. Warum ist es wichtig, dass Kinder unmittelbare Erfahrungen machen?

Kinder brauchen ein waches Bewusstsein für das, was um sie herum und in ihnen geschieht. Dies entwickelt sich mit dem Vertrauen in die eigene Wahrnehmungskraft. Deshalb brauchen Kinder in den Jahren vor der Schule (und auch später) verlässliche, unverfälschte Sinneseindrücke. Im Waldorfkindergarten erleben die Kinder die reale Welt in einer von den Erwachsenen qualitativ gestalteten Art und Weise. Mit ihren Sinnen nehmen sie Zusammenhänge wahr und lernen sie so zu verstehen. Gesund und naturnah produzierte Lebensmittel, die Echtheit der verwendeten Materialien(sieht aus wie Holz ist aber Plastik), die nicht auf Sinnestäuschung ausgelegt sind, fördern diese Entwicklung ebenso wie harmonisch gestaltete Räume und eine wohltuende Abstimmung von Farben und Materialien im Umfeld des Kindes. Auch die später erforderliche Medienkompetenz bedarf einer entsprechenden pädagogischen Grundlage: Kinder sollen, um die Welt wirklich erkennen zu können, in ihrer Kindheit mit ihr in direkter Weise in Wechselwirkung treten. Auf diese Weise erwerben sie sich ihre Sinnes- und Wahrnehmungskompetenz.

So schreibt Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Ulm und Leiter der dortigen Universitätsklinik in seinem Buch: Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg, Berlin, 2002 , S.225:“ Nur dadurch, dass ich Wasser anfasse, kann ich lernen, was es heißt, das Wasser nass ist. Zugleich höre ich das glucksen oder tropfen, sehe die Wellen, rieche vielleicht das Meer oder das Gras am Seeufer und erhalte so einen Gesamteindruck, der in mir – zusammen mit vielen anderen solcher Erfahrungen – zu einer komplexen und differenzierten Repräsentation von Wasser führen wird.... Die bereits stattgefundene Wechselwirkung mit der wirklichen Realität ist also die Voraussetzung dafür, dass ich mit der virtuellen Realität des Computers auch nur im Ansatz umgehen kann.... Aus all dem folgt: Computer haben im Kinderzimmer, in Kindergärten absolut nichts zu suchen“.

Warum ist die Pflege der Sprache und das miteinander Sprechen und Vorlesen so wichtig?

Denken und Sprechen sind eng miteinander verknüpft. Nur mit der Sprache können wir das Gedachte, aber auch unsere Gefühle ausdrücken, allen Dingen in der Welt einen Namen geben und miteinander ins Gespräch kommen. Kinder lernen nur dann sprechen, wenn sie in einer sprechenden Umgebung aufwachsen. Dabei bildet das sprachliche, seelisch warme Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenem den Nährboden für eine gute, bildhafte und differenzierte Sprechweise. In den letzten 25 Jahren hat sich der Anteil der sprachgestörten sprachentwicklungsverzögerten drei- bis vierjährigen Kinder auf rund 25 Prozent erhöht. Mitte der siebziger Jahre hatten nur etwa 4 Prozent der drei- bis vierjährigen Kinder behandlungsbedürftige Sprachentwicklungsrückstände. Prof. M. Heinemann, Direktor der Klinik für Kommunikationsstörungen der Uni-Klinik, Mainz sieht die Gründe für die Entwicklung im Vormarsch des Fernsehen, dass in den Familien zu wenig gesprochen, zu wenig vorgelesen und erzählt wird. Der Begriff der „schweigenden Familie“ macht unter Fachleuten die Runde. ( aus: Sprich mit mir, Pestalozzi-Verlag, Erlangen, 1997, S.118 ff.)

 

Wie wird dieses Wissen im Waldorfkindergarten umgesetzt?

Im Waldorfkindergarten haben daher Lieder, Geschichten, Märchen, Verse, Fingerspiele, Reime einen großen Stellenwert. Die Sprechweise der Erzieherinnen sollte dabei liebevoll, klar, deutlich und bildhaft sein und der Altersstufe angemessen. Die so genannte Babysprache wird deshalb hier nicht zu finden sein, ebenso wenig wie abstrakte Erklärungen. Auch die Zuwendung, das Interesse und die Zeit des Erwachsenen fördern und aktivieren das Sprechen, Erzählen und die Sprechfreude der Kinder; es baut sich Sprachkompetenz auf.

Viele Eltern halten Fantasie für schädlich und meinen, Kinder sollten möglichst früh an reale Fakten gewöhnt werden. Warum erachten Sie die Ausbildung von Fantasie- und Seelenkräften für so wichtig?

Kinder bringen ihre Fantasie- und Kreativitätskräfte mit, sie gehören zum Wesen eines jeden Menschen. So spricht der deutsche Psychologe William Stern (Psychologie der frühen Kindheit, Heidelberg,1967) von der kindlichen Schöpferkraft, die sich einerseits auf Wahrnehmungen und reale Erlebnisse stützt, andererseits aber eine „ Kraft an sich ist“, die Kinder befähigt, die Welt so zu schaffen, wie sie hier und jetzt nicht existiert. Menschliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung sind ohne schöpferische Kreativität und Fantasie nicht vorstellbar. So nimmt die Entwicklung und Pflege der kindlichen Fantasiekräfte im Waldorfkindergarten konkrete Gestalt an. Es gibt kein monofunktionales Industriespielzeug, sondern alle Materialen aus der Umgebung können schöpferisch im Spiel eingesetzt werden; Erzählte Geschichten regen die Kinder an, das Gehörte in schöpferische, spielende Aktivität umzusetzen und zu verwandeln.

Die kindliche Fantasie ergreift alles, was sich ihr anbietet, und da kleine Kinder noch nicht oder nicht sicher nach Gut oder Schlecht unterscheiden, ist es die pädagogische Aufgabe der Eltern und Erzieher, dies zu tun. Alles Fantasievolle, alles Künstlerische weitet die Seele und das Bewusstsein des Menschen. Fantasie- und Kreativitätskompetenz, im frühen Kindesalter angelegt, verhelfen dem Jugendlichen und Erwachsenen zu Ideenreichtum, seelisch-geistiger Beweglichkeit und Fantasie bei der Lebensgestaltung und in der Arbeitswelt.

Was verstehen Sie unter Sozialkompetenz? Sollten Kinder nicht eher lernen sich durchzusetzen, statt Rücksicht zu nehmen?

 

Kinder sind von Geburt an soziale Wesen und wollen sich lernend in menschliche Beziehungsverhältnisse einleben. Im sozialen Miteinander geht es immer darum, die Interessen, Wünsche, Bedürfnisse des Einzelnen in ein Verhältnis zur sozialen Gemeinschaft zu bringen. Wir brauchen heute mehr denn je, im Kleinen wie im Großen, Gemeinschaften, in denen Platz ist für die Belange jedes Einzelnen und in denen man sich auf Verabredungen verlassen kann, wo Regeln gelten und Vertrauen lebt. Gerade Kinder brauchen Gemeinschaften, in denen sie möglichst viele dieser sozialen Lebensregeln kennen lernen und sich an ihnen orientieren können. Der Waldorfkindergarten ist ein solcher Lebensraum. Hier lernen die Kinder, eingebunden in einen haltgebenden Tages- und Wochenrhythmus, dass es Regeln gibt, ebenso wie Aufgaben, z.B. etwas aufzuräumen, den Tisch zu decken, die Blumen versorgen. Kinder lernen dabei Verantwortung zu übernehmen. Sie erleben aber auch Eltern, die sich im Kindergarten aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligen, zum Beispiel beim Gartenputz in Frühjahr und im Herbst, beim Renovieren von Räumen, wenn Spielzeug repariert und gemeinsam Feste gefeiert werden. Ohne Sozialkompetenz ist das Leben des einzelnen Menschen in einer Gemeinschaft konfliktreich, oft destruktiv. Wenn frühzeitig soziale Lebensregeln erfahren und gelernt werden, können Gemeinschaften entstehen, in denen sich alle gemeinsam und jeder Einzelne mit ihren Interessen und Fähigkeiten einbringen können.

Wie lernen Kinder Werte und warum sind diese wichtig für unsere Gesellschaft?

Kinder wie Erwachsene brauchen zur eigenen Lebensgestaltung seelisch –geistige Orientierungen, Wertvorstellungen und Aufgaben, an denen man wachsen und mit denen man sich innerlich verbinden kann. Kinder brauchen Freiheit und Regeln, Rituale, Klarheit und Wahrhaftigkeit. Dabei kann es nicht darum gehen, ihnen etwa Moral zu predigen. Wer Kindern Moral predigt, lehrt sie höchstens das Predigen, nicht aber die Moral. Es kommt also darauf an, dass Kinder Erwachsene erleben, die „echt“ sind, die sich selbst immer wieder um Klarheit und Wahrhaftigkeit bemühen, die einen liebevollen und verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur pflegen, sie wollen Dankbarkeit erleben- z. B in einem Tischspruch, sie wollen Eltern und Erziehern begegnen, die sich um Alte, Kranke oder Menschen in Not kümmern und die versuchen, das soziale Leben liebvoller und mit weniger Hass, Gier, Neid und Missgunst übend zu gestalten. Kinder brauchen Eltern und Erzieher, die sich engagieren, im Kindergarten, in Vereinen in der Politik. Kinder, die erleben konnten, dass Erwachsene sich immer wieder um Klarheit und Wahrhaftigkeit bemühen, die an einer ethisch-moralischen Lebensorientierung arbeiten – diese Kinder haben gute Chancen , dass sie als Jugendliche und Erwachsene an einer menschenwürdigeren Welt mitarbeiten werden.

 

Immer mehr Kinder bekommen den Stempel „hyperaktiv“. Wie motiviert man Kinder im Waldorfkindergarten und wie lernen Kinder sich zu konzentrieren?

In pädagogischen Fachkreisen, in Kindergärten, Schulen und bei Kinderärzten wird seit Jahren häufig über ein bestimmtes Krankheitsbild gesprochen. Die Rede ist von sehr nervösen, unkonzentrierten und auch hyperaktiven Kindern und Jugendlichen.

In der Kindergartenarbeit allgemein kann es nicht darum gehen, schwer gestörte Kinder medizinisch zu behandeln, aber es geht auf jeden Fall darum, vorbeugend tätig zu werden, zumal viele dieser kindlichen Störungen Auswirkungen „moderner“ Lebensweisen sind, in denen Zeitmangel, Hektik, Stress, Leistungsdruck, Lärm, Medienkonsum u.a. die Kinder behindern. Im Waldorfkindergarten achten die Pädagogen daher darauf, dass eine fröhliche und stress- und angstfreie Atmosphäre lebt, in der Kinder sich wohl fühlen können. Kinder brauchen heute mehr denn je viele Gelegenheiten, Handlungszusammenhänge zu erleben und selber im eigenen Tun umzusetzen. Kleine Kinder haben viele Interessen, sie sind neugierig und lassen sich rasch ablenken; dies gehört zu ihrem Wesen. Genauso wichtig ist es aber, dass die allgemeine Hektik, das Oberflächliche oder die Langeweile sich nicht im Kindergarten ausbreiten. Regelmäßige Wiederholungen und rhythmisierende Gestaltungselemente im Tagesablauf bis hin zum Erleben des Jahreslaufes mit seinen vielen Höhepunkten und Jahresfesten helfen mit, die Konzentrationsfähigkeit der Kinder zu stärken. Kinder wollen selber tätig werden, und so kommt es darauf an, diesem Grundbedürfnis zu entsprechen, wo immer das möglich und sinnvoll ist. Dabei ist zu beachten, dass nicht die Überfülle der Angebote die Motivation zum Tun fördert, sondern genau umgekehrt:“ Ein Weniger ist mehr“. So gilt im Waldorfkindergarten absolute Abstinenz bei elektronischen Medien – nicht etwa aus einer technikfeindlichen Haltung, sondern weil man die Kinder schützen möchte vor krankmachenden Einflüssen, die bis in die Gehirnbildeprozesse wirken. (Siehe hierzu zahlreiche Veröffentlichungen von G. Hüther, M. Spitzer, Chr. Rittelmeyer, J. Bauer u.a.). Damit kein falscher Eindruck entsteht: Seit der Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart im Jahr 1919 gibt es das Fach Technologieunterricht, und damit ist damals wie heute gemeint, dass die Schüler der Mittel- und Oberstufen mit der jeweils aktuellen Technologie bekannt und in Grundzügen vertraut gemacht werden; auf heute bezogen, es wird Hardware und Software gebaut, damit die Schüler die innere Funktionalität eines PC verstehen.

 

Herr Lang, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Gabriela Jehn.

 

Buchtipp:

"Waldorfkindergarten heute - Eine Einführung"
hg. von Marie-Luise Compani und Peter Lang

 

Der Titel des Buches ist zu bescheiden für das, was sich dahinter verbirgt. Zwölf Autoren liefern nicht nur eine „Einführung“, sondern geben einen fundierten Überblick über die verschiedenen Aspekte der Waldorfpädagogik und Einblicke in das praktische Arbeiten im Waldorfkindergarten. Die Leser erfahren, wie das anthroposophische Menschenbild die Waldorfkindergärten prägt und dort in die Praxis umgesetzt wird.

Peter Lang und Marie-Louise Compani schlagen einen großen Bogen von der Geschichte der ersten Waldorfkindergärten bis hin zu den Aufgaben und Angeboten  von Waldorfkindergärten heute. Gestreift werden hierbei der Kampf um Kinderrechte weltweit, die Pisaproblematik, die Resilienzforschung und die Prinzipien der Salutogenese. Denn auch mit den Ergebnissen dieser Forschungsrichtungen lässt sich verstehen, warum Waldorfpädagogik ein gesund machender Erziehungsansatz für Kinder ist, den immer mehr Eltern für ihr Kind wählen. Interessant hierbei die sind beispielsweise die Forschungen zum Lärmpegel in Waldorfkindergärten.

Marie Louise Compani erklärt anhand der Spielschritte in der Entwicklung, warum das freie Spiel ein Quell für Bildung ist und warum Bindung vor Bildung stehen muss.  Den Alltag im Waldorfkindergarten darstellend, zeigt sie wie wichtig eine gute Eingewöhnung, Platz für die individuelle Entwicklung und Rhythmus dafür ist, dass sich ein Kind geborgen und sicher fühlt, um sich dann seinen Anlagen und seinem Tempo gemäß entwickeln zu können.

Dass sich Waldorfkindergärten nicht der den Anforderungen der Zeit verschließen, zeigen die Fachbeiträge von Birgit Krohmer, die beschreibt mit welchen Methoden Waldorf-Einrichtungen Kleinkinder unter drei Jahren betreuen und der Aufsatz von Andreas Neider, der das Prinzip der „Medienbalance“ im Vorschulalter vertritt. Auch ein anderer Beitrag von Peter Lang erklärt ohne dogmatisch erhobenen Zeigefinger, jedoch mit viel Empathie für das Kindeswohl, wie Kinder getäuscht und um die grundlegenden Erfahrungen gebracht werden, wenn sie zu früh Fernsehen und Computer ausgesetzt sind. Sie werden, so Langs Fazit, um ihre Fantasiekräfte und ihr Bewegungs- und Sprachvermögen betrogen.

Bereichert wird dass Buch durch Einblicke in den Alltag des Kindergartens wie Angelika Prangest einfühlsamer Schilderung, wie man Kinderzeichnungen verstehen kann, Jaquelines Walter-Baumgärtners einprägsame Einführungen in die „“rhythmischen-musikalischen Sprech- Sing und Bewegungsspiele“ und Michael Kassners wichtige Ausführung zur  Bedeutung der „Ernährung im Kindergarten“ sowie Elisabeth Göbels lebhafte Beschreibung der „Eurythmie im Vorschulalter“. 
Wie wichtig die Elternarbeit, Selbsterziehung und die innere Haltung für Kind und Kindergarten sind, verdeutlicht das letzte Kapitel von Claudia Grah-Wittich.

Kindergarten heute zeigt, wie Bildung für Kinder gelingen kann und warum Verständnis für die kindliche Entwicklung die Vorraussetzung für jegliche Erziehung ist. Keiner der Aufsätze ist abgehoben oder gar langweilig zu lesen, alle verbindet das Prinzip der Waldorfpädagogik, dass der verabreichte Stoff so lebendig wie möglich vermittelt werden soll. Das ist in „Kindergarten heute“  aufs Beste gelungen, sogar als erfahrene „Waldorfmutter“ konnte ich noch viel Neues lernen und damals im Kindergarten verwundert Beobachtetes neu einordnen. Wir können das Buch als Grundlagenlektüre für alle „Waldorfeltern“ oder solche, die vor der Entscheidung stehen, ob sie es vielleicht werden wollen, wärmstens empfehlen.

Mit Beiträgen von Marie-Luise Compani, Elisabeth Göbel, Claudia Grah-Wittich, Freya Jaffke, Michael Kassner, Birgit Krohmer, Peter Lang, Claudia McKeen, Andreas Neider und Jaqueline Walte


Verlag Freies Geistesleben,

 
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