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Spielzeugtrends und ihre Bedeutung für Kinder

Die ersten Lebensjahre eines Menschen sind entscheidend wichtig für sein ganzes späteres Leben, darüber ist man sich heute allseits einig. Hier wird die Grundlage dafür gelegt, wie ein Mensch in der Welt steht. Das Spielen ist in diesem Prozess eine der wichtigsten Aktivitäten des Kindes. Im Spiel lernt das Kind sich selbst und die Welt kennen, es bildet seine Motorik und seine Sinne aus, es lebt sich nachahmend in das Menschsein ein, entwickelt Kreativität und Phantasie und die Grundlagen seiner denkerischen Fähigkeiten. Es erfährt sich als tätiges und soziales Wesen, das handelnd und reagierend mit seiner Umwelt in Kontakt steht. Es entwickelt Zutrauen zu sich selbst und zu der Welt, die es umgibt.

Bis vor etwa 150 Jahren kamen Kinder mit ganz wenigen, meist handgemachten Spielsachen aus und bereicherten ihr Spiel ansonsten mit zufällig gefundenen Dingen und viel Phantasie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Lebensphase „Kindheit“ zu erwachen und im Zuge dessen entdeckte die Industrie den Bereich Spielwaren für sich. Der Markt wuchs seitdem stetig und erlebte seit der Erfindung kostengünstiger Kunststoffe einen wahren Boom.

Vermutlich hat die Menschheit noch nie so viele Spielsachen für Kinder hervorgebracht, wie dies heute der Fall ist. Zunächst könnte man meinen, dies sei zutiefst erfreulich: die Menschheit wendet sich dem Kind zu, erkennt die Wichtigkeit des Spiels für die menschliche Entwicklung und versucht diese Entwicklung durch zahlreiche Spielsachen zu unterstützen.

Ein Besuch der Internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg macht allerdings deutlich, dass Spielzeuge, die diesem Anliegen entspringen, immer mehr zu Nischenprodukten werden. Der Spielwarenmarkt als Ganzes spricht eine ganz andere Sprache. Unendlich viel Destruktives, Düsteres, Kaltes und Sinnentleertes lässt sich da finden, das zu allem anderen nütze zu sein scheint, als dazu, den heranwachsenden Menschen in seinen ersten Jahren zu begleiten und ihn zu prägen.

Einer der Haupttrends auf der Messe sind elektronische Spielzeuge, ob nun in Form von unzähligen Computer- und Videospielen, von elektronischen Lernspielzeugen oder in Form von klassischen Spielzeugen, die zunehmend elektronische und digitale Elemente integrieren. In beinahe jedem Spielzeugsektor machen sich Produkte breit, die dem Kind die Eigenaktivität und die Phantasieleistung abnehmen. Ob das die Puppe ist, die auf Knopfdruck spricht, schnarcht, weint oder aufstößt, das Kindertelefon, das fertige Dialogteile abspult oder die Holzeisenbahn, die von alleine fährt und bei der die Bahnsteigansage im Bahnhof automatisch ertönt. Immer mehr wird das Kind zur Passivität im Spiel verbannt, der Knopfdruck ist alles, was von ihm noch eingebracht werden muss oder darf. Der Puppe muss nicht mehr Leben eingehaucht werden, die Worte können ihr nicht mehr in den Mund gelegt werden und man muss sich auch nicht mehr vorstellen, dass ihre Windeln gewechselt werden müssen, denn die sind nach dem Trinken tatsächlich nass. Immer mehr Spielzeugautos brummen, hupen, bremsen und fahren von selbst an, wenn der richtige Schalter bedient wird. Das Kind wird zum Zuschauer und Schaltpult-Bediener; der Bewegungs- und Willensbereich in ihm wird kaum noch angesprochen und damit auch immer schwächer ausgebildet.

Und auch die Ausbildung der Phantasie wird hier richtiggehend unterbunden. Wo das naturgetreue Spielzeughandy vorgegebene Fragen und Antworten abspielt, ist kein Raum für ein frei erfundenes, gespieltes Gespräch. Eigene Vorstellungen, Bilder und Gedanken bleiben auf der Strecke. Herbeizitiert wird der Aspekt der Phantasie in entstellter Form, wo es um die Einführung von absurden, skurrilen oder düster-bedrohlichen Erscheinungen auf dem Spielzeugmarkt geht. So bevölkern Monster aller Art und die absurdesten Dinge, wie sprechende und mit Gesichtern versehene Grills, Rasenmäher und Klostühlchen die Kinderzimmer.

Die Zielgruppe für virtuelle Spielzeuge, sprich für Computer- und Videospiele wird immer jünger. In diesem Jahr wurden bereits Spiele für Einjährige angepriesen und das Angebot für Dreijährige hat seit vorigem Jahr deutlich zugenommen. Beworben werden die Spiele, die meist dem Bereich von Lernspielzeugen zugeordnet werden und damit ganz im Förder-Trend von PISA liegen, mit dem Argument, dass die Kinder hier wenigstens (inter-) aktiv ins Geschehen mit einbezogen werden und nicht, wie beim Fernsehen, völlig passiv vor dem Bildschirm sitzen. Per Taste können sie reagieren, auswählen und eingreifen.

   Was heißt es aber, wenn Kinder immer mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen, die Welt nicht mehr selbst erleben oder gestalten dürfen, wenn sie immer weniger unmittelbare Sinneseindrücke haben, immer seltener mit anderen direkt  kommunizieren?  Dies zielt ab auf eine Entfremdung von der Realität, von der Welt und sich selbst, es führt zu einer seelischen Verarmung und damit in eine autistische Haltung hinein.

Das Gros aller Lernspiele – auch im nicht-virtuellen Bereich – richtet sich an den Intellekt der Kinder. Viele Kinder „lernen“ und „wissen“ alles darüber, wie es am Bauernhof zugeht, was alles stattfinden muss, bis die Milch in ihren Tassen landet. Aber sie haben keinerlei eigenes Erleben dazu, sie kennen weder Weiden noch Kühe. Es ist eine Abstraktion, in der sie groß werden, eine gut informierte Weltfremdheit.

Der Spielzeugmarkt versucht auf mannigfaltige Weise die Echterfahrung und das Eigenerleben zu ersetzen, die Eigenaktivität und Phantasieausbildung durch Fertiges, Vorgegebenes überflüssig zu machen.

Die Frage „Warum?“ drängt sich auf. Ist es wirklich nur Ignoranz und Unwissenheit darüber, was hier kurz- und langfristig bei den Kindern bewirkt wird? Ist es blinde Geschäftstüchtigkeit?

Warum bringt eine Firma wie Lego mit ihrer „Exoforce“- Produktlinie grausige Kampfmaschinen ins Kinderzimmer? Warum sprechen so viele Erwachsene darauf an, dass es zum Trend in diese Richtung kommt? Was will man Kindern mit auf den Weg geben, wenn man sie mit Monstern oder fratzenhaften, bösartig aussehenden Menschenfiguren spielen schickt?

Ist es Naivität, wenn Brio für 3-5jährige statt bunten Eisenbahnen nun ein „Network“ herausgebracht hat, das mit dem alt vertrauten Schienensystem das Innenleben eines Computers nachbildet und diese „Welt“ mit Figuren wie dem Email-Man, Viren, CD-Brennern bevölkert? Am Messestand wird argumentiert, es sei wichtig, schon die Kleinen spielerisch in die Computerwelt einzuführen, damit sie sich aus der Welt ihrer Eltern, die vor dem Computer sitzen, nicht ausgeschlossen fühlen. (Welch abstrakte Erwachsenengedanken!)  Man habe im Übrigen in einer Studie festgestellt, dass Kinder sich mit ihren Spielfiguren viel besser identifizieren, wenn sie während des Spiels die Gesichter sehen könnten. Deshalb liegen die „Networker“ in ihren Kurzzügen mit Gesicht nach oben. Doch wer hat bei Brio darüber nachgedacht, mit welchen Gesichtern sich die spielenden Kinder da identifizieren sollen? Die Networker haben grausige Fratzen, entstellte oder entmenschlichte Gesichter oder – wie der Detektiv – statt Gesicht eine aufgemalte Lupe. Was soll damit im Kind angeregt werden und welcher Teil von seinem Wesen soll sich hier wohl identifizieren? Was soll hier geprägt werden?

Wie kommt es dazu, dass die vier Hauptcharaktere der Ninja-Turtles (Kampfschildkröten) ausgerechnet die Namen Michelangelo, Donatello, Leonardo und Raphael tragen? Ist das Ironie, Hohn gegenüber menschlichen Kulturträgern oder der bewusste oder unbewusste Versuch, einen Bereich zu verzerren und zu banalisieren, der sich an das Höhere im Menschen richtet?

Nach einem Gang durch die 14 Hallen der Spielwarenmesse fällt es schwer, noch an Naivität zu glauben, viel zu präsent ist die Tendenz in Richtung Sinnentleertheit, Entmenschlichung, Abstraktion und Destruktivität. Hier geht es bestenfalls ums Geschäft, um Trends, aber vielleicht auch um viel mehr. Es ist ein Angriff auf die Kindheit, der hier momentan stattfindet, ja im Grunde auf die ganze Menschheit, deren empfindsamster und beeinflussbarster Teil ja Kinder sind.

Doch dieser Artikel ist nicht als Lamento gemeint, auch nicht als Schwarzmalerei. Mein Wunsch ist es vielmehr, eine höchst bedenkliche Entwicklung an einigen Beispielen aufzuzeigen, wach zu rütteln und Bewusstsein zu schaffen. Denn es ist dringend nötig, dem etwas entgegenzusetzen. Es gibt sie ja noch, die Kinder, die richtig spielen, die sich gesund entwickeln dürfen. Und es gibt auch noch Spielzeugfirmen, die sich in ihrer Nische diesen Trends und Einflüssen nicht beugen, die versuchen, mit ihren Produkten das Kinderspiel zu bewahren und Kinder auf kindgerechte Weise in ihrer Entwicklung zu fördern. Aber wenn wir nicht wollen, dass es immer weniger spielende Kinder gibt, dann muss etwas geschehen. Und dass etwas geschieht, liegt in unserer Hand.

Sibylle Engstrom

Redaktion des Eltern-Online-Portals www.spielundzukunft.de

Ursprünglich erschienen in Kindliches Spiel, Erziehungskunst 4(2006), S. 428-430. Das Heft ist zu beziehen über www.erziehungskunst.de

 
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