Margarete Ostheimer GmbH homebanner
header-standard

Kinder brauchen Puppen

Warum sie für Mädchen und Jungen so wichtig sind

Ein Gespräch mit Gabriele Pohl

„Die Puppe war schon immer und ist auch heute noch das wichtigste Spielzeug des Kindes. Leider wird das von vielen Eltern nicht mehr so gesehen, und die Kinder werden eher mit Stofftieren versorgt. Mit der Puppe geht das Kind durch Höhen und Tiefen, an ihr übt es sich in Empathie und sozialer Intelligenz. Die knuddelige Puppe zum Liebhaben gehört deshalb in jedes Kinderzimmer. Puppen, die auf Knopfdruck lachen oder reden können, brauchen Kinder hingegen nicht. Denn sie lassen ihnen keinen Raum zur Entfaltung der Fantasie und Kreativität. Eltern und Erzieher(innen) haben längst festgestellt: Obwohl Kinder sich vielleicht eine solche Puppe sehnlich gewünscht haben, fristet sie schon recht bald ein einsames Dasein auf dem Regal oder im Spielzeugschrank. Dieses Schicksal teilen sie mit ferngesteuerten Autos und anderen übertechnisierten Spielsachen, die der Fantasie zu wenig Raum lassen“, sagt die Kindertherapeutin Gabriele Pohl.

Gabriele Pohl (Jahrgang 1952), Mutter von fünf Kindern und Großmutter von acht Enkeln, ist Kinder-, Familien- und Paartherapeutin. Die Diplompädagogin gründete im Jahr 2001 das Kaspar Hauser Institut für heilende Pädagogik, Kunst und Psychotherapie in Mannheim (www.kasparhauserinstitut.de)

Haben Kinder eigentlich immer schon mit Puppen gespielt?

Nein. Kulturell gesehen existiert die Puppe zwar seit Jahrtausenden. Doch zunächst hatte sie eine rein symbolische Bedeutung. Die ersten Puppen wurden in Gräbern aus der Zeit um 3000 bis 2000 vor Christi Geburt gefunden. Sie waren Abbildungen von Bediensteten. Diese sollten die Verstorbenen im Jenseits betreuen. Urzeitliche Völker hatten Puppen als vereinfachte Darstellungen des menschlichen Körpers. Sie dienten – ähnlich wie Masken – kultischen Zwecken. In Gräbern aus der Römerzeit fand man Puppen aus Alabaster für die Kinder der Reichen. Bis ins 18. Jahrhundert sahen Puppen noch wie Erwachsene aus. Erst 1710 kam die erste Babypuppe auf den Markt.

Warum hängen schon die Kleinen so sehr an ihrer Lieblingspuppe oder dem Kuscheltier?

Die allerersten Puppen, Kuscheltiere und Schmusetücher werden in der Psychoanalyse Übergangsobjekte genannt. Sie sind ein Symbol für die mütterliche Anwesenheit, auch wenn die Mutter gerade nicht da ist. Das Übergangsobjekt erleichtert die allmähliche Ablösung von der Mutter in einem Stadium, in dem das Kind sie als eigenständige Person wahrnimmt. In diesem schmerzhaften Prozess braucht es etwas zum Anschmiegen und Liebhaben. Die Puppe bekommt einen Namen, wird bemuttert und spielt vielleicht die allerwichtigste Rolle im Leben des Kindes. Sie trägt ein Stück seiner Seele in sich. Und sie wird um ihrer selbst willen geliebt, so wie auch das Kind geliebt werden möchte. Diese Puppen sind Kinder. Sie repräsentieren nichts, was das Kind noch nicht hat oder kann und stehen als sein zweites Selbst dafür, was es in seinem Innersten bewegt. Kuscheltiere erfüllen in diesem Sinne die gleiche Funktion wie Puppen – vor allem bei Jungen. Dennoch halte ich es für wichtig, dass Jungen mit Puppen spielen. Schließlich werden sie später ja auch nicht Väter von Schlappohrhasen und Zottelbären.

Ahmen Kinder im Spiel mit der Puppe die Welt der Erwachsenen nach?

Ja, denn das kleine Kind lebt noch ganz in der Nachahmung dessen, was der Erwachsene tut. Nachhandelnd versteht es dessen Tätigkeit, nimmt Anteil an der Versorgung durch Vater und Mutter. Es kocht und füttert seine Puppe und legt sie schlafen. So erwirbt es spielerisch Qualitäten wie Fürsorge und Verantwortung. Indem es die Seelenqualitäten des Erwachsenen bei seiner Tätigkeit wahrnimmt und imitiert, übt es sich in der Kunst der Empathie. Die Puppe ist ein Spiegelbild des Kindes. Sie durchlebt und erleidet alles, was das Kind beschäftigt. Im Spiel rekonstruiert es seine Wirklichkeit.Es ist noch nicht wie ein Erwachsener in der Lage, seine Erlebnisse zu reflektieren oder sie in Gedanken vorweg zu nehmen. Aber es kann sie vor sich hin stellen, indem es sie im Spiel aus einer gewissen Distanz betrachtet und sie damit in seinem Gedächtnis verankert. So kann es später wieder auf die gemachte Erfahrung zurückgreifen und ist der Situation dann besser gewachsen. Das Kind kann nicht sagen, wie und warum es spielt. Insofern ist sein Spiel eher ein Akt des Vorfühlens oder Nachfühlens als einer des Denkens. Das Kind bringt so Ordnung und Struktur in die Erlebnisse, mit denen es ständig konfrontiert wird.

Welche Puppen eignen sich für kleine Kinder am besten?

Prinzipiell gilt: Je kleiner das Kind, desto einfacher sollte die Puppe sein. Je weniger festgelegt die Puppe nämlich ist, desto mehr Fantasie braucht das Kind, um zu ergänzen, was nur angedeutet ist. Je weniger Gesichtsausdruck vorgegeben ist, desto mehr Gefühlsqualitäten kann das Kind in seine Puppe hinein legen. Puppen, die alles können, auf Knopfdruck weinen, lachen, sprechen oder Pipi machen, lassen für die Fantasie des Kindes keinen Raum. Für Kinder bis zum dritten Lebensjahr reicht es noch aus, wenn die Puppe nur zwei Punkte als Augen im Gesicht hat. Später verlangt das Kind schon mehr Details. Perfekt soll die Puppe aber auch dann nicht sein. Auf jeden Fall gilt: Eine individuell für das Kind angefertigte Puppe bedeutet ihm mehr und regt eher zum Spielen an als industrielle Massenware. Eine gute Möglichkeit wären ein, zwei Elternabende im Kindergarten, bei denen Mütter und Väter eine einfache Puppe für ihr Kind herstellen könnten.

Wie können Eltern und Erzieher(innen) das liebevolle Spiel eines Kindes mit seiner Puppe unterstützen?

Wichtig ist vor allem, wie sich Mutter und Vater beim Spiel des Kindes mit der Puppe verhalten. Findet „das Kind“ des Kindes Beachtung? Wird die Puppenmutter, der Puppenvater mit seiner Sorge um das Puppenkind ernst genommen? Oder behandeln die Eltern die Puppe wie einen beliebigen Gegenstand, der am Abend in die gleiche Kiste wie die Bauklötze geworfen wird? So wie das Verhalten wird die Wertigkeit der Puppe für das Kind selbst sein. Falls das Kind ein kleineres Geschwister hat, erlebt es die Fürsorge der Eltern beim Füttern, Wickeln und Baden. Es wird dies alles im Spiel mit der Puppe nachahmen. Das Mutter-Kind-Spiel mit der Puppe dient der unmittelbaren Lebensbewältigung. Das Kind lernt daran, sich die Sichtweise des anderen vorübergehend zu Eigen zu machen. Nur durch dieses unmittelbare Einfühlen-Können in die Situation des anderen entwickelt das Kind emotionale Intelligenz. Doch viele Kinder haben heute gar nicht mehr die Möglichkeit, ein kleines Kind in der eigenen Familie oder in ihrer unmittelbaren Umgebung zu erleben.

Deshalb ist es wichtig, dass in Krippen und Kindergärten dieser Tatsache Rechnung getragen und darauf geachtet wird, dass Kinder ein Verhältnis zu ihrer Puppe aufbauen. Denn nur so können sie Gefühle zum Ausdruck bringen, wie es mit keinem anderen Spielzeug möglich ist. Gibt es eine Puppenecke mit Puppenkleidern, Geschirr und Bettchen, wird das Spiel des Kindes aufs beste angeregt. Erzieherinnen und Eltern können die Puppen in den Tagesablauf mit einbeziehen und Kinder zum Spielen anregen: „Haben die Puppen heute schon gefrühstückt?“ Oder: „Ich meine, ich hätte in der Puppenecke jemand weinen hören. Willst du mal nachschauen, ob bei den Puppenkindern alles in Ordnung ist?“

Kinder fühlen sich dann in ihrem Spiel ernst genommen. Wichtig ist aber auch, dass Erwachsene nicht moralisierend ins Puppenspiel eingreifen. Puppen helfen Kindern nämlich auch, ihre negativen Gefühle im Spiel auszudrücken, etwa die Eifersucht auf ein Geschwisterchen. Da kann es auch mal sein, dass die Puppe verhauen wird. Das Spiel spiegelt die Gefühle des Kindes wider. Natürlich wurde es nicht geschlagen. Aber es nimmt den Ärger der Mutter auch in feinsten Nuancen wahr und übersetzt diese Gefühle im Spiel.

Frau Pohl, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Jette Lindholm für unsere Redaktion

 
Das Online-Portal für Eltern

Reduction reason0

NRC

Reduction reason0

NRC