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Herzensbildung - Wie Eltern sie vermitteln können

Dr. Charmaine Liebertz, Jahrgang 1954, Lehrerin für die Sekundarstufe 1, arbeitete zehn Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Köln im Bereich Heilpädagogik. Seit 1996 leitet sie die Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. und hält zahlreiche Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und Eltern.

„Ein Kind, das gelernt hat, mit den eigenen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen umzugehen, vermag sein geistiges Potenzial voll auszuschöpfen, ohne zum Spielball seiner Emotionen zu werden. Es verfügt über Herzensbildung – oder anders ausgedrückt über emotionale Intelligenz. Kinder mit Herzensbildung haben ein stabiles Selbstwertgefühl. Sie sind in der Lage, Krisen zu meistern und Konflikte konstruktiv zu lösen“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und Buchautorin Dr. Charmaine Liebertz.

 

Worum geht es bei der Herzensbildung?

Es geht dabei um die Entwicklung der Persönlichkeit im Hinblick auf mitmenschliche Qualitäten. Der zeitgemäße Ausdruck für Herzensbildung ist emotionale Intelligenz. Er macht deutlich: Nicht angehäuftes Wissen ist das ausschließliche Gütekriterium für einen gebildeten Menschen. Er braucht darüber hinaus Schlüsselqualifikationen aus dem Reich des Herzens, der Emotionalität und der Menschenkenntnis. Fühlen und Denken können nicht getrennt werden, wie aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung belegen. Nur auf einem sicheren emotionalen Fundament kann sich Leistungsfähigkeit entwickeln. Dies zu erkennen und bei der Erziehungsarbeit umzusetzen, gehört für Eltern und Pädagogen zu den in der heutigen Zeit wichtigsten Aufgaben.

Wie lernt ein Kind seine eigenen Emotionen kennen?

Zu keinem Zeitpunkt des Lebens werden wir von unseren Gefühlen so stark bestimmt wie in der frühen Kindheit. In wenigen Minuten kann ein Säugling vom Quengeln über lautes Schreien zum quietschenden Lachen wechseln. Um dieses große Stimmungsrepertoire optimal meistern zu können, muss das Kind zunächst lernen, seine eigenen Emotionen zu erkennen, sie zu akzeptieren und ihre Wirkung auf andere Menschen zu verstehen. Erst wenn es das gemeistert hat, ist es seinen Gefühlen nicht mehr hilflos ausgeliefert.

Dieser Lernprozess geht mit vielen positiven Erfahrungen einher. Kinder brauchen deshalb einfühlsame Eltern, die ihnen ihre ganze Liebe und Fürsorge schenken. Auf Mamas und Papas Schoß sitzen, Kniereiter und Fingerspiele machen, gemeinsam kuscheln, herumtollen und lachen: All das trägt zu positiven Körpererfahrungen bei.

 

Was passiert, wenn andere Kinder ins Spiel kommen?

Mit zunehmender Sprachentwicklung lernt ein Kind, seine Gefühle auszusprechen. Es erfährt dabei, dass Worte nicht nur Dinge bezeichnen, sondern auch Gefühle bei Menschen auslösen können. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres formuliert das Kind die für seine Ich-Entwicklung so entscheidenden Worte „ich“ und „mein“, „du“ und „dein“. Ein Beispiel: Im Sandkasten sitzen sich zwei Kleinkinder gegenüber. Beide würden gern mit dem Bagger spielen. Der kleine Besitzer nimmt das Spielzeug an sich und sagt „meins!“. Mit Hilfe von Mama oder Papa werden dann ein Tausch oder ein gemeinsames Spiel vereinbart: eine Herausforderung, die das Kind in Zukunft umso besser meistert, je mehr solche Situationen im Alltag eingeübt wurden. Es lernt mehr und mehr, sein Handeln auf die Perspektive eines anderen Menschen abzustimmen. Dies ist das Fundament für eine erfolgreiche Kontaktaufnahme und Kommunikation.

Es gibt im Kinderleben eine ganze Reihe von Unsicherheiten und unangenehmen Gefühlen. Wie sollten Eltern damit umgehen?

Angst, Wut, Traurigkeit können unser Denken und Handeln lähmen und unser Leistungsvermögen beeinträchtigen. Kinder lernen aber durch das Vorbild der Eltern, damit umzugehen. Wenn ein Kind Angst empfindet, sollte es mit jemandem darüber reden und auf Hilfe und Schutz bauen können. Ein liebevolles Gespräch bewirkt hier Wunder: „Wovor hast du Angst? Was können wir dagegen tun?“ Eltern sollten ihrem Kind genügend Zeit und Raum geben, seine Gefühle zu entladen. Wichtig ist, immer gut zuzuhören und einfühlsam zu reagieren, wenn mal etwas schief geht. Kinder brauchen bei Missgeschicken positive Bestärkung, etwa: „Nicht schlimm, das ist mir auch schon mal passiert!“ Sie benötigen vor allem nach massiven Gefühlsausbrüchen, zum Beispiel einem Weinkrampf oder Wutfanfall, den Beistand von Mutter und Vater. Nur so können Eltern und Kind gemeinsam herausfinden, was falsch gelaufen ist und welche Alternativen möglich gewesen wären. Eltern sollten auch Schmollfallen erkennen. Das Kind kämpft nämlich zuweilen mit falschen Mitteln um Beachtung. Dazu gehören die Wutanfälle des Trotzalters. Hier ist klares Verhalten wichtig: „Ich hab dich lieb und möchte dir helfen. Wenn du weißt, was du willst, dann findest du mich in der Küche.“

 

Kinder neigen manchmal dazu, jedem Impuls zu folgen und sind nicht bereit, ihre Bedürfnisse aufzuschieben. Wie können Eltern damit umgehen?

„Ich will aber (und zwar sofort)!“: Dieser Spruch gehört zum Alltag mit Kindern dazu und bringt Eltern oft genug auf die Palme. Aber jedes Kind muss im Laufe seines emotionalen Reifungsprozesses lernen, seine Wünsche auch mal aufzuschieben. Die Kunst der Zurückhaltung ist ein wichtiger Indikator für ein erfolgreiches Leben. Die Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren, ist auch für die Entwicklung eines Wertsystems entscheidend. Denn Werte haben mit Zielen zu tun und damit, dass man in der Lage ist, etwas zu lassen, um etwas anderes zu tun. Eltern sollten also tunlichst nicht alle Konflikte vermeiden und den Kindern nicht jeden Wunsch von den Augen ablesen. Nur so lernen die Kleinen, eine Befriedigung aufzuschieben und sich sozialverträglich zu verhalten.

 

Kann man Kinder zu Optimisten erziehen?

„Das schaffe ich bestimmt!“: Wer diesen Satz verinnerlicht und beherzigt, der kann Berge versetzen. Denn wer seine Fähigkeiten und Gefühle positiv einschätzt, vermag sich von innen heraus selbst zu motivieren. Dazu benötigt ein Kind die wichtige Grundeinstellung: Ich kann mein Denken, Fühlen und Handeln selbst beeinflussen, steuern und produktiv einsetzen. Pessimisten dagegen schreiben sich Niederlagen als unveränderbare Misserfolge zu. Hoffnung und Optimismus sind keine schicksalhaften charakterlichen Festlegungen, sondern sie sind erlernbar.Psychologen gehen davon aus, dass Optimismus auf einem gesunden Selbstvertrauen und auf der Überzeugung basiert: Ich habe die Geschehnisse des Lebens im Griff und bin für neue gewappnet.

 

Ist Glücklichsein erlernbar?

Ja. In der Kindheit werden wir jedoch leider oft genug auf das Unglück vorbereitet. Manche Eltern oder Lehrer vermitteln dem Kind – meist unbewusst –, dass es ungeschickt oder dumm ist, dass andere Kinder besser sind, dass Arbeit keine Freude macht, dass das Leben ein ständiger Kampf ist, dass das Schicksal ungerecht und grausam ist. In Wahrheit bestimmt aber nicht die Außenwelt, sondern unsere innere Einstellung, ob wir uns gut oder schlecht fühlen. Das Geheimnis der Optimisten: Sie sehen nicht zwangsläufig alles positiv. Aber sie wenden sich aufmerksam dem Positiven zu und beschäftigen sich ausdauernd damit. Ängstliche, pessimistische Menschen lassen sich dagegen magisch vom Negativen anziehen und fühlen sich bei eintretendem Unglück auch noch in ihren Vorurteilen bestätigt.

 

Eine Kindheit ohne leidvolle Erfahrungen ist schier unmöglich. Wie können Eltern ihrem Kind helfen?

Glück ohne Leid gibt es nicht. Wenn ein Kind hinfällt und vor Schmerz weint, helfen nur Trost und Wärme: „Ich weiß, das tut weh. Aber gleich geht’s vorbei. Wenn ich dich fest in den Arm nehme und puste, dann schaffen wir’s gemeinsam.“ Das Kind erlebt: Mama und Papa helfen mir in Notsituationen und können meinen Schmerz mit empfinden. Gold wert ist dabei die Zuversicht: Wer fällt, kann wieder aufstehen. Und wer weint, kann wieder lachen. Hinter jeder äußerlichen Schmerzerfahrung verbergen sich wertvolle Schätze des inneren emotionalen Wachstums. Aus jeder dieser Erfahrung kann ein Kind gestärkt hervorgehen. Vorausgesetzt, die Eltern reagieren einfühlsam auf die kleinen und großen Nöte des Kinderalltags.

 

Ein paar Tipps für die Förderung der Herzensbildung: Was würden Sie Eltern raten?

1. Leiten Sie das Kind nicht nur zu fürsorglichem Umgang mit Tieren und Pflanzen, sondern auch mit Gegenständen an. Vermeiden Sie eine Kaputt-und-weg-Mentalität. Denn die Wertschätzung des Menschen beginnt mit der Achtung vor den kleinen Dingen des Alltags.

2. Jeder noch so große Streit sollte vor dem Schlafengehen oder beim Abschied vor dem Kindergarten- oder Schultor geschlichtet sein: „Über den Ärger heute morgen reden wir noch in Ruhe. Aber jetzt wünsche ich dir einen schönen Tag. Ich habe dich lieb.“

3. Sprechen Sie über Ihre Gefühle und die anderer Mitmenschen. Konfrontieren Sie das Kind mit der Gefühlswelt der Erwachsenen. So lernt es allmählich, sich in andere hinein zu denken und zu fühlen.

4. Respektieren Sie alle Gefühle des Kindes – aber nicht grenzenlos. Führen Sie bestimmte Regeln ein, an die sich alle in der Familie halten sollten. Beispiel: Wir lassen einander immer ausreden, und wir schreien uns nicht an.

5. Hören Sie Ihrem Kind zu und zeigen Sie Interesse an seiner Gefühlswelt. Lehren Sie es, bei jedem Menschen genauer hinzuhören und hinzusehen, um Vorurteile zu vermeiden.

6. Erweitern Sie den Empathiehorizont Ihres Kindes: „Was glaubst du, wie sich das Kind fühlt, wenn es seinen Teddy verloren hat? Kannst du ihm helfen?“ Lesen Sie ihm einfühlsame Geschichten über Freud und Leid anderer Menschen vor. Ermuntern Sie es zu Rollenspielen, in denen es mimisch, sprachlich und emotional in verschiedene Rollen schlüpfen kann. Aber denken Sie auch daran, dass kein Kinderbuch die real gelebte Anteilnahme zu ersetzen vermag.

 

Frau Dr. Liebertz, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview wurde von Jette Lindholm für Spiel und Zukunft geführt.

Buchtipp

 

Charmaine Liebertz:

Spiele zur Herzensbildung
Emotionale Intelligenz und soziales Lernen

Mit Hilfe dieser fantasievollen und mit wenig Material- und Zeitaufwand umsetzbaren Spielideen erlangen Kinder ein stabiles Selbstwertgefühl. Sie lernen spielerisch, sich in andere hineinzuversetzen und können Strategien zur Problemlösung im Alltag und zum Umgang mit Krisen entwickeln.

Don Bosco Verlag, 2007, 80 Seiten

 

Charmaine Liebertz:

Das Schatzbuch der Herzensbildung
Grundlagen, Methoden und Spiele zur emotionalen Intelligenz

Die Autorin hat in ihrem Buch wertvolle Schätze zur Herzensbildung zusammengetragen. Sie lädt zu einem historischen Exkurs „Von der Herzensbildung zur emotionalen Intelligenz“ ein, informiert sehr anschaulich über den Stand der Hirnforschung zum Thema Emotionen, erläutert ausführlich die fünf Bausteine der emotionalen Intelligenz – basierend auf der Theorie des Psychologen Daniel Goleman – und erklärt, warum Herzensbildung in unserer Gesellschaft immer wichtiger wird.

 

Darüber hinaus stellt Charmaine Liebertz eine wertvolle Sammlung von Spielideen für Elternhaus, Kindergarten und Schule vor, bei denen Kinder sich selbst und andere besser kennen und schätzen lernen.

Don Bosco Verlag, 3. Auflage 2007, 200 Seiten

 
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