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Hätte, müsste, sollte -

Nina C. Grimm ist zweifache Mutter und Familienpsychologin. Durch ihre Ausbildungen und Berufserfahrung hatte sie viel an Wissen zusammengetragen – um schließlich feststellen zu müssen, dass ihr all das im Chaos des Familienalltags herzlich wenig brachte, wie sie selbst sagt. Heute schreibt sie darüber, wie Eltern endlich praktisch leben können, was ihnen theoretisch längst klar ist. Darüber hinaus berät sie Paare und Familien, gibt Kurse und ist als Speakerin aktiv.



Was brauchen Eltern, damit sie gut zu sich sein können?

Nicht selten können Eltern die Frage danach, was ihnen denn gut tun würde, nicht beantworten. Vor allem Mütter sind es gewohnt, sich selbst so hintan zu stellen, dass es fast schon einer Überforderung gleichkommt, wenn da auf einmal jemand fragt: »Was brauchst Du denn?«

Häufig verhält es sich so, dass Eltern es theoretisch durchaus einsehen, dass es eine gute Idee wäre, sich selbst zu berücksichtigen. Doch im Alltag ist es eben meistens doch die Zeit, die man für sich selbst, eingeplant hat die als Allererstes hinten runterfällt, wenn es mal wieder etwas stürmischer zugeht. Deswegen ist bei der Kultivierung von Selbstzuwendung ist eine sinnvolle Strukturierung des Alltags die halbe Miete. Denn das schafft Klarheit für alle Seiten.

 

Wie können Eltern dieses Ziel erreichen?

Man kann sich als Familie zusammensetzen und gemeinsam einen Wochenplan anlegen. Wenn Kinder schon größer sind, bezieht man sie am besten ein, damit jeder das Gefühl hat, in dem Plan berücksichtigt zu werden. Man kann alle Aktivitäten sammeln, die jeder gerne machen möchte, die ihn erfreuen und nähren: beispielsweise spielen, baden, ein Buch lesen, spazieren gehen, Kaffee trinken, einen Film schauen ... Dabei sollte man ausreichend Puffer einplanen! Und es notfalls einfach trotzdem machen – wenn man sich

vorgenommen hat, morgens Yoga zu machen, und die Kinder wachen unverhofft früher auf.

Dann eben mit den Kindern. Oder die Kinder dürfen in der Zeit ein Hörbuch hören, damit man den „Sonnengruß“ beenden kannst.

 

Sorgen solche festen Pläne nicht für neuen Stress?

Selbstfürsorge ist kein weiterer Punkt auf der To-do-Liste. Selbstfürsorge ist Wissen um den eigenen Wert. Selbstfürsorge ist eine innere Haltung. Es geht darum, eine gute Ausgangslage für eine nachhaltige Veränderung zu schaffen: Das ist ein Ja zu sich selbst, so wie man ist. Und da ist Selbstfürsorge ein schöner erster Schritt. Denn es impliziert ein Ja zu uns.


Werden Eltern ihren Kindern dann noch gerecht, wenn sie zuerst an sich denken?

Natürlich bleibt es die elterliche Aufgabe, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu sehen und zu erfüllen. Ich möchte Eltern hier nicht dazu anregen, erst mal noch in Ruhe einen Kaffee zu trinken, während ihr Kind vor Hunger schreit. Dennoch: Wer die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt, verpflichtet sich nicht dazu, die eigenen dauerhaft zu übergehen. Es darf Grenzen geben, denn Kinder brauchen Eltern, die in ihrer Kraft stehen. Die Idee ist es, sich um sich selbst zu sorgen, wie um sein eigenes Kind. Es geht darum, eine reife Form der Eigenliebe zu finden, in der man sich selbst berücksichtigt und die anderen.

 

Zwischen Wunsch, wie man sein möchte und der Wirklichkeit klafft manchmal eine Lücke. Wie können Eltern diese schließen?

Um diese Lücke zu schließen, brauchen Eltern eine Brücke aus mehreren Elementen.

Das Fundament ist eine neue Selbstbeziehung. Wie gut bin ich mit mir selbst im Kontakt? Nehme ich wahr, was der Konflikt in mir auslöst? Und kann ich mir selbst fürsorglich begegnen?

Die erste Säule der Brücke ist Vertrauen – in dich und dein Kind. Darin, dass ihr genau richtig seid, selbst wenn ihr euch gerade herausfordert. Weil ihr erkennt, dass darin eigentlich eine wundervolle Chance liegt, gemeinsam größer zu werden.

Die zweite Säule ist Präsenz, Klarheit. Denn in Stressmomenten sind wir gedanklich meistens all over the place. Unsere gedankliche Ausrichtung ist aber der Start für unsere subjektiv erlebte Wirklichkeit. Daher gilt es wirklich HIER HER zu kommen und uns gedanklich wieder für das zu öffnen, was tatsächlich ist.

Die dritte Säule ist Selbstverantwortung: Denn das Außen ist immer nur der Auslöser. Der Grund für meine Reaktion liegt in mir. Hierfür gilt es in die Verantwortung zu treten. Und die Regie über mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

 

Wenn im Alltag etwas nicht so läuft, wie man es sich vorstellt, beispielsweise, dass das Kind einfach nicht das Zimmer aufräumen, sich nicht anziehen oder die Zähne putzen will, versetzt das innere System in Stress. Und unter Stress reagiert man meistens auf eine Art und Weise, für die man sich im Nachhinein schuldig fühlt. Was läuft da eigentlich in unserem Gehirn ab?

Wenn man in solchen Momenten harsch reagiert, ist man wahrscheinlich getriggert worden, und zwar von etwas das einem selbst vielleicht in der Kindheit widerfahren ist, und einen bedroht hat. Wenn nun ein Reiz eine Bedrohung signalisiert, wird die Amygdala, das Emotionszentrum in unserem Gehirn, aktiviert. Diese ist eng vernetzt mit dem Stammhirn, auch Reptilienhirn genannt, das, wie der Name schon suggeriert, einer der ältesten Teile unseres Gehirns ist. Wenn man eine Bedrohung wahrnimmt, übernehmen also das Emotionszentrum und das Reptiliengehirn die Zügel während der präfrontale Cortex, der Teil des Gehirns, der eine solide (und eventuell bedürfnisorientierte) Einschätzung der Situation vornehmen könnte, abgeschaltet und man ist nicht mehr in der Lage besonnen zu reagieren.

 

Also können wir gar nichts dafür, wenn wir austicken?

Auch wenn ich für die Nachsicht sich selbst gegenüber appelliere, wir sind die Erwachsenen, wir müssen die Verantwortung für unsere Handlungen und Worte übernehmen.

Die Achtsamkeitspraxis kann uns dabei helfen, zurück ins Hier und Jetzt zu kommen. Einige vertiefte Atemzüge können da schon Wunder bewirke, denn sie bringen mehr Sauerstoff ins System, wirken beruhigend und erdend. Dadurch kann bereits eine angemessenere Einschätzung der Situation möglich werden, was zu einer empathischen, liebevollen und vor allem konstruktiven Lösungsfindung beitragen kann. Dem Kind Bescheid geben „Ich muss mich kurz sammeln.“ und aus dem Zimmer gehen, ist eine gute Musterunterbrechung, die uns helfen kann, uns zu beruhigen und zu überlegen, was gerade passiert.

Was wäre ein erster Schritt, um? Ihr Buch ist voller anregender Anleitungen und Tipps, um langfristig besonnener zu reagieren können. Würden Sie unseren Leser*innen ein konkretes Beispiel nennen?

Ein schöner erster Schritt, um eine freundliche Beziehung zu sich selbst zu kultivieren, ist eine tägliche Selbstfürsorgepraxis. Jeden Tag mindestens fünfzehn Minuten, in denen man ausschließlich Dinge tut, die nähren. Frieden einkehren lassen. Und sag Ja zu sich sagen: „So, wie du bist, bist du gut. So, wie du bist, bist du richtig.“

Man könnte in den kommenden drei Tagen ganz neugierig darauf sein, wie man in seinem Alltag mit sich selbst umgeht: Auf welche Art und Weise meldet sich diese kritische innere Stimme, wenn Dir etwas misslingt? Beispielsweise etwas kaputt geht? Ist es eine Stimme aus der Kindheit? Wem hat sie gehört? Darfst Du sie gehen lassen?

 

Haben Eltern zu festgefahrene Ideen oder zu hohe Ansprüche?

Manchmal. Unsere Idee von uns selbst und folglich auch von unseren Kindern ist in den allermeisten Fällen defizitär. Das heißt, dass man immer erst mal davon ausgeht, dass man schuld ist, dass man noch nicht gut genug ist, dass man sich einfach noch mehr anstrengen müsste. Und das überträgt man im schlimmsten Fall auf die Kinder.

Was, wenn Eltern genau richtig sind!? Mit all ihren Herausforderungen? Genau richtig für sich, für ihr Kind, für ihre Familie? Eltern können eventuell gemeinsam Familienwerte definieren und sich nach ihnen ausrichten. Was ist uns wichtig? Gesunde Ernährung? Pünktlichkeit? Eine bestimmte Ordnung? Zeit für gemeinsames Spiel? Ausflüge? Sich um andere kümmern?

Wenn man mit all den anderen Ansprüchen, all den Erwartungen, all den To-dos, gerecht werden will, kann es sein, dass man die eigenen Kinder „verpasst“. Die Süße ihres Seins, das Wunder, das sie bereits sind, während man unter Umstädnen darauf wartet, dass sie endlich dieses oder jenes erfüllen, machen oder tun.

Was, wenn Kinder genau richtig sind? Für die Beziehung zu einem Kind kann es ein echter Durchbruch sein, wenn Eltern sich selbstkritisch der Frage stellen, ob ihre Erwartungen tatsächlich altersgerecht sind und die Entwicklungsmeilensteine sowie die Persönlichkeit als auch kognitive und emotionale Reife ihres Kindes berücksichtigen. Jedes Kind ist anders und entwickelt sich in seinem Tempo.

Die Erwartungen an Kinder bringen Eltern meist aus der eigenen Kinderstube mit. Sie übernehmen unbewusst, was bereits für ihre Eltern Gültigkeit besaß. Auch aktuelle gesellschaftliche und kulturelle Normen tragen dazu bei. Dinge wie, dass man in der Schule über lange Stunden stillsitzen muss oder dass man sich für eigene Bedürfnisse entschuldigen muss. Aber muss ein Kind das wirklich?

Natürlich können Eltern sich für überliefertes Wissen und traditionelle Ansprüche entscheiden. Wenn das Orientierung schenkt, Halt gibt und glücklich macht, ist das wundervoll. Der springende Punkt ist hierbei, ob man sich unbewusst davon leiten (und stressen) lässt. Oder ob man sich bewusst dafür entscheidet.

 

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Buchtipp:

 

Hätte, müsste, sollte

Bedürfnisorientierung im Familienalltag wirklich leben


Vom Wunsch zur Wirklichkeit

Kennst du das? Theoretisch weißt du, wie du mit deinem Kind umgehen möchtest: zugewandt, achtsam, bedürfnisorientiert. Du weißt, dass Schimpfen Quatsch ist, Ungeduld nicht weiterhilft und Schreien gar nicht geht. Und doch passiert es dir. Immer wieder, jeden Tag. Nina C. Grimm zeigt, woran unsere guten Ansprüche so oft scheitern und warum es sich lohnt, die Herausforderungen unseres Familienlebens als Einladung zu betrachten. Mit psychologischem Fachwissen und Methoden der Achtsamkeit hilft sie uns, alte Muster zu durchbrechen, Vertrauen in unsere Fähigkeiten als Eltern zurückzugewinnen und unseren Kindern die Hand zu reichen, die sie gerade brauchen. So gelingt Erziehung authentisch und ohne Druck.


Kösel Verlag, München 2021

 
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