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Eckehard Waldow: Kinder und Medien

Herr Waldow, seit wann gibt es Ihre Zeitschrift "Vorhang auf!"?

Eckehard Waldow: Seit nunmehr 15 Jahren!

 

Wie hoch ist ihre Auflage?

10.000 Exemplare, davon z.Z. 6000 Abonnenten. Um kostendeckend zu arbeiten, brauchen wir allerdings die doppelte Abonnentenzahl und das ist auch unser Ziel!

 

Wie kamen Sie auf die Idee, diese Zeitschrift zu gründen?

Nach meinem Studium (Germanistik und Pädagogik) und zehn Jahren als Waldorflehrer in Hamburg hatte mein Lebensweg mich nach Bayern geführt, an einen Ort, an dem ich als Waldorflehrer nicht arbeiten konnte und das Land mich nicht als Lehrer wollte, da ich meine Staatsexamen in einem anderen Bundesland gemacht hatte. So entschied ich mich, meine pädagogischen Impulse auf dem Postweg zu verschicken - und die Idee der Zeitschrift war geboren.

 

Es ist doch bestimmt schwer, sich für ein bestimmtes Thema zu entscheiden. Wie wählen Sie aus?

Es gibt einfach eine große Zahl von Themen, die für Kinder interessant sind. Aus denen wählen wir einerseits das aus, was uns selbst gerade interessiert - dadurch können wir es lebendig gestalten - und andererseits, was "in der Luft liegt", also gerade aktuelle Themen, die in Film, Fernsehen oder als Bestseller "à la mode" sind - und die behandeln wir dann nicht "öffentlichkeitswirksam", sondern aus ihrem wirklichen Hintergrund heraus.

Wer macht bei der Zeitschrift noch mit? Von wem stammen die schönen Zeichnungen?
Von vielen MalerInnen aus dem In- und Ausland, die wir zu bestimmten Themen um Bilder bitten. An der Konzeption und künstlerischen Gestaltung arbeite ich eng mit der Französin Marie-Laure Viriot zusammen, von der viele Bilder stammen.

 

Wer liest Ihre Zeitschrift? Für welche Alters/Zielgruppe ist die Zeitschriftgedacht?
Vom Vorlesealter (Kindergarten) bis zum 12./13. Lebensjahr, also bis zur Pubertät, wo die Interessen sich dann ändern.

 

Welche Reaktionen bekommen Sie auf Ihre Zeitschrift von Eltern und Kindern?
Solange die Kinder und Eltern zufrieden sind, bekommen wir wenig Reaktionen, das ist aber ein gutes Zeichen. Wenn die Kinder dann aus dem Lesealter herauswachsen, kommen "naturgemäß" die Kündigungen, und die sind zu 99 % sehr, sehr positiv! Man bedankt sich meistens sehr, sehr herzlich für die Jahre, in denen wir vielfältige Anregungen für das Zusammenleben gegeben haben. Manchmal ist "Vorhang auf" sogar in die nächste Generation hineingewachsen, d.h. die ersten LeserInnen sind erwachsen geworden und haben jetzt selbst Kinder, für die sie unsere Zeitschrift abonnieren. In der Regel ist das altersgemäße Herauswachsen aus dem Lesealter unser Problem.
Wir müssen durch entsprechend kostspielige Werbung die neue Lesergeneration erreichen, und freuen uns über jeden, der uns weiterempfiehlt und bekannt macht. Gern versenden wir auch kostenlose Probehefte an interessierte Kinder und Eltern.

Können sie uns als Experte für Kinder-Medien vielleicht helfen, folgende Fragen zu beantworten: Wie soll man ihrer Erfahrung nach Kindern die Lust am Lesen beibringen?

Die Frage zielt wohl auf jene Kinder, die selbst nicht gern lesen, denn die anderen greifen ja spontan nach jedem Lesestoff, der sie interessiert. Wenn Kinder Lesen gelernt haben, und nicht durch zu hohen Fernsehkonsum zu bequem geworden sind, lesen sie eigentlich gern. Wenn nicht, kann man nur an die Interessen des Kindes anknüpfen und Angebote machen: Schau, hier gibt es eine Zeitschrift zum Thema "Piraten" oder "Pferde" - soll ich Dir das vielleicht bestellen? - Aber Kinder sind auch individuell verschieden, manche brauchen Umwege, um dann später ans Lesen zu kommen. Man kann nichts erzwingen.

 

Was halten Sie von Märchenkassetten, CDs und Videos?

Im Prinzip arbeiten die elektronischen Medien gegen die Phantasiekräfte an, töten sie ab. Wenn Kinder aber schon davon "infiziert" sind, was heute das Normale ist, wäre es überlegenswert, ob man nicht "gute" Kassetten anbietet, die gute Inhalte darstellen statt den normalen Action-Inhalten. Von daher überlege ich manchmal, selbst einmal eine Kassette herauszugeben, nach dem Prinzip: Besser anregende Inhalte in guter Form, als den negativen Inhalten ganz das Feld zu überlassen. Ich bin da noch nicht entschieden ...

 

Sind Geschichten wichtig für Kinder? Und warum?

Eben weil sie die Phantasie anregen! Wenn ich lese, "bildere" ich dazu. Ich ergänze die Gedanken mit meinen Phantasiekräften und arbeite mit ihnen. Die Phantasiekräfte müssen wie die Muskelkräfte im Körperlichen durch Tätigkeit gestärkt werden. Was nicht betätigt wird, verkümmert.

Phantasie ist die Bildkraft im Menschen, das Bildschaffende, das Bildende. Nur durch sie kann ich Vergangenes erinnern, Gegenwärtiges wahrnehmen und Zukünftiges planen!!! "Die Phantasie ist die positive Bedingung für die Verwirklichung der Existenz." - Karl Jaspers.

 

Wie erzählt man am besten eine Geschichte?
Indem man sie liest, gefühlsmäßig aufnimmt und auf seine eigene Art, persönlich damit verbunden, wiedergibt. Eine gute Vorübung ist, mal ein Märchen oder eine andere gute Geschichte wörtlich auswendig zu lernen. Dadurch prägt sich Stilgefühl ein. " Es war einmal ein Förster, der ging in den Wald auf die Jagd. Und wie er in den Wald kam, da hörte er's schreien, als ob's ein kleines Kind wäre. Der Förster ging dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohem Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind ..." (Grimm, Fundevogel).

Es ist gut, seine Gefühle in der Sprache zurückzuhalten. Also nicht zu sehr die Ängste oder Freuden zu betonen. Umso mehr kann das Kind seine eigenen Bilder hinzufügen. Gefühle äußert man besonders über Vokale. Also kann man versuchen, ruhig, konsonantisch zu erzählen. Umso mehr Freiraum gibt man der Phantasie des Zuhörenden.

 

Wie nehmen Kinder Bilder auf, die durch Geschichten vermittelt werden auf?
Immer "bildernd". Das Kind fügt sein Bild zu dem Gehörten hinzu. Die Bilder hängen vom inneren "Bilderschatz" der Kinder ab. Wenn es zuvor viel ferngesehen hat, wird es beim Wort "König" Fernsehbilder assoziieren. Wenn nicht, wird sich so etwas wie ein Urbild des menschlichen Königtums einstellen - die naturgemäße Herrschaft des eigenen Ich über die Vasallen der Lust und Laune...

Welche Bilder halten Sie für Kinder für schädlich, welche Bilder sind fürKinder wichtig und warum?

Für schädlich halte ich alle Bilder, die entweder "negativ" angsterzeugend oder "positiv" Idol erzeugend ins Unterbewusste gelangen. Das ist dann der Fall, wenn die Bilder ohne Verarbeitung durch die Phantasiekräfte ins Unterbewusste gelangen. Beim Lesen oder Zuhören ist die Phantasiekraft tätig und bearbeitet das Bild. Beim Fernsehen z.B. aber ist das Bild vorgegeben und lässt keine Chance zur Verarbeitung. Der Regisseur gibt das Bild vor. Beim Zuhören aber ist das Kind selbst der Regisseur. Wichtig sind die Urbilder, die Bilder des archetypischen, phylogenesischen Unbewussten, wie C.G. Jung sie erklärt. Sie lagern in unserem "Menschheitsbewusstsein". Ein "König" schwingt sich dort zur Herrschaft über das Knechtsein auf - das Selbst übernimmt die Herrschaft über das Ego und vereinigt sich mit der Königin, der Seele, zur Ganzheit des Menschseins.

 

Was sind für Kinder Grausamkeiten? Wie detailgetreu kann man erzählen?

Wie oben erwähnt hat das weniger mit den Details als mit der "Gefühlsintonation", mit dem "Vokalischen" Erzählen zu tun. In einem Film oder auf einer Kassette wird das Gefühl durch Intonation und begleitende Musik oftmals überstrapaziert und verängstigt. Ruhige, "sachliche" Darstellung der Folgen von Verfehlungen werden im Kind normalerweise als "richtig" entgegen genommen.

Man muss allerdings auch Geschichten und Märchen auswählen! Ein Grimmsches Märchen, wie das, in dem ein Kind stirbt, sein Händchen aus den Grab reckt und die Mutter es mit der Peitsche zurückschlägt, würde ich niemals einem Kind erzählen! Je mehr Märchen und Geschichten man liest, desto sicherer wird das eigene Stilgefühl. Was mit mir selbst übereinstimmt, was ich für wahr und richtig halte - das kann ich gern meinem Kind erzählen.

 

Nehmen Kinder heute Geschichten anders auf als früher?

Ja. Es sind andere Kinder, es sind andere Eltern, es gibt eine andere kulturelle Umgebung...

 

Wissen Kinder heute mehr als früher? Vielleicht zuviel?

Ja, Kinder wissen heute mehr als früher. Zuviel? Kann es je ein Zuviel geben? Wir müssen uns auf das Wissen der neuen Kinder einstellen und uns pädagogisch anpassen! Das ist unser Problem, nicht das Problem der Kinder. Ich habe z.B. nachdem ich 14 Jahre nicht unterrichtet hatte, Unterricht in einer 7. Klasse gegeben. Ich habe mich genauso verhalten, wie vor 14 Jahren, als ich große Freude und viel Erfolg in meiner Klasse hatte. - Diesmal ging es völlig daneben! Die Kinder waren anders, mein altes Konzept griff überhaupt nicht mehr. Wir trennten uns in gegenseitiger Unzufriedenheit - und ich hatte viel gelernt!

 

Wollen Jungs andere Geschichten hören als Mädchen?

Ja. Jungen sind wie Männer mehr auf das logische, direkte Denken bezogen, Mädchen mehr auf das umfassende, variierende Denken. Beides hat seine Vorteile - in der Vereinigung des Männlichen und Weiblichen liegt nach wie vor die Ganzheit.

 

Was halten Sie von Märchen? Was von Sagen? In welchem Alter sollten Kinder damit bekannt gemacht werden?

Ich halte viel von Märchen - mit Ausnahmen wie oben beschrieben, weil sie die Urbilder wiedergeben. Allerdings muss zwischen den Märchen der Völker unterschieden werden. Märchen aus dem eigenen Volksgeist kann ich ab 6 oder 7 Jahren erzählen, japanische oder brasilianische Märchen erst, wenn die Unterscheidungsfähigkeit der Urbilder erwacht ist, ab 9 oder erst ab 12. Sagen setzen etwas historische Kenntnis voraus, frühestens ab 9, meiner Einschätzung nach. In unserer Zeitschrift veröffentlichen wir Geschichten für Kinder von 5 - 12 Jahren, und ich danke Ihnen für die Gelegenheit, die Verantwortung von uns Erwachsenen für das Weitergeben an die verschiedenen Altersstufen darstellen zu dürfen!

 

Immer wieder hört man, Märchen seien nicht mehr zeitgemäß und man solleKindern rechtzeitig die Realität beibringen, damit sie nicht zu abgeschirmt aufwachsen und eines Tages einen Realitätsschock erleiden? Was meinen Sie dazu?

Achtung: Was ist "Realität"? - Wenn wir Kinder im oben beschriebenen Sinn an die menschheitlichen Urbilder heranführen und gleichzeitig ihre Phantasiekräfte stärken, werden sie ihren Weg gehen können! - Jetzt denken wir aber einmal anders herum: Wenn wir unsere Kinder den elektronischen Medien und den Einflüssen des rein materialistischen Denkens überlassen - welchen Realitätsschock werden sie dann erleiden, wenn sie als erwachsene Menschen erkennen, dass die Wirklichkeit einen geistigen Hintergrund hat und nicht auf die Äußerlichkeiten beschränkt ist?

 

Wie bringt man Kindern nahe, dass es negatives Kräfte gibt und Menschen auch dazu fähig sind anderen zu schaden, zu verletzten oder gar zu töten?

Indem man sie altersgemäß anspricht. Die Märchen sprechen doch genau davon, im Märchenalter; die Sagen im Sagenalter; der Geschichtsunterrichts im Geschichtsunterrichtsalter ...

 

Eine Erzieherin warnte uns einmal davor, Piratenspiele und Flaggen im Kinderzimmer zuzulassen, sie meinte, der Totenkopf sei ein zu negatives Symbol für einen Sechsjährigen und würde ihm schaden. Sie haben ein Heft zum Thema Piraten gemacht. Was hat Sie dazu bewegt?

Piraten sind wie Indianer oder Ritter Symbole der Kraft, der Herrschaft über die niederen Kräfte, darum spielen Kinder das gern. Bei Rittern und Indianern sehen wir das Positive leichter, obwohl es unendliche Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten gerade bei den Rittern gab. Die Piraten allerdings sind umstritten: Aber viele von ihnen waren Freibeuter, Entrechtete, die im Namen der Unterdrückten für Freiheit und Selbstbestimmung kämpften! So ging Klaus Störtebecker im Kampf der vom Handel Ausgeschlossenen gegen die "Pfeffersäcke" der Hanse in den Tod; Sir Francis Drake wurde für seine Piraterie gar geadelt! Wichtig ist eine entsprechende Darstellung: Der historische Hintergrund zwingt die Piraten oft zum Kampf gegen ungerechte Regierungen! Es ist immer eine Frage des Blickwinkels, was gut und was böse ist. Wenn es daneben auch verbrecherische Piraten gab, muss das genauso dargestellt und beurteilt werden! Unser Piratenheft ist lange vergriffen und mit großer Freude erstellen wir gerade ein neues fürs Frühjahr 2005.

 

Was kann man tun, wenn ein Kind, das gerne las, mit elf, zwölf plötzlich die Lust daran verliert?

Abwarten. Mit 22 ist alles ganz anders! 

 

Welche Rolle, meinen Sie, spielt das Fernsehen in Bezug auf das Leseverhalten von Kindern? Können sich Lesen und Fernsehen ergänzen?

Wenn Kinder lesen, schaden ihnen der Computer und das Fernsehen weniger. Wenn sie nicht lesen, müssen sie durch schwere Zeiten ins Erwachsenensein gehen. Dort kann sich aber vieles noch ausgleichen.

 

Verraten Sie uns zuletzt, ob Sie selbst Kinder haben und wie Sie den Umgangmit Medien regeln?

Ich habe fünf Kinder. Das erste, ein Junge, bekam alle Ideale seiner Eltern zu spüren: Keine Pampers, sondern Textilwindeln; keine Plastikspielzeug, sondern Ostheimerfiguren; kein Fernsehen, sondern allabendlich ein Märchen erzählt; er kam lange Zeit nie mit Medien in Berührung - und ist heute ein kreativer Manager des Elektronik-Konzerns "Media-Markt" in Spanien. Die anderen vier wuchsen viel unbekümmerter auf, wurden angeregt und gleichzeitig freigelassen, das heißt in Bezug auf Medien gab es kein Dogma mehr, sondern Gespräche und alternative Angebote - was aus ihnen wird, werden wir sehen; sie tendieren in eine künstlerische Richtung. Ich habe mein Bestes gegeben, so wie ich es in meinem jeweiligen Entwicklungsstand tun konnte. Daneben gibt es eben auch die Individualität des Kindes, die auf meine Bemühungen reagiert. Und ich glaube immer mehr: Ich gebe das Beste aus meiner jeweiligen Überzeugung - aber alles ist gut, so wie es ist, auch wenn es in bestimmten Entwicklungszeiträumen mal kritisch aussieht!

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Herr Waldow!

Wenn Sie auf die Webseite  des Waldowverlages gelangen möchten, klicken Sie bitte hier: www.waldowverlag.de

Oder Sie klicken hier, um eine Besprechung der Kinderzeitschrift "Vorhang auf" zu lesen.

 
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