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Keine Angst, Mama!

Wie es Eltern gelingen kann, trotz Angst klar zu handeln und Kinder achtsam zu begleiten

 

Spiel und Zukunft im Interview mit den beiden Buchautorinnen Jeannine Mik und Sandra Teml-Jetter.

 

„Unreflektierte Angst beeinflusst unsere Gedanken und entsprechend auch unser Verhalten in allen Lebenssituationen maßgeblich. Wir können nur die Menschen und Eltern sein, die wir sein wollen, wenn wir wissen, welche inneren Bilder und Überzeugungen uns jeden Tag leiten.“

„Deine Kinder brauchen dich als aufrichtige Erwachsene. Auch und gerade dann, wenn es schwierig wird!“

Copyright Julia Spicker

Jeannine Mik ist als diplomierte Kommunikationstrainerin in der Erwachsenenbildung tätig und Gründerin des »Zentrums für bewusste Elternschaft« in Wien. Sie bloggt seit 2014 auf Mini and Me, einem der erfolgreichsten Eltern-Blogs in Deutschland und Österreich.

Copyright Miriam Mehlman

Sandra Teml-Jetter ist Einzel- und Paarcoach sowie Eltern- und Familienberaterin. Sie arbeitet in ihrer eigenen Familienberatungspraxis »Wertschätzungszone« und tritt nachhaltig für den emotionalen Klimawandel in Familien ein.

SIe erklären in Ihrem Buch „Keine Angst, Mama!“, dass der Grundstein einer gelungenen Kindererziehung „Integrität“ ist. Wann können Eltern von sich sagen, dass sie integer sind?

Zu Integrität gehört, dass man beispielsweise folgende Sätze von sich sagen kann:

• Ich überwinde meine Ängste und fühle mich frei. Meinen Kindern bin ich ein Vorbild, auf das ich stolz bin.

•  Ich lebe selbstbestimmt und gestalte meinen Alltag mit meiner Familie flexibel.

• Ich bin im Kontakt mit meinem Körper und meiner Atmung. Ich kann mich selbst gut regulieren und lebe wirkliche Verbundenheit.

Dahin zu kommen, ist oft ein steiniger Weg…
So gut wie jeder Mensch wird irgendwann einmal im Laufe seines Lebens Bekanntschaft mit der Angst machen. Eins wollen wir deshalb mit Nachdruck sagen: Ganz egal, wie speziell und wie intensiv sie sich zeigt: Keiner ist mit seiner Angst allein. Sehr viele Menschen erfahren Angst auf eine ganz ähnliche Weise.

Der größte Unterschied liegt wohl darin, wie Menschen mit ihr umgehen. Wirklich hinschauen und Probleme an der Wurzel zu packen, ist unangenehm und führt uns zu uns selbst zurück. Heute gilt eher: Am besten schnell weg mit negativen Gefühlen, heute und für immer. Egal, wie sie sich zeigen. Hinsehen? Hinfühlen? Bloß nicht!

 

Warum ist das so?

Nur wenige von uns wurden im Umgang mit ihren Emotionen begleitet und sind mit erwachsenen Vorbildern groß geworden, die auf die Signale ihres Körpers hörten. Das kann dazu führen, dass sich die Ängste in uns für lange Zeit verschlossen haben. Wenn man sie dann von den Kindern gespiegelt bekommt, kann das heftige Erschütterungen auslösen.

 

Wovor fürchten Eltern sich?

Wir haben unsere Online-Communities befragt, wovor sie sich fürchten und welche Ängste sie haben. Mit Abstand am häufigsten genannt wurde die Angst vor dem Tod oder vor schweren Krankheiten. Bei einem selbst und auch bei den Menschen, die einem wichtig sind. Die Angst, dass den Kindern oder dem Partner etwas Schlimmes passiert. Die Angst, dass man seine Ängste auf seine Kinder überträgt. Oder man die eigenen Kinder aufgrund a‍lter, unbewusster Muster traumatisiert, stehen ganz weit oben bei den Befürchtungen.

Ist Angst denn immer schlecht?

Im Gegenteil, Angst ist ganz grundsätzlich gut, sinnvoll und überlebensnotwendig. Sie ist eine gesunde und richtige Reaktion des Körpers und kann vor vielem schützen, weil man dann vorausschauend denken und handeln kann. Chronische Angst hingegen nährt sich aus der Furcht vor dem, was sein könnte. Menschen, die mit chronischer Angst zu tun haben, sind ständig auf einem sehr hohen Erregungsniveau. Und dann gibt es da noch die Alltagsangst, das Korsett, das man selbst schnürt, weil man nach Wertvorstellungen lebt, die oft nicht die eigenen sind.

 

Können Sie das erklären?

Der Angst wegen bleibt man in dem unerträglichen Job, weil er vermeintliche »Sicherheit« bringt. Oder man führt eine Beziehung, in der man todunglücklich ist, man zieht nicht um, obwohl man möchte, bereitet den dritten warmen Snack zu, weil das Kind die ersten beiden abgelehnt hat, und man nicht »Nein« sagen kann. Oder man fährt jedes Wochenende zu den Schwiegereltern, um »des lieben Friedens willen«.

Ganz egal, ob jemand immer wieder starke Körperreaktionen hat oder Probleme, das Familienleben so zu gestalten, wie er/sie es wirklich will. Die Angst ist ein Signal deines ureigenen Selbst.

 

 

Und das ureigene Selbst ist die Integrität?

Integrität meint den Mut, das Richtige zu tun und sich treu zu bleiben, auch bei Gegenwind und nicht nur bei Sonnenschein. Ein integrer Mensch ist vertrauenswürdig: Er spielt keine Rollen, sondern ist und bleibt bei sich selbst. Er steht für sich ein und für das, woran er glaubt und was ihm wichtig ist. Man kann sich auf ihn verlassen. Es gilt zu verstehen: Deine Angst ist für dich.

Selbst dann, wenn sie so intensiv wird, dass man glaubt, es bliebe einem die Luft weg. Und wenn das Herz dermaßen rast, dass man fürchtet, man sei ernsthaft in Lebensgefahr. Auch bei solch extremen Zuständen ist die Angst nicht die Gegnerin, die es zu bezwingen und mit allen Mitteln zu unterdrücken gilt. Die Angst meint es gut mit einem.

 

 

Wieso denn das?

Angst zwingt danach zu fragen, was man wirklich will. Was tut schon sehr lange nicht gut, wurde aber ignoriert? Wo verrät man Wünsche und Bedürfnisse? Welche wichtige Sache muss man endlich sehen? Zum Beispiel über sich, den/die Partner*in, die Eltern ... und will es nicht wahrhaben?
Ängste rufen dazu auf, übernommene Denkschablonen, innere Überzeugungen und die geistigen Bilder, die das Selbstbild und den Blick auf die Welt prägen, zu überprüfen.

Ängste rauben nicht nur lebensgestalterische Kreativität. Sie verhindern auch Verbindung. Einerseits die zu uns selbst, andererseits die Verbundenheit mit anderen Menschen. Ist jemand in einem »Angstklima« aufgewachsen oder hat durch seine Eltern nicht die Sicherheit erfahren, die er gebraucht hätte, kann es sein, dass es ihm auch als Erwachsene sehr schwer fällt, anderen Menschen nahe zu sein.

Aus Angst entscheidet man sich fürs Verbiegen, Gefallenlassen, Bücken, Schönreden, Wegsehen. Man verrät seine Integrität. Dieser Verrat kann nicht nur belasten, sondern auch krank machen. Das Verleugnen der eigenen Wahrheit und Wahrnehmung ist eine häufige Ursache für Angstzustände bis hin zu Panik.

 

 

Wie können Eltern Ängste loswerden?

Erst einmal geht es darum, Nerven zu bewahren, um unseren Kindern Sicherheit geben zu können. Der Schlüssel dazu  ist: Selbstregulation. In unserem Buch zeigen wir viele praktische Beispiel, wie Eltern das schaffen können. Ein erster Schritt besteht im Bewusstwerden darüber, wie man zu bestimmten Glaubensätzen und damit Ängsten gekommen ist. (Am Ende des Interviews finden Sie eine Übung zur Beruhigung, Anm. der Redaktion.)

Dazu gehört zu verstehen, dass die Umgebung, in der man aufgewachsen ist, das heutige Beziehungs- und Familien-Normal ist. So wie die Umgebung, die man gemeinsam mit seiner*m Partner*in erzeugt das Normal der eigenen Kinder ist und sein wird.

In einer stimmigen Eltern-Kind-Beziehung erkennen die Eltern die wechselnden Bedürfnisse ihrer Kinder und beantworten sie entsprechend, so entsteht eine gemeinsame, geteilte Erfahrung von Sicherheit. Doch das haben die Wenigsten von uns erlebt, die meisten wollen das besser machen.

 

Was hat uns geprägt, was prägt unsere Kinder?

Wenn man Kinder selbstbewusst begleiten will, beginnt die Orientierung in uns selbst. Eltern prägen, und zwar nicht durch das, was sie sagen und erzählen, sondern dadurch, wie sie in der Welt sind – als Mensch. Kinder lesen in ihren Eltern.

Wie Eltern sich aufeinander beziehen, hat mehr Einfluss auf Kinder als die gewählte Erziehungsform. Das ist einer der Gründe, warum wir über Beziehungen zwischen Erwachsenen schreiben. Weil prägt, was Eltern vorleben. Wie gehen Eltern miteinander um? Wer und wie werden sie, wenn sie mit dem Partner sprechen oder über ihn? Wird man plötzlich wieder Kind, wenn man das Elternhaus oder das der Schwiegereltern betrittt?

Auch unsere Lebenseinstellung ist prägend für unsere Kinder: Sehen Eltern in der Welt überall Gefahren und Einschränkungen, oder ist sie voller Möglichkeiten? Ertragen sie ihren Alltag in einer Art Opferhaltung? Oder sind sie Gestalter*innen ?

Auch das Selbstbild ist wichtig für Kinder: Wie sehen sich die Eltern? Steht Mama vor dem Spiegel und findet sich dick? Mag Papa seinen Job?

Also müssen Eltern zunächst auf sich selbst sehen?

Um ein »gutes« Leben führen zu können, muss man die Verantwortung übernehmen für das, was passiert.

Deswegen müssen Eltern erforschen, warum sie die sind, die sie sind. Was hat uns wie verbogen und in welche Richtung? Was dürfen wir verändern?

Es gibt Grundhaltungen und Überzeugungen, die in jeder Familie über Generationen weitergegeben werden, Eltern vererben sie an die Kinder weiter. Vielleicht passen sie aber weder zu ihnen noch zu ihren Kindern?  Erst wenn wir uns das fragen, kann Veränderung entstehen und echte, tiefe Verbindung möglich werden. Mit einem selbst und den Menschen, die einem wichtig sind.

 

Wie können wir Kinder durch Emotionen begleiten?

Nur wenn Eltern bei sich sind, können sie Hilfe anbieten. Gut begleiten heißt, die Gefühle des Kindes zu benennen. Aber Vorsicht, nicht eigene Gefühle in das Kind hineininterpretieren, sondern herausfinden, was wirklich mit dem Kind los ist. Eltern sollten sich nicht triggern lassen, sondern fragen: Was ist da gerade wirklich los? Das geht nur, wenn man weiß, woher man kommt und wer man ist.  

Was war normal in der Ursprungsfamilie? Und wie ist es jetzt, gestaltet man schon anders? Weiß man, was man ganz sicher nicht haben will, und sucht man nach dem, was man stattdessen gerne im Leben seiner Familie etablieren möchte?

Die allermeisten unserer Wertvorstellungen und inneren Überzeugungen hat man sich »einfach so« angeeignet, ohne sie zu prüfen oder zu reflektieren. Wir übernehmen das, was uns in unserer Kindheit als normal vorgelebt wurde.

Eltern sollten sich fragen, wo und wann sie Angst bekommen. Geht’s  gefühlt irgendwie immer um Leben und Tod, auch bei eigentlichen Kleinigkeiten? Dann könnte es sich um ein Gefühl aus der Kindheit handeln, als wir schutzlos waren. Im heute müssen wir Verantwortung zeigen und die Kontrolle übernehmen.

 

Wie kann man diese Bilder loswerden?

Es geht eher darum, Alternativen zu finden. Was ist mir wirklich wichtig? Welche Werte will man leben? Und auch wenn die Sicht gerade noch unscharf ist:  Keine Angst, Mama! Und keine Angst, Papa!  Entlarvende Denkschablonen „Der Mann versorgt die Familie.“ „Ich muss mich mit meinen Schwiegereltern vertragen, um den Frieden zu wahren.“ könnte man entdecken und überdenken. Auch Fragen wie „ Ist die Welt ein schöner Ort voller Möglichkeiten, oder verbringt man sein Dasein stets in banger Erwartung?“ „Ist das Schicksal uns wohlgesonnen, oder wird alles immer schlechter?“, könnte man überprüfen. Eltern müssen lauschen lernen: Sind das meine Ängste, Gedanken und Gefühle oder habe ich sie aus dem Elternhaus mit in meine Familie geschleppt?

Dazu gehört allerdings Mut, denn Neues und Ungewisses ängstigt, weil man bereit sein muss, loszulassen, was man einmal für wahr gehalten hat. Ganz besonders herausfordernd wird es, wenn sich beim Nachdenken herausstellt, dass man andere Menschen vor den Kopf stoßen wird, wenn man für sich selbst stimmige Antwort leben möchte.

Wir danken Ihnen beiden für das Gespräch!

 

Schmetterling-Übung

Eine Soforthilfe für die Eltern, die von Angst oder anderen starken Gefühlen übermannt werden. Der »Schmetterling« ist simpel und kann dir etwa zu Beginn einer Panikattacke helfen.

So gehst Du vor:

Überkreuze Deine Arme und klopfe mit deinen Händen über Kreuz leicht auf deine Schultern.

Die linke Hand klopft auf die rechte Schulter, die rechte Hand auf die linke Schulter.

Abwechselnd, hundertmal.

Auch bei Unruhe bei Kindern ist diese Übung eine tolle Sache.

Sollten während der Übung irgendwelche Bilder im Kopf entstehen, kannst Du – oder auch Dein Kind – sie im Anschluss zu Papier bringen. Das kann schriftlich sein, oder du malst etwas. Siehst du diese Bilder und Gedanken so vor Dir, kannst du sie mit etwas mehr Abstand betrachten. Sie werden sicht- und zugleich greifbarer. Findest Du Worte für das, was da aufploppt, kannst Du bewusster damit umgehen, als wenn es weiter nur schemenhaft in deinem Kopf herumgeistert.

Buchtipp


Keine Angst, Mama!
Wie Eltern Ängste und Sorgen überwinden und Kinder selbstbewusst begleiten


Mit zahlreichen Übungen und Soforthilfen.

Im Alltag mit Kindern begegnen Eltern vielfältige Angstsituationen. Angst vor Verletzungen, vor Fehlern, vor der Zukunft. Um diese gut zu bewältigen, geben die Bestsellerautorinnen Jeannine Mik und Sandra Teml-Jetter in ihrem Buch Reflexionsimpulse sowie Soforthilfen für den Umgang mit Furcht und Panik an die Hand.

So können Eltern erkennen, dass sie mit diesen Herausforderungen nicht alleine sind und lernen:
•das eigene Handeln und Erziehen zu reflektieren,
•Ängste als Ratgeber zu betrachten,
•die eigenen Gefühle und die der anderen nicht zu verleugnen,
•ein selbstbewusstes Standing im Hier und Jetzt einzunehmen.

 

Kösel Verlag, 240 Seiten, München 2021

 
Das Online-Portal für Eltern

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