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Wie Kinder glücklich werden

Was Eltern wissen müssen, damit ihr Kind stark fürs Leben wird

„Die vier Kardinaltugenden Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit sind auch heute noch wichtige Erziehungsziele. Wenn Kinder erleben, wie wohltuend es ist, sich in diesem Sinne klug und mutig die Welt zu erobern, macht sie das zu verantwortungsvollen, hilfsbereiten und achtsamen Menschen. Solche Kinder sind glücklicher und gesünder als Altersgenossen, die fremde Erwartungen erfüllen oder sich das Gesetz des Stärkeren zu eigen machen“, sagt der Pädagoge Ernst Fritz-Schubert.


Ernst Fritz-Schubert (Jahrgang 1948) hat Volkswirtschaftslehre und Jura studiert und eine therapeutische Ausbildung absolviert. Seit dem Jahr 2000 leitet er die Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg. In dieser Berufsfachschule führte er im Jahr 2007 das Unterrichtsfach „Glück“ mit einem solchen Erfolg ein, dass es mittlerweile an über 100 Schulen in Deutschland und Österreich gelehrt wird. Mittlerweile ist Ernst Fritz-Schubert in der Lehrerfortbildung tätig und arbeitet als sportpsychologischer Berater in der Jugendförderung eines Fußballvereins. Der Pädagoge und Buchautor hat im Jahr 2011 das Fritz-Schubert-Institut (www.fritz-schubert-institut.de) gegründet – mit dem Ziel, Glück und Zufriedenheit in der Gesellschaft und für den Einzelnen zu stärken. Er hat zwei Kinder und lebt in Heidelberg.

Gibt es sie eigentlich noch, die glücklichen Kinder, wie sie Astrid Lindgren so eindrucksvoll in Büchern wie „Michel von Lönneberga“ beschreibt?

Ja, es gibt sie - auch wenn uns Massenmedien heute eines Besseren belehren wollen und in zahlreichen Talkshows täglich neue Horrorszenarien präsentieren. Natürlich gibt es viele Kinder, die an den Widrigkeiten des Lebens zerbrechen - an der Vernachlässigung durch ihre Eltern, an der Entmutigung durch Lehrer. Doch Lamentieren bringt nicht weiter. Wir müssen heute dringender denn je Sorge dafür tragen, dass unsere Kinder sich trotz teilweise widriger Umstände gut entwickeln können. Dies kann gelingen, wenn wir sie in ihren angeborenen oder erlernten Fähigkeiten bestärken. Alle Kinder haben nämlich ungeahnte Ressourcen, und die gilt es gemeinsam mit ihnen zu entdecken: eine der wichtigsten Aufgaben von Eltern und Pädagogen in unserer Zeit.

Aber möchten Eltern nicht immer nur das Beste für ihre Kinder?

Ja, aber die Gelassenheit und Zuversicht, dass sich letztlich alles fügt, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr verflüchtigt. Eltern sind oft verunsichert und sorgen sich um die Zukunft ihres Kindes, sobald es in der Schule mal nicht so gut läuft. Für jede Abweichung von der Norm wird dem Kind ein Stempel aufgedrückt: Legasthenie, Dyskalkulie, Konzentrationsschwäche, ADHS und so weiter.

Was müsste sich hier ändern?

Natürlich geht es in der Schule nicht ohne die Vermittlung von Wissen. Noch wichtiger aber ist, dass die Schüler das Erlernte durch eigenständiges Denken in Erkenntnisse umwandeln, die es ihnen erlauben, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Wissenselementen zu verstehen. Richtig verstandene Bildung bedeutet einen Zuwachs an persönlicher Erkenntnis. Sie dient nicht nur der beruflichen Qualifikation. In der Schule muss es deshalb möglich sein, sich ohne ökonomischen Druck und ohne Versagensängste zu einem gebildeten Menschen zu entwickeln.

 

Studien belegen eine dramatische Zunahme von Ängsten bei Kindern. Leiden sie vor allem unter Schulangst?

Nein, neben der Schulangst gibt es noch weitere existenzielle Ängste. Teilweise übernehmen Kinder die Sorgen ihrer Eltern, etwa die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Oder sie fürchten sich vor anderen, in den Medien oft heraufbeschworenen Horrorszenarien. Kinderzimmer bieten keinen Schonraum mehr. Informationen über Katastrophen aller Art werden ungehindert hineingeschwemmt, schüren die Ängste der Kinder und bereiten ihnen schlaflose Nächte. Darüber hinaus trägt auch der Zeitgeist unserer beschleunigten Gesellschaft zur Verunsicherung junger Menschen bei. Wenn Kultur und Tradition durch die Gesetze des Marktes, nach denen der Starke gewinnt und der Schwache verliert, ersetzt werden, dann gibt es nur noch ein Bewertungsmuster für das eigene Leben: Entweder man steht auf der Gewinner- oder auf der Verliererseite. Um in dieser rauen Welt der Konkurrenz, des Konsums und der Reizüberflutung nicht unterzugehen, brauchen Kinder dringend Schonräume. Gewähren wir ihnen nicht die nötige Zeit, sich an die Komplexität der Erwachsenenwelt zu gewöhnen, überfordern wir sie und schaden damit nachhaltig ihrer Entwicklung.

Kinder sind vor allem dann unglücklich und werden auffällig, wenn sie körperlich, sozial oder psychisch überfordert sind.

Wann sind Kinder besonders glücklich?

Immer dann, wenn sie sich selbstvergessen ihrem Spiel, einer Arbeit oder einem Menschen widmen oder wenn sie sich im Einklang mit der Natur fühlen. Wenn Kinder lernen, achtsam zu sein, sich selbst, ihre Mitmenschen und ihre Umgebung zu achten, erweitern sie damit ihr Wahrnehmungsspektrum und ihre Glücksfähigkeit.

Wann und wo werden die Grundlagen für ein glückliches Leben gelegt?

Die Familie ist nach wie vor der erste und entscheidende Ort, an dem die Grundlagen für ein glückliches Leben gelegt werden. Gegenseitige Achtung und Wertschätzung, die Sorge füreinander und ein Gespür für den Sinn des Lebens werden im einfühlsamen Austausch gelernt. Dabei nehmen Eltern eine Vorbildfunktion ein. Nur wer selbst erwachsen genug ist, um Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen, kann diese Fähigkeit auch bei seinen Kindern fördern. Wenn es Kindern gelingen soll, in einer Welt der Reizüberflutung, des Konsums und der überhöhten Anforderungen und Erwartungen nicht unterzugehen, sondern nachhaltig glücklich zu werden, brauchen sie vor allem Eltern, an denen sie sich orientieren können, die an ihre Stärken glauben und ihnen Halt geben. Außerhalb des Elternhauses fällt der Schule die wichtige Aufgabe zu, Zuversicht und Selbstvertrauen in Kindern zu stärken und sie bei der Übernahme von Verantwortung für sich und andere zu unterstützen. Die Persönlichkeit eines Menschen entwickelt sich durch Erfahrungen, die er bei der Bewältigung von Schwierigkeiten und Problemen macht, weiter. Jede Krise bietet Kindern die Möglichkeit, sich selber besser kennen zu lernen und verschiedene Lösungswege zu erproben. Wichtig ist aber, dass wir ihnen die Lösungen nicht vorgeben, sondern gemeinsam mit ihnen erarbeiten. Kinder sind nämlich in gewisser Weise Experten für sich und ihr Verhalten. Was ihnen jedoch oftmals bei der Entwicklung einer eigenen Identität fehlt, ist der Blick von außen. Diesen blinden Fleck gilt es zu erhellen, damit das Selbstbild des Kindes um das Fremdbild ergänzt wird.

Wie werden aus glücklichen Kindern glückliche Erwachsene?

Kinder müssen erfahren, dass sie Widrigkeiten nicht hilflos ausgesetzt sind, sondern dass sie ihr Leben in die Hand nehmen und aktiv gestalten können. Wir Erwachsene können ihnen helfen, indem wir Strategien und Wege aufzeigen, um ihre natürliche Ausdauer und Anpassungsfähigkeit zu stärken. Eine wichtige Kompetenz ist die Fähigkeit, sich selbst richtig einzuschätzen: Wie sehe ich mich? Wie sehen mich die anderen? Eine negative Selbsteinschätzung führt dazu, dass Kinder sich abhängig von der Meinung anderer machen und neidisch auf die vermeintlich Besseren sind. Zu einer positiven Selbsteinschätzung gehört das Gefühl, wertvoll zu sein und geliebt zu werden. Kinder, die sich geliebt und anerkannt fühlen, haben keine Angst, Fehler zu machen und negativ beurteilt zu werden. Sie können sich auch besser selbst motivieren und sind dadurch ausdauernder als andere. Sie trauen sich etwas zu, fühlen sich kompetent und übernehmen gern Verantwortung.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Resilienz eines Kindes?

Bedingungslose Liebe und Wertschätzung der Eltern bilden wichtige Schutzfaktoren für das Kind. Sie fördern seine Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit, die es ihm ermöglicht, schwierige Situationen und belastende Bedingungen unbeschadet zu überstehen. Resiliente Kinder vertrauen ihren eigenen Gefühlen. Sie lernen, dass jede Krise vorüber geht. Und sie bleiben nicht in Versagensgefühlen und Selbstmitleid stecken. Sie tun etwas dafür, werden von sich aus aktiv und fühlen sich ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Deshalb empfinden resiliente Menschen auch eher Glücksgefühle als andere, für die sich Probleme und Schwierigkeiten des Lebens zu einem unüberwindbaren Berg auftürmen.

Wie können Eltern ihre Kinder stark machen, die Schwierigkeiten des Lebens zuversichtlich zu meistern?

Eltern sollten in ihren Kindern die Einsicht wecken, dass es im Leben jedes Menschen Höhen und Tiefen gibt, glückliche und weniger glückliche Momente. Aus dieser Erkenntnis entwickelt sich die Bereitschaft,  Schwierigkeiten als Herausforderungen zu begreifen und sie aktiv zu gestalten. Wichtig ist die Fähigkeit, sich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, sie zu reflektieren und eigene Alternativen zu entwickeln.

Damit das Leben gelingt, müssen Kinder also von sich aus aktiv werden?

Ja, denn Kinder haben nur dann das Gefühl, bedeutsam zu sein und etwas zu bewirken, wenn sie ihre kreativen und analytischen Fähigkeiten entdecken und anwenden können. Dabei müssen sie Dinge ausprobieren und erforschen sowie auch Fehler machen dürfen. Wichtig: Kinder können nur dann lernen, schwierige Aufgaben zu bewältigen, wenn sie sich in authentischen Situationen ausprobieren und Verantwortung übernehmen dürfen. Wichtig ist dabei das Vertrauen der Erwachsenen in die Fähigkeit des Kindes. Also bitte dem Kind nichts abnehmen, was es selber erledigen kann. Nur so ist es in der Lage, sich über den Erfolg seiner Anstrengung zu freuen oder Verantwortungsbereitschaft zu entwickeln.

Herr Fritz-Schubert, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Jette Lindholm für die Redaktion

Buchtipp

Ernst Fritz-Schubert

Glück kann man lernen. Was Kinder stark fürs Leben macht

Gibt es sie überhaupt noch, die glücklichen, unbeschwerten Kinder, die wie Michel Lönneberga oder die Kinder von Bullerbü aus Astrid Lindgrens Büchern ihre Kindheit in vollen Zügen genießen können? Ja, behauptet Ernst Fritz-Schubert. Ohne Schönfärberei beschreibt der Autor seinen eigenen Lebensweg – von seiner ungeliebten Ausbildung bis zur Kehrtwende in seinem Leben und der Rückbesinnung auf seine eigentlichen Wünsche und Fähigkeiten. In seinem bemerkenswerten Buch beschreibt er darüber hinaus die Lebenswege vieler seiner Schüler. Stolz kann er dabei auf die Erfolge seiner etwas anderen Pädagogik verweisen – nämlich einer, die Kindern Mut macht, ihre Stärken fördert und ihnen bei der Suche nach praktikablen Lösungswegen behilflich ist. Er warnt vor den Verführungen moderner Medien, die schon Kinder in den Sog gefährlicher Scheinwelten ziehen, in denen ihnen das Gefühl für Lebenswirklichkeit abhanden kommt. Ernst Fritz-Schubert plädiert für ein radikales Umdenken und bietet dafür einen neuen pädagogischen Ansatz, bei dem das Glück der Kinder im Vordergrund steht. Er verweist dabei auf messbare und dokumentierte Erfolge nach der Einführung des Unterrichtsfaches „Glück“. Ein Ratgeber, der in keiner Eltern- und Lehrerbibliothek fehlen sollte.

240 Seiten, 8,99 Euro, Ullstein Buchverlage, Berlin

 
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