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Ehrlichkeit - Ein wichtiger Grundwert

„Rational denkende Erwachsene tun sich manchmal schwer mit der Fantasiewelt der Kinder und missverstehen sie als Lüge. Doch Spiel und Fantasie ist das Lebenselement der Kinder“, meint die erfolgreiche Erzieherin und Spielpädagogin.

Susanne Stöcklin-Meier ist Spielpädagogin und Erzieherin und lebt in Diegten bei Basel. Seit mehr als 30 Jahren schreibt sie mit großem Erfolg Kinder- und Sachbücher zum Thema ganzheitliche Erziehung. Sie ist eine viel gefragte Referentin bei Fortbildungen für Erzieherinnen sowie Dozentin bei Pädagogischen Kongressen und Veranstaltungen für Eltern.

 

Wie ist es in unserer heutigen Zeit um den Wert „Ehrlichkeit“ bestellt?

Wir haben verlernt, ehrlich zu sein. Sich an seiner Steuerpflicht vorbeimogeln, einen Geschäftspartner über den Tisch ziehen, beim Versicherungsschaden mehr in Rechnung stellen: All dies ist sozusagen gesellschaftsfähig geworden. Dabei sind Lügen, Täuschen, Fälschen und Manipulieren ebenso alt wie die Menschheit. Schon im Alten Testament ist sinngemäß das Gebot „Du sollst nicht lügen“ erwähnt. Doch was früher eher im Geheimen passierte, wird heute öffentlich gemacht. Wer seine Versicherung übers Ohr haut oder ein neues Steuerschlupfloch entdeckt, gilt als clever. Damit eine gerechtere Welt entsteht, müssen wir wieder lernen, wahrhaftig zu sein. Denn Erwachsene, die glauben, das Mauscheln und Tricksen gehe ohne Spuren an ihren Kindern vorbei, sind auf dem Holzweg. Die Kleinen bekommen mehr mit, als den Großen lieb ist.

 

Wirkt sich das Tolerieren von Unehrlichkeit im öffentlichen Leben auf unsere Familien aus?

Aber ja. Wer es im öffentlichen Leben mit der Ehrlichkeit nicht so genau nimmt, wird auch zu Hause kein Musterbild an Wahrhaftigkeit sein. Wie oft kommt es vor, dass eine Mutter oder ein Vater sich am Telefon von ihrem Kind verleugnen lassen! Kleine Kinder verstehen das nicht: Die Mama sitzt doch nebenan. Da kann sie unmöglich fort sein. Wenn das Kind das Lügen selber noch nicht verinnerlicht hat, wird es antworten: „Mama sitzt im Wohnzimmer. Sie hat gesagt, dass sie nicht da ist.“ Das wäre das Beste, was in einem solchen Fall passieren könnte. Denn Kinder für den eigenen Vorteil lügen zu lassen, schadet ihrer geistig-seelischen Entwicklung. Sie richten sich bei der Ehrlichkeit nach dem Vorbild der Eltern. Was ich darüber hinaus mehr und mehr beobachte: Eltern versprechen ihren Kindern etwas und halten es dann nicht ein. Das mag mit der hektischen schnelllebigen Zeit zu tun haben. Doch es hat schlimme Folgen. Kinder verlieren so das Vertrauen zu ihren Eltern. Mütter und Väter sollten deshalb nur versprechen, was sie auch halten können. Wenn die Mutter zusichert: „Nach dem Abwasch lese ich dir eine Geschichte vor!“ muss die Zeit dazu nachher noch reichen. Nichts anderes hat dann Vorrang. Und wenn der Vater verspricht: „Nächsten Samstag spiele ich mit dir Fußball!“ darf nichts anderes dazwischen kommen.

Irgendwann schwindelt jedes Kind einmal. Gehört das zum Großwerden dazu?

Auf jeden Fall. Zwischen drei und sechs Jahren entwickeln die meisten Kinder ein starkes Vorstellungsvermögen. Man nennt es deshalb auch das magische Alter. Es fällt den Kleinen schwer, Wirklichkeit und Fantasie voneinander zu trennen. Sie malen sich in Gedanken aus, was sie gerne hätten, und glauben, was sie gerade erzählen. Das hat mit bewusstem Lügen nichts zu tun, sondern eher mit dem großen Ideenreichtum des Kindes. Ein Beispiel: „In meinem Zimmer wohnt ein Löwe. Er spricht nur mit mir, und wir machen zusammen schöne Kunststücke.“

 

Wie können Eltern das verstehen und wie sollten sie damit umgehen?

In der magischen Phase sind für Kinder auch unsichtbare Dinge real. Alles, was sich bewegt, ist lebendig und hat eine Seele. Darum können für sie etwa Tiere, Wind und Wasser sprechen wie wir. Ein Hund wird zum Löwen und ein Vorhang zum Gespenst. Im Duft der Blumen schweben Elfen. Und in knorrigen Wurzeln verstecken sich die Zwerge. Wenn Kinder auf dieser Ebene erzählen, sind das keine Lügen, sondern innere Wahrheiten. Diese folgen den Gesetzen der Fantasie, der inneren Bilder und der Träume. Kinder drücken aus, was sie durch ihr kindliches Erleben wahrnehmen. Deshalb brauchen sie in diesem Alter und darüber hinaus Märchen. Denn in ihnen sind innere Zustände dargestellt. Die einzelnen Figuren zeigen uns unterschiedliche Seelenanteile. Dabei braucht jedes Kind den Zwerg und den Riesen in sich, den Wolf und das Schaf, die Hexe und die gute Fee. Jede Facette ist für seine Ich-Entwicklung wichtig. Die unterschiedlichen Figuren helfen ihm, das innere Gleichgewicht zu finden und stabil zu werden. Deshalb brauchen Kinder diese Geschichten.

 

Wann erkennen Kinder den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge?

Wenn sie sprachlich soweit sind, dass sie die Dinge mit Namen benennen können und wissen, was vorgeht. Die meisten Kinder sind mit der Schulreife, also mit etwa sechs Jahren, soweit. In dieser Phase lieben sie Lügenmärchen über alles. Sie entwickeln dabei ein feines Sprachempfinden und viel Sinn für Humor. Doch die „Verkehrte Welt“ versteht nur, wer die richtige Version begriffen hat, damit er sich an der falschen freuen kann. Dies setzt also einen gewissen Sprachschatz voraus. Schön ist zum Beispiel folgende Geschichte, die von den Eltern und ihrem Kind immer weiter gesponnen werden kann:

Oh, wie dumm, wie dumm!

Heut geht alles krumm.

Die Mäuse haben die Katzen gefressen.

Das Klavier hat auf dem Stuhl gesessen.

Oh, wie dumm, wie dumm!

Heut geht alles krumm.

Die Kuh hat einen Löwen gefangen.

Das Haus hat am Apfelbaum gehangen.

Oh, wie dumm, wie dumm...

 

Was ist, wenn Kinder aus Angst vor Strafe lügen oder zum eigenen Vorteil schummeln?

Manche Kinder lügen, weil sie fürchten ausgeschimpft zu werden: „Ich habe nicht vom Kuchen genascht. Es war die Katze.“ Sie fühlen sich aber nicht wohl in ihrer Haut – vor allem, weil Lügen in der Regel kurze Beine haben und die Eltern die Wahrheit doch herausbekommen. Eltern sollten sachlich bleiben. Denn für Kinder ist es schon Strafe genug, beim Schwindeln ertappt zu werden. Am besten reden Mutter oder Vater mit dem Kind: „Es ist immer besser, bei der Wahrheit zu bleiben. Denn wir können über alles reden, und du musst keine Angst haben.“ Eltern sollten ihr Kind loben, wenn es die Wahrheit sagt. In unserem Beispiel etwa: „Du konntest nicht mehr warten, denn es ist dein Lieblingskuchen. Es ist gut, dass du es zugegeben hast. Doch der Kuchen hat nun ein Loch. Wir schneiden ihn deshalb auf. Und du bekommst das angebrochene Stück. Denn das können wir niemandem sonst anbieten.“ Beim Schummeln verhält es sich anders. Wenn Kinder zum Beispiel die Spielregeln eines Gesellschaftsspieles zu ihrem Vorteil verändern möchten, ist das ein Zeichen von Intelligenz. Das Kind ist über dieses Spiel längst hinausgewachsen und braucht neue Herausforderungen.

 

Was hilft Kindern, bei der Wahrheit zu bleiben?

Auch hier sind Eltern große Vorbilder. Es schadet ihrem Ansehen nämlich nicht, dass sie einen Fehler zugeben, wenn das Kind Recht hatte. Gut ist es auch, Kindern etwas zum Festhalten zu geben, etwas, das ihnen Mut macht, zum Beispiel ein Mutstein. Kinder lieben Steine nämlich. Sie glauben, dass von ihnen eine Zauberkraft ausgeht. Es könnte zum Beispiel ein fein geschliffener Halbedelstein sein, der sich gut in der Hand anfühlt und der sich unauffällig in der Hosentasche herumtragen lässt. Schön ist ein Rhodonit. Dieser Stein ist altrosa und hat schwarze Flecken. Eltern könnten dem Kind erzählen: „Wenn du diesen Mutstein in der Hand hälst, gibt er dir so viel Kraft und Mut, dass du die Wahrheit sagen kannst!“ Mutter oder Vater könnten dann, wenn das Kind sie trotzdem mal anflunkert, sagen: „Greif in die Tasche und halte deinen Mutstein in der Hand. Und jetzt erzählst du, wie es wirklich war.“

 

Frau Stöcklin-Meier, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Die Webseite von Susanne Stöcklin-Meier: www.stoecklin-meier.de

 
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