Margarete Ostheimer GmbH
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Deutschland
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Wer Kinder aufmerksam beobachtet, weiß, wie gerne sie singen und tanzen. Im Interview mit Spiel und Zukunft erklärt die Musikpädagogin Bettina Leuckert, welche Bedeutung Bewegung für die Entwicklung des Kindes hat und wie wohltuend sich Musik, Gesang und Bewegung auf die kindliche Seele auswirken.
“In meiner Praxis mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Kinder regelrecht nach Bewegung und Gesang dürsten! Sie wollen sich bewegen! Sie wollen singen! Und am besten gemeinsam mit anderen. Kinder reagieren sehr unmittelbar auf Musik und es ist deutlich spürbar, wie froh sie sind, wenn sie die Gelegenheit haben, miteinander zu tanzen und zu singen.”
Bettina Leuckert ist Diplom Musikpädagogin mit dem Schwerpunkt Rhythmik. Sie ist 5Rhythmen®- und OpenFloor-Lehrerin und bietet Kurse und Seminare an.
Bettina Leuckert unterrichtet seit 23 Jahren Musik und Tanz für Kinder aller Altersstufen sowie Eltern-Kind-Gruppen. Darüber hinaus arbeitet sie als Musik- und Bewegungspädagogin in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung – so z.B. mit Erzieherinnen und Erziehern, Menschen mit HIV, Frauen mit Fluchterfahrung und Menschen mit Behinderungen.
Mehr Informationen zu Bettina Leuckert und ihren Angeboten finden Sie hier: www.bettina-leuckert.com
Frau Leuckert, Ballett, Kinderturnen, Musikschule: Selbst kleine Kinder haben nachmittags schon viele feste Termine, und nun auch noch Eltern-Kind-Tanznachmittage?
In unserer Gesellschaft sind Singen und Tanzen nicht selbstverständlich verankert.
Musik passiert oftmals auf Knopfdruck und wird eher konsumiert als kreiert. Tätigkeiten, die den ganzen Körper beanspruchen, sind rar geworden und die Freiräume der Kinder knapp.
Deswegen halte ich es auf alle Fälle für sinnvoll, dass Eltern es ihren Kindern ermöglichen, möglichst viel zu singen und zu tanzen oder ein Instrument zu erlernen. Ja, es bedeutet, einen Termin mehr zu haben, aber Kinder nehmen sehr viel mit von diesen Stunden. Wichtig ist dabei, dass es ein spielerisches Lernen ist, dass die Freude am eigenen Körper und an der Bewegung sowie das Ausprobieren der eigenen Stimme im Mittelpunkt stehen. Dazu kommt: eine so verbrachte Zeit kann sehr kostbar sein, denn da geht es dann wirklich nur um diese eine gemeinsame Sache, da bleiben die Ablenkungen, das Handy etc. außen vor. Manchmal ist ja auch die Freizeit eher eine Ablenkungszeit.
Warum sind Singen und Tanzen so wichtig für Kinder?
In meiner Unterrichtspraxis mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Kinder sehr unmittelbar auf Musik reagieren, dass sie spontan anfangen zu tanzen, wenn sie Musik hören, dass sie bestimmte Lieder immer wieder singen wollen, und dass sie es regelrecht einfordern, dass zu Hause gesungen und getanzt wird.
Musik und Bewegung sind wichtig, weil Kinder geradezu danach dürsten. Sie wollen sich bewegen! Sie wollen singen! Und am besten gemeinsam mit anderen. Kinder haben strahlende Gesichter, wenn sie in die Hände klatschen, wenn sie springen, wenn sie sich im Kreis drehen. Das sind ganz einfache Sachen, sehr schlicht und doch so wesentlich. Oft spricht Musik etwas in den Kindern an, was durch Sprache nicht so unmittelbar geschieht. Das ist noch einmal eine andere Saite der Persönlichkeit oder der Seele, die da klingen darf, ein ganz innerer Bereich der Kinder, der mit ihrer Lebendigkeit zu tun hat.
In unserer Gesellschaft bekommen die Kinder schon viel mit von den Erwachsenen, von dem Stress, von den ganzen Informationen, die auf uns einwirken. Musik und Tanz können Kinder darin unterstützen, mit den Füßen auf dem Boden zu landen, sich zu erden und zu spüren, sich in ihrer Welt zu verankern, zu äußern und kraftvoll in ihr zu bestehen - egal wie schnell sich die Welt da draußen dreht. Und: im eigenen Körper zuhause zu sein, steigert natürlich auch das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl.
Bemerken Sie einen Unterschied zwischen den Kindern, die Sie früher unterrichteten, und den Kindern heute?
Ich habe den Eindruck, dass der Bewegungsbedarf noch größer ist als damals, als ich vor 23 Jahren angefangen habe, mit Kindern zu arbeiten, und dass Eltern und Kinder mehr unter Strom stehen als früher. Die Spannung, die die Kinder manchmal mitbringen, ist enorm. Erwiesenermaßen verbringen viele Kinder heute mehr Zeit vor Bildschirmen. Kinder müssen viel verarbeiten und abreagieren. Vielleicht hängt das damit zusammen, mit welchen Spielen sie konfrontiert sind, was sie zuhause oder bei Freunden gucken, welche Geschichten in ihnen leben.
Kinder wollen sich in ihrer Kraft erleben und hören oftmals: “Das ist zu viel, zu laut, zu wild.”
Auch Jungen, die manchmal schon die unbewusste Einstellung von Erwachsenen übernommen haben, dass Tanz „was für Mädchen“ ist, können mit Musik und in Bewegung die wertvolle Erfahrung machen: “Oh, meine Kraft ist ja gut, die darf auch sein, und hier in dieser Musik, in diesem Tanz, in diesem Spiel gemeinsam mit den anderen ist sie willkommen und ergibt Sinn!” Auf der anderen Seite können auch schüchterne Kinder lernen, die eigene Stimme zu erheben und sich ihrer Kräfte gewahr zu werden.
Wie kamen Sie auf die Idee mit den Tanznachmittagen für Kinder und Erwachsene?
Wenn es so etwas wie die Essenz meiner Arbeit gibt, so ist es die Erkenntnis, dass das Menschsein etwas damit zu tun hat, wie lebendig wir innerlich sind, und wie wir mit den Herausforderungen des Lebens umgehen können – spielerisch, individuell und gemeinschaftlich. Im Alltag kommt uns diese Lebendigkeit manchmal abhanden. Hier können wir von den Kindern mit ihrer unmittelbaren Lebensfreude, ihrer Natürlichkeit und Präsenz vieles lernen, das wir im fortgeschrittenen Alter vielleicht vergessen haben.
In meinen Kursen für Erwachsene ist deutlich spürbar, wie alle aufatmen, wenn der Stress aus dem Körper weicht. Und das Bedürfnis nach einem sinnlichen Ausgleich zu einem Alltag, der oftmals eher kopflastig ist, ist groß. Da geht es meist darum, wirklich „im Körper zu wohnen“. Die Kinder leben uns vor, wie das geht, und so finde ich es sinnvoll, auch mit Kindern und Erwachsenen gemeinsam zu tanzen und zu musizieren. Da haben alle etwas davon.
Einfach so Spielen, Tanzen und Singen: Ist das nicht schwierig für manche Eltern?
Ja, manche Eltern müssen anfangs schon über ihren Schatten springen, um sich schnell mal in einen Bären zu verwandeln. Wenn sie aber sehen, wieviel Freude die Kinder daran haben, machen sie gerne mit. Ich habe sogar den Verdacht, dass es den Eltern genauso gut tut, sich auf diese Nachmittage einzulassen. Das Miteinander, das in dieser Lebendigkeit entsteht, und die Freude und Zugewandtheit der Kinder sind wertvolle Momente für Eltern.
Wie sieht so ein Tanznachmittag für Kinder und Eltern aus?
Der Tanznachmittag ist aufgebaut wie ein großes Spiel. Im Anfangsritual versuchen wir, gut anzukommen, den Körper zu spüren und uns uns selbst zuzuwenden, den Beinen, dem Bauch, den Füßen usw. Dabei bringen wir den Körper zum Klingen. Wir erforschen, welche Klänge wir mit ihm erzeugen können, z.B. wenn wir auf der Wange trommeln und dabei den Mund unterschiedlich weit aufmachen. Da sind wir dann schon bei Mini-Klopf-Massagen und Rhythmusspielen: Wir patschen rhythmisch auf die Arme, die Beine, den Boden, trommeln auf unseren Köpfen, klopfen uns gegenseitig auf die Rücken, stampfen mit den Füßen. Wir spüren die kraftvolle Energie, die entsteht, wenn wir als Gruppe mit den Händen klatschen oder den Füßen trappeln. So begrüßen wir den Körper, wecken unsere Sinne auf, kommen in die Aktivität und werden eine Gruppe.
Natürlich geht es anfangs viel darum, die Hemmungen zu verlieren, die der ein oder andere hat. Beispielsweise bilden wir einen Kreis, indem wir nebeneinander sitzen oder die Kinder auf dem Schoß der Eltern. Verbunden mit einem rhythmischen Spiel sagen wir dann unsere Namen. Das ist für manche Kinder schon eine echte Herausforderung: die eigene Stimme erheben und gehört werden. Das machen die ganz Kleinen noch nicht mit, die älteren schon. Das bedeutet auch im übertragenen Sinne: “Ich zeige mich und ich werde gesehen und gehört. Und wir zusammen sind diese Gruppe.”
Danach geht es in die Bewegung. Hierbei ist es wichtig, die einzelnen Körperteile zu erforschen, wie können die Füße sich bewegen, wie die Beine, die Popos usw.
Geben Sie dabei Anweisungen?
Es sind eher Spielregeln, Anregungen und Fragen, die ich variiere. Ich gebe nur selten Schrittfolgen vor, sondern lade dazu ein, den eigenen Tanz zu entdecken, und die Möglichkeiten, die wir alle haben, auszuschöpfen. Beispielsweise frage ich, wie wir uns begrüßen könnten, wenn wir es nicht über die Sprache oder durch Händeschütteln machen. Da wird es dann schnell sehr kreativ, da kommen die Kinder auf viele Ideen, begrüßen sich von Fuß zu Fuß, von Bauch zu Bauch usw.
Inwiefern spielen die Jahreszeiten eine Rolle bei den Nachmittagen?
Im Frühjahr beispielsweise sind wir etwas eingerostet, weil wir uns mehr drinnen aufgehalten haben. Da liegen wir dann als müde Bären auf dem Boden und wachen langsam auf.
Hier können auch die Erwachsenen ihre Müdigkeit abschütteln und Lebendigkeit in ihre Knochen bringen. Kinder sind ja auch im Winter sehr aktiv, für sie ist aber dieses Bild vom müden Bären sehr schön, der am Träumen war und jetzt vom Sonnenstrahl gekitzelt wird, davon aufwacht, sich nun langsam reckt und streckt. In dieser Art finden sich für jede Jahreszeit Bilder, in die wir uns von Kopf bis Fuß hineinbegeben.
Verstehen denn alle Kinder ihre Anregungen und können ihnen folgen?
Ja, sicher, für Kinder ist dieses Spielen in Geschichten selbstverständlich. Einmal wecken die Sonnenstrahlen vielleicht die Knie. Ein anderes Mal spielen die Erwachsenen die Sonnenstrahlen und kitzeln die schlafenden Bärenkinder ganz vorsichtig wach, massieren ihnen den Rücken, bis sie aufwachen, oder es weckt ein zarter Triangelklang die ganze Bärengruppe zum Leben. Beim nächsten Mal wecken die munteren Bärenkinder den großen Bären. Dann schüttelt er sich und läuft los, um seine Freunde oder die Wasserquelle zu besuchen, von Schritt zu Schritt wird er munterer und kräftiger. Kinder gehen in diesem kreativen Miteinander mit allen Sinnen auf.
Werden Kinder an diesen Nachmittagen dabei nicht zu aufgedreht?
Es sind immer besondere Momente, wenn wir nach den bewegten Phasen die Stille erleben, die ist dann sehr intensiv und kostbar. Um sie so richtig auszukosten, gibt es kleine Entspannungsübungen oder Massagen. Meistens genießen alle – groß und klein – diese Zeiten sehr – und kommen wirklich zur Ruhe. Ein gemeinsames Ritual am Ende rundet den Nachmittag ab.
Brauchen Kinder heute nicht ganz andere Fähigkeiten als Musik und Tanz, um später im Leben bestehen zu können?
So wie ich die Neurobiologie heute verstehe, ist es ein Holzweg, zu denken, dass das Denken und die mentalen Fähigkeiten nur den Kopf brauchen und abgekoppelt vom Körper existieren. Vielmehr ist es so, dass das Denken und Lernen dann gut funktionieren kann, wenn der Körper wach und lebendig ist, und wenn wir vor allem - aber nicht nur! - im Kindesalter viele und vielfältige körperliche Erfahrungen machen dürfen. Bewegung, Musikalität und Denkleistungen sind eng miteinander verknüpft. Und auch das Selbstbewusstsein, die emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur Empathie werden gestärkt, wenn wir miteinander in Bewegung sind. Und wo Kommunikation auch ohne Worte läuft – wie in der Musik und über die Bewegung -, weiten wir unseren Horizont und entwickeln grundlegende Fähigkeiten des „In–Kontakt-seins“, die dem sozialen Miteinander zugute kommen.
Was können Eltern tun, um kindliche Bewegungs- und Singfreude zu unterstützen?
Das A und O ist: Selbst singen, selbst tanzen - auch dann, wenn es den eigenen ästhetischen Ansprüchen nicht gerecht wird! Es geht ums Tun und darum, dass die Kinder sehen, dass es einfach zum Leben dazu gehört, genauso wie das Sprechen und Gehen. Meist gilt: wer sprechen kann, kann auch singen, wer gehen kann, kann auch tanzen. Und genau genommen ist es noch einfacher: Wer einen Körper hat, kann tanzen, das sehen wir ja schon bei den Babys, die zu Musik auf und ab wippen, obwohl sie noch nicht mal auf den Beinen stehen! Und Töne haben wir alle gemacht, noch bevor wir sprechen konnten! Für mich sind das die wichtigen Momente - ein richtiges Lied ist was Wunderbares, doch Spaß kann man schon mit einzelnen Tönen und Geräuschen haben, aus denen z.B. ganz schnell Echo- oder Frage- und Antwortspiele werden können.
Frau Leuckert, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Für Babys und jüngere Kinder:
Kniereiter, Schunkeln, alles, was Freude macht und bei dem Kinder den Rhythmus der Bewegung spüren, die Schwerkraft und den Schwung erleben können.
0-3-jährige lieben es, wenn wir sie wiegen, ihnen etwas vorsummen; dabei ist es gut, das Kind dicht am Körper zu halten, damit es die Vibration der Stimme spüren kann.
Für alle Kinder:
Lieder singen und sie z.B. mit Klatschen, Patschen, Stampfen, Klopfen u.ä. begleiten
Verse, Reime und Gedichte sprechen
Alltagshandgriffe wie das An- oder Ausziehen, Tisch decken oder Spazierengehen mit einem Lied begleiten - das kann ruhig selbst erfunden sein.
Am Abend:
Als Abendritual beim "Ins Bett bringen" ein Lied singen und summen. Vor dem Einschlafen sind die Kinder besonders aufnahmebereit und es hilft, eine gute Bindung zum Kind aufzubauen.
Für die Experimentierfreudigen:
Wenn sich ein Streit festgefahren hat: einfach mal in eine Quatschsprache übergehen, bei dem die Dynamik entscheidend ist, nicht der Inhalt.
Einen Streit mal nicht (nur) mit Worten ausfechten, sondern in einen energischen Stampf- und Löcher- in-die-Luft-Box-Tanz überführen.
Und: Wie tanzt es sich wenn die Laune wieder besser wird? Wie tanzt es sich fröhlich? Traurig? Gekränkt? Schüchtern? Mutig? Vorsichtig? Wild?
Mehr Informationen zu Bettina Leuckert, ihrer Arbeit und den Angeboten finden Sie hier: www.bettina-leuckert.com
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