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Mit allen Sinnen wachsen

© Benjamin Jenak, Veto Magazin

Körpergefühl, Motorik, Konzentration – das sind drei wichtige Superkräfte in der kindlichen Entwicklung. Eltern ärgern sich: Mein Kind ist so laut! Ständig streiten wir! Warum geht meinem Kind so oft etwas kaputt? Wieso kann es sich nicht gut alleine beschäftigen? Die Familienberaterin und Beststellerautorin Inke Hummel zeigt, inwiefern Wahrnehmung die Ursache für Konflikte sein kann und wie Eltern ihre Kinder unterstützen können, damit sie sich gut entwickeln. Sie erklärt im Interview wie Eltern die kindlichen Sinne und das Miteinander in der Familie stärken können.

 

Inke Hummel ist Autorin, Pädagogin und Inhaberin der Familienbegleitung „sAchtsam Hummel“. Als pädagogischer Coach unterstützt sie Familien im ersten Babyjahr, in der Kindergarten- und Grundschulzeit und in der Pubertät. Besonders häufig begleitet sie Eltern mit gefühlsstarken oder schüchternen Kindern und verhilft ihnen zu einer gelingenden Eltern-Kind-Bindung. Im Netzwerk Bindungsträume setzt sie sich dafür ein, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte die Bedürfnisse von Kindern besser verstehen. Sie ist Mutter von drei Kindern.

Warum haben manche Eltern mehr Stress mit ihren Kindern als andere?

Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Man muss immer ins Familiensystem schauen: Wie ist es um die elterlichen Ressourcen bestellt? Wird das Kind mit einer passenden Erziehung begleitet oder nicht? Oder gibt es vielleicht einen Grund, der im Kind liegt und den Umgang mit ihm herausfordernd macht?

Leider wird oft nicht so genau hingesehen, sondern schnell das Kind „verdächtigt“: Herausfordernde Kinder „wollen nur Aufmerksamkeit“, heißt es dann. Und das greift eigentlich immer zu kurz.

 

Fehlt manchen Eltern nicht einfach der elterliche liebevolle Blick?

Ich würde eher sagen, ihnen fehlt oft das entsprechende Wissen oder auch der Rundumblick auf ihr Familiensystem. Leicht lässt man sich von alten Glaubenssätzen leiten – „das Kind springt dir auf der Nase herum“ – oder vergleicht mit anderen. Sind bei befreundeten Familien die Kinder „pflegeleichter“, muss doch etwas am eigenen Kind falsch sein?! Dabei wird übersehen, was alles Ursachen für Stress im familiären Miteinander sein können.

Wie gehen Sie vor, um Eltern auf wunde Punkte aufmerksam zu machen?

In meinen Beratungen schaue ich mit den Eltern in ihr System. Wie ist ihr Erziehungsstil? Welches Wesen hat ihr Kind mitgebracht? Wie hat sich das Kind bisher entwickelt? Welche Herausforderungen gab es in seinen bisherigen Lebensjahren? Wie gut sind sein Umgang mit Gefühlen und seine Wahrnehmungsstärke? Wie sicher sind die Eltern auf ihrem Weg und wie sicher ist ihr Kind mit ihnen?

Ein Schlüsselsatz ist „Ich weiß, es ist immer jemand für mich da! Gerade auch dann, wenn es mir schlecht geht.“ Da gucken wir zusammen hin: Fühlt das Kind sich derartig gesichert oder vielleicht nicht? Dann braucht die Familie Unterstützung.

 

Warum ist es so wichtig für Kinder zu wissen: „Es ist immer jemand für mich da, wenn es mir schlecht geht“?

Das ist ein Kern von Bindungssicherheit. Und diese ist eine wichtige Prophylaxe für eine gesunde Entwicklung in etlichen Bereichen.

Ist ein Kind aber bindungsunsicher, beispielsweise durch sehr distanzierte Eltern, werden ihm viele Entwicklungsschritte schwerfallen. Das kann den Stress im Miteinander verursachen. Eine Erziehungsberatung gibt hier Klarheit.

 

Haben Sie den Eindruck, dass manche Eltern unrealistische Erwartungen an ihre Kinder haben ?

Ja, und teilweise nicht nur die Eltern, sondern auch ihr Umfeld, sogar pädagogische Institutionen. Und wenn das so ist, werden Kinder oft überschätzt – und dann sind die Erwachsenen natürlich enttäuscht oder sogar aufgebracht, wenn wieder etwas noch nicht gelingt.

Hier finde ich den Schlüsselsatz „Ich weiß, ich habe Zeit, mich zu entwickeln und meine Eltern werden nicht ungeduldig mit mir!“ relevant.

 

Kann es sein, dass manche Eltern Angst vor heftigen Gefühlen ihrer Kinder haben? Und was ist in diesen Fällen geraten?

Ja, diese Ängste gibt es. Wut und Aggressionen stressen leicht, besonders wenn man selbst als Kind keinen gesunden Umgang damit gelernt hat. Dann ist es wichtig, dass Eltern sich damit befassen, um danach besser auf ihr Kind zugehen und es stimmiger in seinen Gefühlen begleiten zu können.

Es ist super, wenn in Familien das Motto gilt: „Wut, Unmut, Traurigkeit, Freude ... bei uns ist Platz für alles!“  Kinder sind dann sicher: „Ich weiß, was ich fühle und darf es zeigen.“ Das ist eine gute Basis für ein gesundes Großwerden.

Können Sie einige typische Stressauslöser nennen, die Ihnen in Ihrer Arbeit immer wieder begegnen?

Eltern und Kinder geraten oft in Streit, wenn Kinder sich anders verhalten, als wir Großen erwarten: Es will sich dünner anziehen, es kleckert ständig beim Essen, es kann nicht konzentriert am Musikkurs teilnehmen, es spürt nicht, wenn es müde wird, sondern überdreht dann und vieles mehr. Und auch hier wird rasch gesagt: Das Kind ist anstrengend. Oder es stellt sich an. Oder will nur Aufmerksamkeit.

Doch es ist wichtig, hinter das Verhalten zu schauen, auf den „guten Grund“, den ein Kind für sein Tun hat. Und oft liegt dieser gute Grund in seiner andersartigen Wahrnehmung: Ihm ist nicht so kalt wie der Mama, es kann noch nicht so geschickt einschätzen, wie es den Löffel bewegen muss, es kann die Reize im Musikkurs nicht so gut filtern wie der große Bruder im gleichen A‍lter usw.

 

Welche Rolle spielen die Sinne eines Kindes für die Wahrnehmung der Umwelt?

Eine riesige. Ohne Sinne nehmen wir keine Reize auf, und funktionieren Sinne anders als bei anderen, ist auch die Reizverarbeitung anders. Ist beispielsweise jemand sehr lautstärkeunempfindlich, ist er wahrscheinlich eher laut und mag es eher laut. Das kann eine geräuschempfindliche Person fürchterlich stressen. Aber falsch ist keine von beiden.

 

Welches sind die wichtigsten Sinne?

Die fünf Sinne nach außen, also Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen, sowie unsere Sinne nach innen. Die spüren nach, ob wir im Gleichgewicht sind, wie viel Kraft wir aufwenden müssen, um etwas zu erledigen, oder wie ein Bewegungsablauf getimed sein muss, um am Ende einen Ball, fangen zu können. Außerdem sagen uns die Sinne nach innen, ob wir hungrig sind oder müde oder auch aufgeregt.

Wenn man das weiterdenkt, merkt man schnell, dass sie im Grunde bei allem, was Kinder tun, mitwirken, und dementsprechend bei allem, was Eltern mit Kindern tun, ein Faktor für Unstimmigkeiten sein können, wenn sie unterschiedlich ausgebildet sind.

 

Warum sind die Sinne so wichtig für eine gesunde Kindesentwicklung?

Ein Kind muss die Welt und sich selbst gut wahrnehmen können, um sinnvoll mit anderen in Interaktion gehen zu können. Hat es irgendwo im Wahrnehmungsprozess ein Problem oder auch nur eine Unter- oder Überempfindlichkeit, kann es zu Schwierigkeiten im Miteinander kommen. Und das macht immer Stress, der der gesunden Reifung nicht guttut und sich auf die Psyche auswirken kann.

 

Wie können Eltern dafür sorgen, dass diese Sinne angeregt werden?

Sie können Kindern viel Raum geben, um sich zu spüren, sich zu bewegen, Dinge sinnlich zu erleben – und das am besten bewertungs- und leistungsfrei. Unser moderner Alltag beschränkt diese Möglichkeiten leider viel zu sehr. Dabei kann man recht einfach viel dafür tun, beispielsweise immer mal nur einen Sinn ansprechen, wenn man sowieso unterwegs ist: Augen zu und einfach mal nur hören. Was ist nah dran? Was ist weit weg? Was klingt nervig? Was klingt schön?

Und es gibt noch viel mehr kleine Anregungen, wie den Alltag wahrnehmungsstärker machen und noch dazu Spaß bringen – und am Ende für eine gesündere Entwicklung des Kindes und auch für einen stressfreieren Familienalltag sorgen können.

 

Frau Hummel, ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

Hier können Sie mehr über die Autorin erfahren:

www.inkehummel.de 

Buchtipp:

Inke Hummel

Mit allen Sinnen wachsen


Körpergefühl, Motorik, Konzentration – das sind drei der häufigsten Themen in Familienberatungen. Warum geht meinem Kind so oft etwas kaputt? Ständig streiten wir über Kleidung und Hygiene! Mein Kind ist oft so laut! Warum kann es sich nicht gut alleine beschäftigen oder länger konzentrieren? In ihrem neuen Ratgeber zeigt Bestseller-Autorin Inke Hummel, inwiefern Wahrnehmung die Ursache für Alltagskonflikte sein kann und wie Eltern ihr Kind unterstützen, damit es sich gut entwickelt. Sie gibt praktische Tipps, um die kindlichen Sinne und das Miteinander in der Familie zu stärken. Das Tolle daran: Eltern lernen ihr Kind endlich richtig kennen – das verbessert die Beziehung und beruhigt den Familienalltag.

Humboldt Verlag, 2023

 
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