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Peter Lang: Kein Mausklick für die Kleinen

"Computer im Kindergarten behindern die Entwicklung des Kindes. Sie verbrauchen und stehlen deren Kindheitszeit. Leider ist das Denken vieler Eltern und Erzieher heute geprägt von einem 'Je früher desto besser’. Es ist höchste Zeit für ein 'Alles zu seiner Zeit’“, sagt der Diplom-Pädagoge Peter Lang.

Der Diplom-Pädagoge Peter Lang leitet das Berufskolleg des Waldorfkindergartenseminars in Stuttgart. Er ist verantwortlicher Redakteur der Schriftenreihe „Recht auf Kindheit – ein Menschenrecht“.


Warum gehören Computer nicht in Kindergärten?

Kinder können die Funktionsweise eines Computers nicht durchschauen. Das tatsächliche Ursache-Wirkungsverhältnis bleibt verborgen. Eigene Tätigkeitserfahrung findet nicht statt. Und das ist fatal. Denn Kinder müssen über viele Jahre erst einmal intensiv die reale Welt kennen und erfahren lernen. Sie sollten das Wahrgenommene, das Gefühlte und Gedachte in einen sinnvollen Zusammenhang bringen und Ursache und Wirkung voneinander unterscheiden. Hinzu kommt: Immer mehr Untersuchungen lassen einen Zusammenhang zwischen Sprach- und Denkstörungen und der Nutzung elektronischer Medien erkennen.

Woran liegt es, dass die neuen Medien in immer mehr Kindergärten Einzug halten?

Leider gibt es eine unheilige Allianz zwischen der Kommunikationsindustrie, staatlich verordneten Bildungsvorgaben und Modernitätstheorien. Sie setzt Schulen und sogar schon Kindergärten sowie Eltern und Erzieher unter wachsenden Druck, sich den neuen technischen Entwicklungen unterzuordnen. Und sie argumentiert damit, Kinder beizeiten auf die moderne Arbeitswelt vorzubereiten. Ein weiteres Argument: Kinder sollten nicht in einer wirklichkeitsfernen Welt aufwachsen. Es geht mir nicht darum, Computer an sich zu verdammen. Sie sind hilfreiche Geräte, die viele Arbeiten erleichtern, beschleunigen oder Informationen zur Verfügung stellen. Doch das ist es nicht, was kleine Kinder brauchen. Sie lernen nämlich durch Wahrnehmung, Nachahmung und fantasievolles Selber-Tun. So wächst ihr Erfahrungsschatz. So werden sie innerlich und äußerlich aktiv, ergreifen und begreifen die Zusammenhänge und bauen sich eine realistische Welt auf. Die Fantasie ist im Kindergartenalter noch ganz an das spielende und gestaltende Tun gebunden.

Softwarehersteller werben damit, dass bereits Kindergartenkinder mit Hilfe ihrer Programme wichtige Lernerfahrungen machen. Ist da vielleicht doch etwas dran?

Nein, da sind die Werbestrategen gründlich auf dem Holzweg. Nicht zuletzt warnen nämlich auch Hirnforscher vor dem Einsatz von Computern in Kinderzimmern und Kindergärten. Denn es steht längst fest: Um die Welt verstehen und begreifen zu können, brauchen Kinder die sinnliche Wahrnehmung. Sie wollen greifen, tasten, schmecken, riechen, hören und sehen: Wie fühlt sich Wasser an? Wie klingt Metall, wie Holz? Wie riecht ein Apfel? Wie sieht die Dämmerung aus? Wie schmeckt Käsekuchen? Der Computer dagegen bietet immer nur eine Welt aus zweiter Hand. Er liefert Kopien und Imitate. Auch das beste Mal- und Bastelprogramm auf der zweidimensionalen Bildfläche bringt mit seinem virtuellen Pinsel, künstlicher Schere und per Mausklick erzeugten Bewegungen nicht annähernd das Lernerlebnis, das mit realen Farben und Materialien verbunden ist. Mehr noch: Die Kinder werden getäuscht. Denn sie können noch nicht zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden. Kleine Kinder nehmen alles, was sich ihren Sinnen bietet und ihre Fantasiekraft animiert, als wirklich und echt an. Erst der frei denkende, erkennende und urteilende Mensch kann sicher zwischen Schein und Wirklichkeit unterscheiden. Kinder können das noch nicht. Sie sind darauf angewiesen, dass die Erwachsenen ihnen die Welt so zeigen, wie sie wirklich ist – und nicht, wie sie auf einem Bildschirm erscheint.

 

Was hat es mit dem im Zusammenhang mit Computerspielen oft zitierten Bewegungsmangel auf sich?

Es ist erschreckend, dass heutzutage bei mehr als der Hälfte aller Erstklässler Haltungsschäden, Übergewicht oder Gleichgewichtsstörungen festgestellt werden. Fest steht, dass die seelische und geistige Beweglichkeit des Menschen mit seiner körperlichen Beweglichkeit korrespondiert. Wer sein körperliches Gleichgewicht nicht halten kann, bekommt eher Probleme mit der seelischen Balance. Die Bewegungsfähigkeit beeinflusst darüber hinaus ganz entscheidend den Spracherwerb. Man kann sich also vorstellen, wie schädlich Stillsitzen vor dem Computer oder Fernseher ist. Doch nicht nur Hände, Arme und Beine sind Bewegungsorgane, sondern auch die Augen. Beim nah oder in die Ferne Sehen ist die Augenlinse ständig in Bewegung. Die Pupille weitet oder verengt sich – je nach den Lichtverhältnissen. Um einen Gegenstand mit den Augen wahrzunehmen, tasten wir die Umrisse der einzelnen Bestandteile ab. Beim Umgang mit dem Computer ist diese Bewegungsbereitschaft des Auges deutlich herabgesetzt. Der Entfernungsabstand zwischen Auge und Gerät bleibt immer gleich, die Dreidimensionalität des natürlichen Raumes ist aufgehoben und zur Zweidimensionalität vereinfacht. Die Farbqualitäten sind künstlicher Natur. Das Blickfeld des Kindes – normalerweise bis zu 200 Grad weit – wird mehr und mehr verengt, im schlimmsten Fall auf bis zu 70 bis 80 Grad. Bei Kindern, die viel fernsehen oder am Computer sitzen, verlieren die Augen im Laufe der Zeit ihre Bewegungsfähigkeit. Diese Kinder können dann schlecht ihr Gleichgewicht halten, kaum balancieren, Roller oder Fahrrad fahren. Sie sind erheblich unfallgefährdet.

 

Andere Kindergärten werben mit Englischunterricht für Fünfjährige. Ist dies sinnvoll?

Nein, denn Kindergartenkinder sollten in die Sprache hineinwachsen, die in ihrer Lebensumgebung gesprochen wird. Wie notwendig das ist, beweist die Tatsache, dass mittlerweile 20 Prozent der Drei- bis Vierjährigen starke Sprachentwicklungsstörungen aufweisen. Eine Frühförderung in einer Fremdsprache ist deshalb völlig unrealistisch. Natürlich sollte dies keine dogmatischen Züge annehmen. Es ist völlig in Ordnung, wenn Kindergartenkinder auch mal ein englisches Lied singen, ein italienisches Essen kochen oder ein türkisches Fest feiern.

 

Herr Lang, wir danken Ihnen für das Gespräch

 

In der Reihe „Recht auf Kindheit – ein Menchenrecht“ ist unter anderem der Titel „Kinder und Computer – Argumente aus der Waldorfpädagogik“ erschienen. Eine lesenswerte und informative Broschüre mit Beiträgen verschiedener Autoren  Bestellungen per Fax: 0711/268447-44 oder per E-Mail:

a.steller@waldorfkindergartenseminar.de

Auf der Internetseite www.waldorfkindergartenseminar.de finden Sie weitere wertvolle Informationen, Schriften aus der Reihe „Recht auf Kindheit – ein Menschenrecht“ sowie ein Faltblatt von Peter Lang „Was Kinder brauchen“ zum Herunterladen.

 
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