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Gelassenheit - leicht gesagt, nur wie?

So können Familien am besten durch diese schwierige Zeit kommen

 

 “Ich empfehle Eltern dringend, auf Selbstfürsorge zu achten, denn nur, wenn die Eltern einigermaßen ausgeglichen sind, kann die Familie gut funktionieren. ...

“Wenn Familien in schwierigen Zeiten in der Lage sind, ihre Ressourcen entdecken und nutzen, birgt das riesige Chancen für den Zusammenhalt.”

Viele Familien haben momentan zu kämpfen und fragen sich, wie sie diese besondere Zeit mit ihren Kindern überstehen sollen. Wie geht man mit den eigenen Ängsten oder der Wut um, wie vermeidet man Streit und Stress in der Familie? Darf man eigene Ängste mit den Kindern teilen? Was tun mit den Konflikten? Wie kann man den Kindern Ängste nehmen? Gibt es Familien, die diesen Zeiten auch etwas Positives abgewinnen können?

 

Mit der Familientherapeutin  und Traumatherapeutin Friderike Degenhardt haben wir über die Herausforderungen gesprochen, vor denen viele Eltern stehen, aber auch über die kreativen Ideen, mit welchen Eltern durch die Arbeits- und Schulwoche kommen, und gefragt, ob sich auch neue Chancen für Familien ergeben mit dieser ungewöhnlichen Situation .

Friderike Degenhardt ist Gesellschafterin des Systemischen Instituts Tübingen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP), systemische Familientherapeutin (SG), Traumatherapeutin (PITT). Darüber hinaus ist sie Lehrtherapeutin (SG) und Lehrende Supervisorin (SG) sowie Organisationsberaterin. Friderike Degenhardt hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Tübingen. 

 

 

Frau Degenhardt, wie geht es den Eltern, mit denen Sie in diesen Wochen sprechen?

 

Es gibt verschiedene Elterngruppen, die die Situation natürlich ganz unterschiedlich erleben. Da sind einerseits Eltern, die nun beide ganztags im Home Office arbeiten und plötzlich ihre kleinen Kinder zuhause betreuen müssen. Diese sind unter großem Druck und versuchen, etwas zu stemmen, was rein rechnerisch gar nicht geht und in körperliche und seelische Erschöpfung mündet.

Dann gibt es Eltern, die mit Kurzarbeitergeld zuhause sind und von Sorgen geplagt werden, weil das Geld knapp ist.

Andere Eltern sind freiberuflich tätig und fühlen sich von der gegenwärtigen Lage in ihrer Existenz bedroht, weil die Aufträge oder Engagements wegfallen. Manche dieser Eltern entwickeln verständlicherweise Ängste.

Zudem erfahre ich durch meine Supervisionen bei Jugendämtern von den Familien, die schon vor der Krise zum Beispiel durch eine psychische Erkrankung oder eine Sucht-Abhängigkeit belastet waren und nun rund um die Uhr auf engem Raum aufeinander sitzen. Da steigt der Druck und wir müssen eine Zunahme häuslicher Gewalt befürchten.

Andererseits gibt es auch Eltern, die bei vollem Gehalt von der Arbeit freigestellt sind. Sie können die plötzliche Freizeit mit den Kindern genießen. Das sind sehr unterschiedliche Situationen, und dementsprechend groß ist die Bandbreite der Emotionen.

Was raten Sie Eltern, die starken Belastungen ausgesetzt sind?

 


Ich empfehle Eltern dringend, auf Selbstfürsorge zu achten, denn nur, wenn die Eltern einigermaßen ausgeglichen sind, kann die Familie gut funktionieren.

Deswegen frage ich die Eltern in Krisensituationen nach Entlastungsmöglichkeiten und Ausnahmen. “Wann geht es Ihnen besser?” oder auch “Was könnten Sie tun, um zu sich zu entlasten, oder gibt es schon jetzt Momente, in welchen Sie sich weniger belastet fühlen?” Dann entdecken wir gemeinsam, wie sie mehr solcher Momente herbeiführen können. Vielleicht können sich die Partner gegenseitig Auszeiten geben?

Manche Eltern haben vergessen, dass sie sich Pausen gönnen dürfen.
Für den einen ist das ein Spaziergang, für andere ein Telefonat mit der Freundin oder eine Auszeit in der Badewanne, während die Partner*in auf die Kinder aufpasst. Schwieriger ist die Situation natürlich für die vielen Alleinerziehenden

Ich erkläre beispielsweise auch, dass Arbeit und die gleichzeitige Betreuung kleiner Kinder einer Quadratur des Kreises gleichkommt und faktisch nicht zu schaffen ist. Wenn ich merke, dass die Eltern ihre Belastungsgrenze überschritten haben, rate ich dazu, sich krankschreiben zu lassen. Für viele Eltern ist das eine Möglichkeit, an die sie selbst noch nicht gedacht haben. Sie meinen, trotz ihrer Notlage Leistung erbringen zu müssen, weil sie ja “nicht wirklich krank sind”. Das ist ein Irrtum, der in den Burnout führt und langfristig weder der Familie noch dem Arbeitgeber hilft, ganz im Gegenteil zu enormen Schäden führt.

 

Was kann Eltern und Familien helfen, diesen neuen Alltag gut zu gestalten?


Bei kleineren Kindern ist es hilfreich, einen Tages-Rhythmus vorzugeben, beispielsweise sie morgens wie immer anzuziehen und den Tag in verschiedene Abschnitte einzuteilen: ein gemeinsames Frühstück, Spielzeit im Zimmer, Draußenzeit und Bewegung, Mittagessen, Ruhen mit Hörspiel, Spielzeit alleine, Medien, gemeinsame Zeit, Abendessen und Abendrituale. Wenn die Rituale jeden Tag etwa zur gleichen Zeit stattfinden, kann sich das sehr wohltuend auf die Kinder und die Eltern auswirken und sie im Gleichgewicht halten.

 

Familien haben erstaunliche Ressourcen, die es zu entdecken gilt. Ich habe mit einer besonders einfallsreichen Familie gesprochen, in der der Vater das Morgenritual mit Anziehen, Frühstücken und Zähne putzen durchzieht, das Kind dann so anzieht, als ob es hinausgeht, um es gleich darauf zur Mutter ins Wohnzimmer zu führen, wo dann “Kindergarten” zuhause stattfindet. Mittags wird das Kind wieder angezogen und nach Hause gebracht. Solche Strukturen geben Kindern Halt und können Eltern helfen, auch für sich selbst Ordnung in den Tagesablauf zu bekommen.

Wie geht es den alleinerziehenden Müttern und Vätern?

 

Die Alleinerziehenden trifft das Kontaktverbot und die Schließung der Kindergärten und Schulen am härtesten. Sie haben es nun besonders schwer, denn sie müssen alles alleine schaffen. Ihnen bleibt momentan nichts anderes übrig, als sich so viel wie möglich auszuruhen, wenn die Kinder schlafen oder alleine spielen.

 

Bei arbeitenden Alleinerziehenden, die am Ende mit ihren Kräften sind, ist die Krankschreibung eine Möglichkeit, doch die Isolation bleibt ein Problem. Hier fehlen eindeutig Antworten.

 

Es gibt allerdings auch alleinerziehende Mütter, die berichten, dass es bei ihnen zuhause besser läuft als erwartet. Vielleicht weil die stressigen Wege zum Kindergarten hin und zurück entfallen, es keine Spielverabredungen, zu denen sie die Kinder sonst bringen müssen, mehr gibt und sie nicht mehr durch die Läden hetzen brauchen, um Geschenke für die nächste Kindergeburtstagseinladung einzukaufen. Das Leben ist insgesamt entschleunigt, es gibt insgesamt weniger Termine, das entlastet. In manchen Fällen ermöglicht die Ruhe im Alltag, sich den Kindern mehr zuwenden zu können. Davon können besonders kleine Kinder profitieren.

 

Gibt es auch Positives aus den Familien zu berichten? Auf welche Ideen kommen Eltern, um die Situation zu meistern? Was raten Sie den Eltern?

 

Manche Familien haben entdeckt, dass ihnen die Entschleunigung gut tut. Der Alltag vieler Familien ist normalerweise mit vielen Aktivitäten verplant und manche Familien stellen nun fest, dass ihnen weniger Termine mehr Lebensqualität bedeutet. Sie reden mehr miteinander und neue Begegnungen entstehen. Sie entdecken, dass Spielen mehr Spaß machen kann als Shoppen, und Geschichten erzählen, alte Fotoalben angucken eine andere Qualität und Ruhe in die Familie bringt als Action bei großen Events.

 

Dazu kommt, dass viele Kinder heutzutage unausgeschlafen sind und nun zum ersten Mal seit langem genug Schlaf bekommen. Experten raten aus gesundheitlichen Gründen schon lange dazu, den Schulbeginn auf 9 Uhr zu verlegen. Nun müssen Eltern ihre Kinder nicht mehr aus dem Schlaf reißen, sondern starten ausgeruht in den Tag, das kann natürlich den entscheidenden Unterschied für einen relativ entspannten Tag zuhause ausmachen.

In den Sportvereinen dürfen Kinder noch nicht wieder trainieren, der Schulsport fällt gerade flach und sie stecken seit Wochen zuhause fest! Was für Auswirkungen hat das?

 

Kinder brauchen Bewegung für ihre gesunde Entwicklung und unbedingt einen Ausgleich zu der vielen Stubenhockerei. Spazierengehen und Sport treiben als Familie ist nach wie vor erlaubt. Ich rate, so oft es geht mit den Kindern an die frische Luft zu gehen, sei es in den Wald oder auf ein freies Feld hinaus, wo die Kinder sich austoben und rennen können oder in den Park zum Ball zu spielen, Roller oder Rollschuh fahren. Eltern sollten um ihrer selbst willen und für die Kindern für so viel Bewegung wie möglich sorgen.

 

 

Keine Schule und kein Kindergarten, dafür aber Homeschooling und Homeoffice, hier sind doch Konflikte vorprogrammiert?

 

Natürlich sind in dieser Situation Konflikte vorprogrammiert. Viele Familien leben beengt, die kleineren Kinder wollen spielen, die größeren ihre Hausaufgaben machen und die Eltern müssten eigentlich arbeiten, kommen aber zu wenig dazu, weil die Kinder sie brauchen. Das sorgt für Zündstoff. Dazu kommt, dass allgemein mehr gekocht werden muss, mehr Müll anfällt und die Wohnung schneller schmutzig wird, weil alle zuhause sind.

 

Wenn Familien jetzt in der Lage sind, ihre Ressourcen zu entdecken und zu nutzen, kann das für einen neuen Zusammenhalt in der Familie sorgen.

 

Manche Familien diskutieren beispielsweise gemeinsam die Arbeitsverteilung und stellen Pläne auf, wer was in der Familie übernimmt. Hilfreich ist sicherlich, wenn Familien miteinander ins Gespräch kommen und wertschätzend kommunizieren. Jeder freut sich, wenn andere wahrnehmen, was er heute geleistet hat. Es hilft, vor den Kindern auszusprechen, was gut geklappt hat: “Danke, dass ihr so schön alleine gespielt habt, den Müll rausgebracht habt, euer Zimmer aufgeräumt habt.” Oder dem Partner zu zeigen, dass er gesehen wird: “Du hast es wirklich schwer mit Deinem Chef, der erwartet, dass Du trotz der Kinder lange Telefonkonferenzen erledigen musst.”

Ein anderer Aspekt, der Familien das Leben schwer macht, ist, dass Eltern von schulischer Seite unter Druck geraten sind und meinen, sie müssten nun den/die Lehrer*in ersetzen.

Hierbei kommt es zu vielen Streits, die die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern belasten. Hier bestärke ich Eltern darin, dass “Bindung vor Bildung geht”, d.h. Eltern dürfen eine gute Beziehung zu ihren Kindern über die Erwartung der Schule stellen und müssen nicht um und wegen der Schule mit ihnen streiten.

In Ausnahmezeiten sollte niemand Höchstleistungen von Eltern oder Kindern erwarten dürfen. Geduld und Gelassenheit sind Tugenden, die uns momentan allen gut tun würden.

Parksituation

Geduld und Gelassenheit, das ist das leichter gesagt als getan. Was können Eltern beispielsweise tun, wenn die Wut sie zu überwältigen droht?

 

Selbstfürsorge und eine gute Selbstwahrnehmung sind grundsätzlich hilfreiche Ressourcen, auf die man in Krisen zurückgreifen kann. Ich frage die Eltern: “Woran merken Sie, dass die Wut in Ihnen hochkommt, und was könnte helfen, sie in den Griff zu bekommen?” Es ist gut, sich bereits vorher und in ruhigen Momenten zu überlegen, was einem helfen könnte, aus der Wut auszusteigen. Manchen Eltern wird es heiß, anderen kalt, oder ihr Herz beginnt zu rasen. Diesen Moment können Eltern abpassen und nutzen, um rechtzeitig die Kurve zu kriegen. Dem einen hilft es, kaltes Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen, der andere muss das Zimmer verlassen, der nächste auf dem Balkon durchatmen und ruhig bis 20 zu zählen, dem anderen hilft der Gedanke an eine Tasse Tee. Welche Strategie sich Eltern auch suchen, wichtig ist es, sich in dem Moment, wo das Fass überzulaufen droht, daran zu erinnern, was man jetzt tun kann, um das Schlimmste zu verhüten.

Wenn Eltern ihre Wut an ihrem Kind ausgelassen haben, werden sie hinterher meistens von enormen Schuldgefühlen überwältigt und schämen sich in Grund und Boden. Hier gilt es, sich selbst zu verzeihen, damit sich nicht noch mehr Druck aufbaut, der das Fass wiederum noch schneller zum Überlaufen bringt. Eltern sollten sich nicht scheuen, Hilfen in Anspruch zu nehmen, es gibt verschiedene Beratungsstellen, die Eltern in Krisenphasen unterstützen

 

Wie können Eltern mit den eigenen Ängsten umgehen? Wie können Eltern sich selbst beruhigen?

 

Der Psychiater Michael Bohne hat schon vor einiger Zeit ein großartiges Konzept, die PEP-Methode, erarbeitet. Für die gegenwärtige Lage, die er “beispiellose Zeiten” nennt, stellen seine Kollegin Sabine Ebersberger und er ein abgeändertes Modell mit sogenannten “Innen - Leben” Karten vor, die man kostenfrei im Internet herunterladen, ausdrucken und ausschneiden kann. Damit gibt er Eltern ein gutes Handwerkszeug zur Selbstberuhigung an die Hand. Die Karten kann man auch in der Familie verwenden, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Dürfen Eltern ihre Ängste mit den Kindern teilen?

 

Meine Haltung dazu ist ganz klar “nein”. Kinder sind nicht die Partner der Eltern, sondern brauchen Sicherheit und elterliche Führung. Über Ängste sollten Eltern mit ihren Freund*innen, möglichst abends am Telefon, sprechen, wenn die Kinder im Bett sind. Kinder haben feine Antennen und spüren die Unruhe der Eltern. Wenn möglich sollten Eltern versuchen, zunächst sich selbst und dann ihre Kinder zu beruhigen. Unter anderem  können die Karten von Sabine Ebersberger und Michael Bohne helfen.

 

Bei allem, gibt es auch Chancen für Paare und Familien?

 

Für Paare, die es vorher schon schwer miteinander hatten, kann die gegenwärtige Situation zur Zerreißprobe werden. Andere Paare wiederum entdecken neue Seiten an ihrem Partner, das kann eine Belebung der Partnerschaft zur Folge haben.

Manche Partner*innen erleben durch das Home Office vielleicht zum ersten Mal den Druck, unter dem der andere beruflich täglich steht. Das kann zu mehr Verständnis füreinander führen.

Väter, die in Deutschland im Allgemeinen weiter weg sind von den Alltagspflichten in der Familie, erleben nun zum ersten Mal hautnah, was ihre Partnerinnen im Alltag leisten, das führt in manchen Familien zu mehr Verständnis für die Care-Arbeit und eine neue Aufteilung.

Wenn Familien ihre Ressourcen entdecken und nutzen, birgt das riesige Chancen für den Zusammenhalt.

 

Frau Degenhardt, wir bedanken uns für das Gespräch!

Informationen zum Systemischen Institut Tübingen und zu Friderike Degenhardt finden Sie hier:

 

https://www.systemisches-institut-tuebingen.de/de/home

 

http://www.friderike-degenhardt.de/index.php?id=2

 

Informationen zu Dr. med. Bohne finden Sie hier:

 

https://www.innen-leben.org

 

Das Kartenset können Sie hier herunterladen:

 

https://www.innen-leben.org/wp-content/uploads/2020/04/Innen-Leben_Ein-Kartenset-für-beispiellose-Zeiten.pdf

 

Wer Hilfe sucht, kann sich an die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung wenden, sie gibt es in jeder Stadt.:

 

https://bke.de/?SID=079-59E-F1D-5D2

 
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