Margarete Ostheimer GmbH
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Deutschland
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Urteile über uns selbst oder andere sind schnell gemacht, gedacht und oft auch schnell ausgesprochen. Egal ob positiv oder negativ: meist hat unsere Sicht auf die Dinge relativ wenig mit der Situation an sich zu tun. Unsere Sicht auf die Dinge, auf uns selbst, auf die Welt und auch auf das Verhalten unserer Mitmenschen hat sich im Laufe unseres Lebens entwickelt. Wir haben zum einen die Sicht unserer Eltern und anderer uns nahestehender Menschen erlebt und teilweise einfach übernommen, zum anderen haben wir eigene Erfahrungen gemacht und aus diesen unsere Schlüsse gezogen.
Und weil unser menschliches Gehirn gern anwendet was es kennt, ordnet es das, was wir alltäglich so erleben, in die Schubladen, die es bislang zur Verfügung hat. Das hilft uns, um uns zu orientieren und erleichtert uns oft das Leben. Dennoch ist meines Erachtens wichtig, diese Schubladen immer mal wieder zu betrachten und zu reflektieren. Denn, wie wir die Dinge einschätzen und beurteilen, beeinflusst auch, wie wir damit umgehen. Und wenn wir die Dinge sehr eng sehen, haben wir ein dementsprechend begrenztes Repertoire an Lösungen für herausfordernde Situationen. Das wiederum kann auf Dauer Beziehungen belasten. Zwei Beispiele mögen veranschaulichen, was damit gemeint ist:
(1) Lottes Tochter sitzt oft nörgelig an ihrem Schreibtisch vor den Hausaufgaben und mag nicht anfangen. Lotte interpretierte dieses Verhalten lange Zeit mit ihrem bisherigen Erfahrungsschatz als Faulheit und empfand es als negativ. Sie hatte den Glaubenssatz im Gepäck „wer faul ist, kommt nicht weit“. So hatte sie es in ihrem bisherigen Leben selbst oft gehört. Auch sie selbst erlaubte sich nichts, was sich nach Faulheit anfühlte oder danach aussehen könnte. Pausen gönnte sie sich selten und dementsprechend trieb sie auch ihre Tochter an. Die Hausaufgabenzeit wurde zu einer unangenehmen, spannungsgeladenen Zeit für beide. Lottes Tochter fühlte sich missverstanden, konnte aber nicht in Worte fassen, was sie vom Arbeiten abhielt. Die Beziehung der beiden litt unter diesen täglichen Spannungen.
Weil sie so nicht weiterkamen, sprach Lotte mit anderen Mamas und betrachtete die Situation mit neuen Perspektiven. Wenn sie heute den Gedanken hat „Sie ist faul“ oder „Ich bin aber faul“,öffnen sich statt der einen Faulheits-Schublade drei weitere Schubladen und sie prüft:
• Ist meine Tochter mit der aktuellen Aufgabe überfordert? Braucht sie meine Unterstützung? Und auch in Bezug auf sich selbst fragt sie: Ist mir gerade etwas zu viel? Wer kann mir wie weiterhelfen?
• Braucht meine Tochter eine Pause? Ist sie müde? Und auch für sich hat Lotte entdeckt, dass sie viel effektiver arbeitet, wenn sie sich zwischen aktiven Phasen Ruhe und Entspannung gönnt.
• Braucht meine Tochter meine Aufmerksamkeit? Braucht sie mich? Braucht sie Nähe?
(2) Marions Sohn ist in der letzten Zeit auffallend oft sauer, richtig ausdauernd wütend. In Marions Kindheit galten wütende Kinder als Tyrannen, die ihren Eltern auf der Nase tanzen, und es schien folgerichtig, dieses Verhalten zu unterbinden. Marion erinnerte sich jedoch, wie allein gelassen und missverstanden sie sich als Kind mit diesem Gefühl erlebt hatte. Und auch bei ihrem Sohn erkannte sie, dass das Gefühl nur unterdrückt und nicht weg war. Sie fragte sich, was wohl hinter seinem Verhalten steckt, welche Bedürfnisse vielleicht gerade unerfüllt sind.
• Fühlt sich mein Sohn sicher? Hat er vor irgendetwas Angst? Überfordert ihn etwas?
• Was führt dazu, dass er sich so deutlich abgrenzt? Gibt es Bereiche, in denen er sich ohnmächtig fühlt? Gibt es Bereiche, in denen er selbstbestimmt Entscheidungen treffen kann?
• Sind wir in Verbindung miteinander? Braucht er meine Aufmerksamkeit?
• ...
Fachlich gesprochen beschreibe ich hier das „Konzept des Guten Grundes“: hinter jedem Verhalten steckt ein guter Grund, aus Sicht des Kindes macht das Verhalten immer Sinn. Das Kind handelt für sich und nicht gegen seine Eltern. Oft sind es offene Bedürfnisse, auf die das Kind aufmerksam macht, wofür es aber noch keine verbale Sprache hat. Wir Eltern gehen dann sozusagen auf Forschungsreise und finden im Dialog mit dem Kind heraus, was es selbst im Moment vielleicht noch nicht benennen kann. Wenn wir interessiert, offen und neugierig fragen, was hinter dem Verhalten steckt, können wir passende Lösungen finden. Dazu ist es notwendig, im ersten Schritt unsere Schubladen kennenzulernen, sie zu öffnen und Abstand von unseren eigenen elterlichen Urteilen zu nehmen und das Kind zu sehen: Wie geht es ihm? Was braucht es? Wie war sein Tag? Was ist insgesamt so los in seinem Leben? Was braucht es von mir? Was ist mit seinen Grundbedürfnissen: Sicherheit, Zugehörigkeit, Selbständigkeit, Hunger, Durst, Müdigkeit, Wärme?
Kleinen Kindern gibt es auf dieser Forschungsreise Sicherheit, wenn wir benennen was wir sehen, mögliche Hintergründe und entsprechende Ideen anbieten. Gleichzeitig schenken wir ihnen damit Worte und laden sie ein, über sich selbst nachzudenken. Lotte geht beispielsweise auf ihre Tochter zu und sagt: „Ich sehe, du beginnst nicht mit deiner Hausaufgabe. Ich könnte mir vorstellen, du bist noch ein wenig müde von der Schule. Wollen wir erst ein bisschen kuscheln und eine Geschichte lesen und du legst dann los? Was meinst du?“. Marions Einstieg in den Dialog mit ihrem Sohn könnte so klingen: „Boar, ich hab gemerkt, du warst echt doll sauer vorhin. Ich hab mir ein paar Gedanken dazu gemacht. Magst du sie hören? Ich glaube, das war alles ziemlich viel in der letzten Zeit für dich. Was hältst du davon, wenn wir jeden Tag eine feste Mama-Sohn-Zeit haben, in der allein du entscheidest, was wir beide zusammen machen?“
Ältere Kinder können mit der Zeit selbst benennen, was sie gerade brauchen und übernehmen mit der Zeit auch immer mehr selbst die Verantwortung für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Damit dieser Prozess gelingt, ist es notwendig, dass Kinder die Erfahrung machen, dass ihre Bedürfnisse wichtig sind. Das vermitteln wir ihnen zum einen, indem wir ihre Bedürfnisse wahrnehmen, beantworten und so gut es geht erfüllen. Und zum anderen, indem wir ihnen vorleben, dass wir selbst auch unsere Bedürfnisse wahrnehmen, beantworten und so gut es geht erfüllen. Da viele Erwachsene dies in ihrer Kindheit so nicht erfahren haben, ist es ein besonderes Geschenk an uns selbst, wenn wir uns, auch was uns selbst betrifft, auf die oben beschriebene Forschungsreise begeben. Wenn wir als Eltern diese Schritte gehen und bereit sind, die eigenen erlernten Sichtweisen zu hinterfragen, lernen wir auch uns selbst neu kennen. Besonders spannende und hilfreiche Hinweisschilder sind hier die Verhaltensweisen, die wir an anderen – vor allem auch an unseren Kindern – ablehnen. Diese haben wir im Laufe unseres Lebens als negativ etikettiert und erlauben sie uns dementsprechend nicht. Das kann dazu führen, dass wir uns zum einen selbst wichtige Aspekte versagen (Pausen machen, wütend sein, laut und lebendig sein etc.) und zum anderen fällt uns dann auch entsprechend der Umgang mit diesen Aspekten bei unseren Kindern schwer. Wir können aber jetzt entdecken, dass wir gar nicht unordentlich, unzuverlässig, faul oder tyrannisch waren. Sondern dass all dies der Sicht unserer Mitmenschen auf uns entsprach oder unseren Interpretationen erlebter Situationen entsprungen ist. Wie bereichernd: wir dürfen uns also Pausen gönnen, Fehler machen, achtsam im Einklang mit unseren Bedürfnissen Entscheidungen treffen, laut & lebendig sein.
Viel Freude beim Schubladen entrümpeln!
Hanna Articus
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