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Karl Heinz Brisch: Babysitter, Au-pair, Tagesmutter, Krippe...

Es gibt viele Gründe, warum Eltern ihre Kinder in eine Betreuung geben möchten oder müssen: Manche Eltern möchten auch nach der Geburt des Babys Zeit zu zweit haben, um ihre Partnerschaft leben zu können. Zudem sind in vielen Haushalten beide Partner gezwungen zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Der Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch beantwortet Fragen nach der richtigen Betreuung, erklärt, woran man eine gute Betreuung erkennt und zeigt Wege auf, um die erste Trennung gut zu meistern.

„Die Familie ist ein wichtiger Ort für Säuglinge und Kleinkinder. Entscheidend für das Wohlfühlen in der Familie, aber auch in der Krippe oder bei der Tagesmutter, ist die Qualität der Beziehungen mit den Bindungspersonen. Die Eltern und ebenso die ErzieherInnen sollten gut ausgebildet sein und genug Zeit für alle Kinder haben, um feinfühlig auf die Signale jedes Kindes achten zu können.“, sagt der Münchner Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch.

 

Heinz Brisch, Dr. med. habil., Privatdozent, ist Facharzt für Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Nervenheilkunde und Psychoanalyse. Er leitet als Oberarzt die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Hauner’schen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist Autor verschiedener Bücher zur Bindungsforschung.

Wie gestaltet man eine Trennung am besten?

Ich rate dringend zu einer guten Vorbereitungs- und Übergangszeit. Kinder brauchen eine Eingewöhnungsphase. „Kurz und schmerzlos“, wie es manchmal von ErzieherInnen den Eltern empfohlen wird, also ohne Eingewöhnung an eine neue Bindungsperson in der Krippe, kann ich nicht befürworten, denn solche abrupten Trennungen können traumatisch sein.

Was halten Sie von Babysittern, und wie führt man sie in die Familie ein?

Eine jugendliche Schülerin mit Einfühlungsvermögen aus der Nachbarschaft kann hierfür hervorragend geeignet sein. Es spricht nichts dagegen, dass man das Baby in ihrer Obhut lassen kann, wenn es vorher eine Gewöhnungszeit gegeben hat. Am besten kommt die Schülerin einige Male und hält das Baby, wenn es noch sehr klein ist, auf dem Arm. Bei späteren Besuchen kann sie mit dem Baby spielen, beim Wickeln und Füttern helfen und schließlich mit ihm spazieren gehen. Sieht man, dass man der Babysitterin Vertrauen schenken kann, und zeigt auch das Baby Anzeichen von Freude, wenn es die Babysitterin sieht, kann man das Haus guten Gewissens für zwei oder drei Stunden verlassen. Für Fragen oder unvorhergesehene, stressvolle Situationen sollte man für die Babysitterin über Handy erreichbar sein, weil ihr dies Sicherheit gibt, nich alleine zu sein und sich rückversichern zu können.

Wie geeignet sind Au-pair-Mädchen oder -Jungen?

In bestimmten Kreisen sind Au-pairs sehr beliebt, die als kostengünstige Babysitter rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollen. Oftmals ist es für die Mädchen oder Jungen die erste Trennung von der eigenen Familie, sie sprechen unter Umständen die Sprache nicht gut, sie haben selbst Ängste und Heimweh und sind noch sehr mit sich beschäftigt. Dennoch wird sich ein Baby an das Au-pair binden, wenn es einigermaßen feinfühlig mit dem Baby umgeht. Manchmal kommt es zu einem plötzlichen Bruch, weil es Streit gibt; wenn die Mädchen das Heimweh packt, reisen sie Hals über Kopf wieder ab und sind für das Baby verschwunden. Kurze Zeit später werden sie durch ein neues Au-pair ersetzt, mit dem sich das Baby jetzt wieder anfreunden soll. Dieser Wechsel ist sehr irritierend für ein Baby. Manche Kleinkinder haben im Alter von drei Jahren schon mehrere Au-pairs durchlaufen und leiden an einem „Au-pair-Syndrom“, wie ich es nenne: So oft haben sie sich gebunden und wurden ohne Abschied und ohne, dass sie es nachvollziehen konnten, wieder verlassen, so dass sich viel Wut und Trauer in ihnen aufgestaut hat.

In dem Glücksfall, dass ein Au-pair länger bleibt, sollte der Übergang zu dem Nachfolger fließend verlaufen, das heißt, das neue Au-pair sollte kommen, solange das bekannte Au-pair noch da ist und die Eigenheiten des Babys differenziert erklären kann. Das hat zudem den Vorteil, dass das neue Au-pair vom vorherigen emotional aufgefangen werden kann.

Dennoch ist es, selbst nach einer Abschiedsphase, für ein Baby unverständlich und für ein Kleinkind schwer zu verstehen und zu verkraften, dass seine Aupair-Betreuung gar nicht mehr kommt! Manche Familien halten über viele Jahre Kontakt zu den Au-pairs, es gibt weiterhin Besuche, so dass die Bindung nicht abbricht, das ist sehr schön.

Ist eine Tagesmutter eine gute Alternative?

Grundsätzlich sind Tagesmütter eine sehr gute Alternative. Man sollte allerdings darauf achten, wie viele weitere Kinder die Tagesmutter zu betreuen hat, wie viele Stunden das Kleinkind dort verbringen soll und wie feinfühlig die Tagesmutter mit den Kindern umgeht. Eine Tagesmutter sollte nicht mehr als zwei bis drei Kleinkinder betreuen, darunter möglichst nur ein Baby unter einem Jahr, vielleicht dazu ein Einjähriges und im Höchstfall noch ein Zweijähriges. Damit ist sie schon mehr als ausgelastet, da sie in der Regel ja alleine mit den Kindern ist.

Zunächst braucht das Kind eine längere Eingewöhnungsphase, in der die Tagesmutter im Beisein der Mutter mit dem Kind spielt, um zu sehen, ob das Kind die Tagesmutter mag. Später könnte die Tagesmutter versuchen, das Kind zu wickeln oder zu füttern und schließlich zum Schlafen abzulegen. Wenn sich ein weinendes Kind von der Tagesmutter trösten lässt, ist sie zu einer weiteren sicheren Bindungsperson für das Baby geworden. Dann kann die Mutter für zehn oder zwanzig Minuten den Raum verlassen, je nach Reaktion des Babys auch länger. Es ist kritisch, wenn ein Baby an fünf Tagen für 8 Stunden oder mehr bei einer Tagesmutter betreut wird. Einige Stunden pro Tag wären allerdings wünschenswert, damit die Tagesmutter und das Baby eine gute Beziehung aufbauen können. Sind Kinder viel Zeit bei einer Tagesmutter sehr gut versorgt, so kann es sein, dass sie weinen, wenn sie abgeholt werden. Dies irritiert die leiblichen Mütter natürlich. Hier muss man aufklären, dass das Verhalten bedeutet, dass sich die Kinder bei ihrer Tagesmutter sicher und wohl fühlen, weil die Tagesmutter zu einer weiteren Bindungsperson geworden ist. In solchen Fällen sollten sich die leiblichen Mütter ihren Kindern am Nachmittag oder Abend besonders intensiv zuwenden, damit ihre Bindung stabil bleibt.

Immer mehr Eltern sind gezwungen, ihre Kinder in sehr jungem Alter in eine Krippe zu geben. Was sagen Sie dazu?

Die Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (GAIMH) hat in einer Empfehlung zur „Gemeinsamen Betreuung von Kindern unter 3 Jahren“ darauf hingewiesen, dass „Kinder später tendenziell umso mehr problematisches Verhalten zeigen, je mehr Zeit sie seit ihrer Geburt in familienergänzender Kinderbetreuung verbracht haben, die eine schlechte Betreuungsqualität haben, etwas weil die Anzahl von genügend gut ausgebildeten Erzieher/innen im Verhältnis zur Kinderzahl zu gering ist. Die GAIMH weist außerdem darauf hin, dass „zum Aufbau von sicheren und tragfähigen Beziehungen Eltern und Kinder insbesondere während des ersten Lebensjahres auf ausreichend gemeinsame Zeit angewiesen sind (NICHD 2003) und im ersten Lebensjahr eine ausgedehnte institutionelle Betreuung die Bedürfnissen von Babys entgegenstehen und seine Kompetenzen ebenso wie diejenigen seiner Eltern und Erzieher/innen überfordern.“ (EKFF2004).

Wenn es sich eine Familie finanziell leisten kann und eine Mutter oder der Vater der Kinder wegen gerne zuhause bliebe: Ab welchem Alter können Kinder von der Entwicklung her einen Kindergarten besuchen?

Kleinkinder unter drei Jahren sind auf die ständige Anwesenheit einer verlässlichen vertrauten und verfügbaren Person angewiesen. Die Familie ist der wichtigste Ort für Säuglinge und Kleinkinder, wo sie die emotionale Sicherheit, das Urvertrauen, durch feinfühlige, konstante Beziehungserfahrungen im ersten und zweiten Lebensjahr entwickeln können. Selbstredend. Das Netzwerk von Bindungspersonen kann sich in dieser Zeit bereits erweitern, es können weitere Bindungspersonen hinzukommen, wie die Tagesmutter, dier Krippenerzieherin, die Babysitterin. Im Alter von drei Jahren können die meisten Kinder im Regelfall ihre Bedürfnisse sprachlich schon so gutausdrücken, dass man versteht, was sie möchten. Es fällt daher fremden Personen leichter, sich feinfühlig ihnen gegenüber zu verhalten und eine sichere Bindung zu ihnen aufzubauen. Zudem brauchen sie dann in der Regel keine Windel mehr. Sie können in diesem Alter auch verstehen, dass sie auch manchmal warten müssen, bevor sie mit etwas versorgt werden, und nehmen dies nicht mehr als Zurückweisung wahr, wie dies jüngere Kinder – ganz altersentsprechend – noch eher tun.

Was sollten Eltern beachten, wenn sie ihr Kind dennoch in jüngerem Alter abgeben müssen oder wollen?

Ähnlich wie zur Tagesmutter kann ein Kleinkind auch zum/r Krippenerzieher/in eine sichere Bindungsbeziehung aufbauen. Voraussetzung sind jedoch eine behutsame Eingewöhnung und feinfühliges Personal mit ausreichenden Ressourcen.

Ein Kind ohne Eingewöhnung in die Krippe zu geben, bedeutet großen Stress, ja manchmal eine traumatische Erfahrung, die auf jeden Fall von den Eltern verhindert werden sollte. Es ist absolut notwendig, das Kind im Beisein der Mutter, des Vaters, oder einer anderen vertrauten Bindungsperson mit dem/r Erzieher/in spielen, später wickeln und füttern zu lassen. Schließlich kann man ausprobieren, ob sich das Kind in kleinen stressvollen Situationen von dem/r Erzieher/in trösten oder sogar zum Schlafen hinlegen lässt. Die Steigerung der Pflegeaufgaben sollte langsam und über Tage, besser noch über zwei, drei Wochen erfolgen. Je körpernäher die Pflege ist, desto emotional sicherer muss sich das Kind fühlen. Sich von einer fremden Person zum Schlafen ablegen zu lassen, dazu gehört ein großes Vertrauen von Seiten des Kindes. Ist all dies gewährleistet kann sich die Mutter zunächst für eine kurze Zeit, dann immer länger aus dem Raum zurückziehen. Hinweise von Seiten der Krippenerzieher/innen oder der Umwelt, „kurzen und schmerzlosen“ Prozess zu machen, sollten Eltern aktiv entgegentreten, denn sie schaden dem Kind. Eine Einrichtung, die ein solches Ideal vertritt, ist kein guter Platz für ein Kind, weil es – quasi von den Erwachsenen geplant - großen Stress erleiden wird.

Aufwas sollen Eltern bei der Fremdbetreuung ihrer Kinder in einer Krippe noch achten?

Entscheidend für das Wohlfühlen ist die Qualität der Krippe. Die Erzieher/innen sollten gut ausgebildet sein und feinfühlig auf die Signale jedes Kindes achten können. Das geht nur, wenn die Erzieher/innen selbst nicht emotional belastet oder ihrerseits traumatisiert sind, denn sonst können sie schlecht auf die emotionalen Bedürfnisse von Kindern eingehen.

Wie steht es mit der Anzahl der Betreuer im Verhältnis zu den ihnen anvertrauten Kindern?

Es ist sehr wichtig, dass ausreichend Personal vorhanden ist. Für die Betreuung von Säuglingen muss ein Verhältnis von 1:2 gewährleistet sein, das heißt ein/e Erzieher/in betreut maximal zwei Kinder unter einem Jahr. Besteht die Gruppe aus mehreren Kindern verschiedenen Alters, kann das Verhältnis 1:3 sein, das heißt ein/e Erzieher/in betreut drei Kinder, darunter vielleicht ein zweijähriges und ein dreijähriges Kind zusätzlich zu einem Säugling. Wer die notwendige feinfühlige Erziehung gewährleisten will, ist damit allerdings schon sehr gefordert.

In vielen Krippen herrscht aber ein Betreuungsschlüssel von 1:6 oder gar 1:8 vor!

Diese Betreuungsbedingungen sind so nicht zu akzeptieren und bergen das Risiko, dass eine ganze Generation von Kindern emotionale Probleme bekommt. Es kommt mitunter sogar vor, dass 16 Kleinkinder von einem/r Betreuer/in versorgt werden müssen, weil der/die Kollege/in erkrankt ist. Mehr als die nötigste körperliche Versorgung ist dabei nicht gewährleistet. Berechtigte emotionale Bedürfnisse bleiben vollkommen auf der Strecke, auf Signale der Kleinen kann dort keiner mehr eingehen. Das wäre schlechteste Krippenqualität, die die Entwicklung der Kinder schädigt, quasi Vernachlässigung statt feinfühliger Betreuung.

Hier sollten Eltern genau hinschauen, ob sie das ihrem Kind zumuten möchten, oder ob sie für ihr Kind doch eine Krippe mit besser Qualität suchen.

Wenn der ideale Erzieherschlüssel von Kindern unter zwei Jahren bei 1:2 liegt, wäre es dann nicht gleich besser die Kinder in der Familie zu erziehen?

Viele Mütter müssen oder wollen, weil sie das Einkommen brauchen oder Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ihre Kinder fremd betreuen lassen. Eine Arbeitsplatzgarantie oder das Mindesteinkommen sind vielleicht Schritte dahin, dass Mütter oder Väter ihre Kinder selbst erziehen können, wenn sie es wollen. Auch für Kinder aus schwierigen Verhältnissen kann es unter Umständen besser sein in einem familienergänzenden Kontext groß zu werden.

Warum ist eine sichere Bindung so wichtig?

Eine sichere Bindung ist die Voraussetzung dafür, dass sich Kinder gesund entwickeln können. Solange Kinder unter großem Stress stehen, sind sie nicht fähig, frei zu spielen und ihre Umwelt zu erforschen. Ihre körperliche und emotionale Entwicklung hinkt teilweise der von Kindern mit einer sicheren Bindung hinterher. Der Stress zeigt sich im Kindergartenalter durch körperliche Beschwerden wie Bauchweh oder Kopfschmerz, im Schulalter durch Lerndefizite und Schwierigkeiten, sich in Gruppen sozial zu verhalten. Diese Kinder haben nicht genügend Empathie erfahren, und dementsprechend mangelt es ihnen auch an Einfühlungsvermögen in ihr Gegenüber. Zudem können sie Bildungsinhalte nicht so gut erfassen, da ihr Inneres stets in Aufruhr ist.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Gabriela Jehn

 

Lesen Sie auch folgende Interviews mit Dr. Brisch:

Bei den Eltern oder alleine schlafen? Was besser für Babys ist und wie man Babys dem elterlichen Schlafzimmer entwöhnen kann, wenn es soweit ist.
Eine sichere Bindung: Warum sie für die gesunde Kindesentwicklung so wichtig ist und wie sie gelingt

SAFE
Mehr Informationen zu den von Dr. Brisch initiierten Elternkursen SAFE finden Sie unter www.safe-programm.de SAFE®steht für "Sichere Ausbildung für Eltern" und ist immer auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Kurse möchten Eltern dabei helfen, ihre persönlichen, elterlichen Kompetenzen zu stärken und sie befähigen, eine positive Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen, als Grundstein für die weitere gesunde Entwicklung ihres Kindes.


Buchtipps:

Karl Heinz Brisch

SAFE Sichere Ausbildung für Eltern

Mit SAFE® können Eltern bereits in der Schwangerschaft lernen, feinfühlig, prompt und angemessen auf die Signale ihres Kindes zu reagieren und ihr Baby zu verstehen. Dadurch entwickeln die Babys eine sichere Bindung als stabiles Fundament ihrer Persönlichkeit. Das Buch ist als Begeitung der Elternkurse entstanden, aber auch ohne den Besuch eines Elternkurses gut zu lesen und zu verstehen.

Klett-Kotta, Stuttgart 2014

ISBN: 978-3-608-94601-7

Eine Auswahl an weiteren Büchern von Karl Heinz Brisch:

Karl Heinz Brisch,Schwangerschaft und Geburt, Klett-Kotta, Stuttgart 2013

Karl Heinz Brisch, Säuglings- und Kleinkindalter, Klett-Kotta, Stuttgart 2014

Karl Heinz Brisch, Kindergartenalter, Klett-Cotta, Stuttgart 2015

 
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