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Karl Heinz Brisch: Bei den Eltern oder allein schlafen...?

Jeden Abend gibt es in Deutschland erbitterte Kämpfe, weil Babys und Kinder allein im Kinderzimmer schlafen sollen. In anderen Kulturen schlafen Kinder ganz selbstverständlich bei den Eltern und Eltern würden gar nicht auf die Idee kommen, ihr Kind allein in ein anderes Zimmer zu legen. Was aus psychologischer Sicht besser für Kinder ist, und wie man zerrüttende Nächte vermeiden kann, erklärt der Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch.

„Es wäre wünschenswert, über die Schlafrituale deutscher Kinder nachzudenken. Die Kinder verhalten sich jede Nacht sowieso entsprechend dem von der Evolution angelegten natürlichen Bindungsbedürfnis, sie wollen bei den Eltern sein, dort wo sie körperlich und emotional Nähe spüren und sicher sind. Es ist zu hoffen, dass Eltern - unter Berufung auf die Bindungstheorie – anfangen, sich offen über die Schlafrituale ihrer Kinder auszutauschen, und zwar ohne schlechtes Gewissen, “ sagt der Münchner Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch.

Karl Heinz Brisch, Dr. med. habil., Privatdozent, ist Facharzt für Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Nervenheilkunde und Psychoanalyse. Er leitet als Oberarzt die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Hauner’schen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist Autor verschiedener Bücher zur Bindungsforschung.

Wie und wo schlafen Babys am besten?

Will man einem Baby Geborgenheit und Sicherheit vermitteln und eine gute Beziehung aufbauen, sollte man das Baby nicht alleine in einem eigenen Zimmer schlafen lassen.

Was würden Sie als Kinderpsychiater stattdessen empfehlen?

Eine Möglichkeit besteht darin, die Wiege des Babys ins Elternschlafzimmer zu stellen. Das Kind im gleichen Zimmer schlafen zu lassen ist übrigens auch ein Schutz vor plötzlichem Kindstod, und daher besonders empfohlen. In anderen Kulturen, etwa in Asien, in denen es üblich ist, dass Eltern und Kinder in einem Zimmer und auch in engen Kontakt miteinander schlafen, ist die Anzahl von Babys, die an plötzlichem Kindstod sterben, sehr gering. In diesen Ländern wird die deutsche Sitte, Babys und Kleinkinder alleine in ein Zimmer zu stecken, übrigens eher als Kindesvernachlässigung angesehen.

Was halten Sie davon, Babys mit ins Elternbett zu nehmen?

Das kann ich – unter der Berücksichtigung von bestimmten Risikofaktoren - nur befürworten! Besonders stillende Mütter nehmen ihre Babys gerne mit ins Bett. Oder sie bauen ein Bettchen ans Elternbett an, sodass sie das Baby in der Nacht nur etwas näher heranziehen müssen, um es zu stillen, und es anschließend wieder ins Babybett zurücklegen können. Aus diesem Anbau kann später ein eigenes Kinderbett werden, das neben dem Elternbett steht. Es reicht dann in der Regel aus, dass das Baby die Stimme der Mutter hört oder eine sanfte Berührung durch ihre Hand spürt, damit es rasch wieder einschläft.

Was ist der Vorteil?

Auf diese Weise pendeln sich die Schlafphasen von Mutter und Säugling aufeinander ein. Wenn sich das Baby beim Aufwachen bewegt und brabbelt, weckt es die Mutter, nach dem Stillen können beide wieder einschlafen. Die Mütter können am nächsten Morgen oft gar nicht genau sagen, wie oft sie aufgewacht sind oder gestillt haben. Schläft das Baby dagegen in einem eigenen Bettchen im Nachbarzimmer, so wacht die Mutter mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf auf, wenn das Kind laut zu weinen beginnt. Es ist anstrengend und kann ärgerlich machen, aus dem Tiefschlaf geweckt zu werden, aufstehen zu müssen und das Kind zum Stillen anzulegen. Unter solchen Schlafbedingungen sind die Mütter morgens eher erschöpft. Daher ist es empfehlenswert, dass das Baby möglichst in Hör- und Reichweite der Mutter schläft.

Viele deutsche Eltern sind verunsichert, weil sie glauben, dass die Gefahr eines plötzlichen Kindstod erhöht wird, wenn das Kind mit im elterlichen Bett schläft. Was sagen Sie dazu?

Aus Untersuchungen wissen wir: Für das Baby besteht eine größere Gefährdung durch plötzlichen Kindstod im Bett der Mutter NUR DANN, wenn die Mutter Raucherin ist, oder wenn in der Wohnung, in der das Baby lebt, geraucht wird. Weitere Gefahr droht, wenn die Mutter Alkohol trinkt, Drogen oder Medikamente nimmt und dadurch in ihrem Bewusstsein getrübt ist. Ein ungewöhnlich tiefer Schlaf oder eine sehr weiche Matratze (Wasserbett, Sofa) erhöhen ebenso das Risiko, oder das Baby durch Zudecken zu überwärmen.

Was ist besser: Bauch- oder Rückenlage?

Babys sollten grundsätzlich auf dem Rücken schlafen, weil sie in dieser Schlafposition selten einen plötzlichen Kindstod erleiden. Plötzlicher Kindstod tritt öfter ein, wenn das Baby zum Schlafen auf den Bauch gelegt wird, auf einem Kissen oder Fell schläft oder mit Bettdecken zugedeckt wird, unter denen es sich überhitzen oder ersticken kann.

Wenn Eltern ihre Babys trotz der Nachteile in ein eigenes Zimmer zum Schlafen legen wollen, was müssen sie beachten?

Obwohl sie sich von sich aus zum Einschlafen nicht von den Eltern trennen würden, wünschen sich in unserer westlichen Kultur viele Eltern, dass die Kinder lernen, alleine einzuschlafen. Für eine bindungsorientierte Eingewöhnung des Einschlafens bringt die Mutter oder der Vater das Baby mit einem Ritual ins Bett. Rituale sind wichtig, weil sie einen bekannten Ablauf ankündigen. Das Baby erkennt an dem Ritual, was als Nächstes passiert. Wenn die Mutter etwa mit Wiegenlied, Gute-Nacht-Gebet und Spieluhr das Baby ins Bett legt, muss sie die Initiative ergreifen und sich trennen. D. h. die Mutter muss das Kind und das Zimmer verlassen und „Gute Nacht“ sagen.

Sie kann nicht warten, bis das Baby sie aus dem Zimmer schickt, denn das wird kaum passieren. Wenn sie das Zimmer verlassen hat, sollte sie vor der Zimmertür stehen bleiben und lauschen, ob das Baby von selbst einschläft, oder ob es vor sich hin lautiert und erzählt oder nörgelt und zunehmend mehr Stress signalisiert. Wenn es immer lauter nörgelt oder sogar lautstark zu weinen beginnt, sollte die Mutter rasch wieder ins Zimmer gehen, um das Baby zu beruhigen, am besten mit Berührung.

Wie geht eine Mutter dann am besten wieder aus dem Zimmer?

Schließlich könnte sie wieder versuchen, das Baby mit dem bekannten Ritual abzulegen, eventuell ist das Ritual jetzt auf ein kleines Gute-Nacht-Lied verkürzt. Wiederum wird sie sich trennen und das Zimmer verlassen müssen. In der ersten Nacht kann es passieren, dass das Baby viele Male nach der Trennung laut aufheult und die Mutter ruft, so dass diese in das Zimmer gehen und es erneut beruhigen muss.

Was hat das alles für einen Sinn?

Durch dieses Ritual des Gehens und verlässlichen Wiederkommens, wenn das Baby durch Weinen seine Angst zum Ausdruck bringt, erlebt das Baby Folgendes: wenn ich im Dunkeln Angst bekomme und signalisiere, dass ich es nicht mehr aushalte, kommt ganz zuverlässig meine Mama und tröstet mich, nimmt mich sogar auf den Arm und trennt sich dann erneut von mir. Ich kann mich absolut darauf verlassen, das meine Mama in der Nacht, wenn ich aufwache und Angst habe, kommt und mich tröstet. Auf diese Weise lernen Babys über die Zeit, dass sie sich auf die schützende Anwesenheit ihrer Mutter verlassen können. Dies gibt die Sicherheit, auch in der Nacht nicht allein zu sein.

Wenn man so nachgiebig ist, ruft das Baby dann nicht extra oft?

Nein, Babys wollen niemanden ärgern, sie wollen einfach nicht alleine sein. Es ist für ein Baby absolut beruhigend, wenn die Mutter immer wieder mit gleichmäßiger Zuverlässigkeit auf sein Bindungssignal, das Weinen, reagiert. Unter diesen Umständen kann es sich beruhigen. Es weiß, dass die Mutter immer dann kommt, verlässlich, rechtzeitig und gleichmäßig, wenn es Angst signalisiert. Egal ob es nach 10 Sekunden oder nach 20 Minuten weint, die Mutter sollte immer prompt kommen und das Baby immer mit dem gleichen Ritual trösten, ihm die Hand auflegen oder zärtlich den Brustbereich massieren. Bei der Massage spürt das Baby Ruhe und Vertrautheit.

Klingt ganz schön anstrengend …

Ja, diese Form der guten Gewöhnung an das Alleineschlafen kann unter Umständen bedeuten, dass die Mutter anfangs viele Male ins Kinderzimmer gehen muss, bis das Baby schließlich einschläft.

Es ist von enormer Bedeutung, dass das Baby erst gar nicht in größte Panik und Erregung gerät, weil die Mutter dann viel länger braucht, um das Kind wieder zu beruhigen. Die Ergebnisse einer Studie zeigen, dass Babys, deren Mütter gleich auf das Weinen reagieren und sofort ins Zimmer gehen, um sie zu trösten, auf lange Sicht viel besser schlafen. Sie schlafen auch schneller wieder ein als Babys, denen lange Wartezeiten zugemutet werden.

Kann nur die Mama das Kind beruhigen?

Nein, das beschriebene Ritual kann genauso vom Vater durchgeführt werden, damit das Baby aber nicht irritiert wird, sollten sich die Eltern in derselben Nacht nicht ständig abwechseln. Vielmehr sollte das Ritual erst einmal mit einem Elternteil gut funktionieren, bevor der andere Elternteil das Ritual übernimmt. Da diese Eingewöhnung manchmal sehr anstrengend sein kann, empfiehlt es sich, sie an einem Wochenende oder im Urlaub auszuprobieren. Aber zu Hause in der für das Baby vertrauten Umgebung, nicht an einem fremden Ort, weil eine fremde Umgebung, die das Baby nachts beim Aufwachen sieht, zusätzlichen Stress für es bedeuten würde. Geraten Babys nach Trennungsversuchen weiter in Panik und weinen immer wieder auf, ist der Zeitpunkt für eine Trennung, um alleine zu schlafen, einfach noch nicht gekommen.

Muss so viel Stress um das Schlafen wirklich sein? Was würden Sie sich als Kinderpsychiater für Babys wünschen?

Es wäre wünschenswert, über die Schlafrituale deutscher Kinder nachzudenken.
Die Kinder verhalten sich jede Nacht sowieso entsprechend dem von der Evolution angelegten natürlichen Bindungsbedürfnis, sie wollen bei den Eltern sein, dort wo sie Liebe spüren und sicher sind. Es ist zu hoffen, dass Eltern - unter Berufung auf die Bindungstheorie – anfangen, sich offen über die Schlafrituale ihre Kinder auszutauschen, und zwar ohne schlechtes Gewissen. Bis heute befürchten Eltern immer noch sie würden ihre Kinder verwöhnen, sobald sie ihnen gestatten, ins Elternbett zu kommen, wenn sie nachts aufwachen und Angst haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Gabriela Jehn


SAFE
Mehr Informationen zu den von Dr. Brisch initiierten Elternkursen SAFE finden Sie unter www.safe-programm.de SAFE®steht für "Sichere Ausbildung für Eltern" und ist immer auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Kurse möchten Eltern dabei helfen, ihre persönlichen, elterlichen Kompetenzen zu stärken und sie befähigen, eine positive Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen, als Grundstein für die weitere gesunde Entwicklung ihres Kindes.


Buchtipps:

Karl Heinz Brisch

SAFE Sichere Ausbildung für Eltern

Mit SAFE® können Eltern bereits in der Schwangerschaft lernen, feinfühlig, prompt und angemessen auf die Signale ihres Kindes zu reagieren und ihr Baby zu verstehen. Dadurch entwickeln die Babys eine sichere Bindung als stabiles Fundament ihrer Persönlichkeit. Das Buch ist als Begeitung der Elternkurse entstanden, aber auch ohne den Besuch eines Elternkurses gut zu lesen und zu verstehen.

Klett-Kotta, Stuttgart 2014

ISBN: 978-3-608-94601-7

Eine Auswahl an weiteren Büchern von Karl Heinz Brisch:

Karl Heinz Brisch,Schwangerschaft und Geburt, Klett-Kotta, Stuttgart 2013

Karl Heinz Brisch, Säuglings- und Kleinkindalter, Klett-Kotta, Stuttgart 2014

Karl Heinz Brisch, Kindergartenalter, Klett-Cotta, Stuttgart 2015

 
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