Margarete Ostheimer GmbH
Boschstrasse 17
73119 Zell u. A.
Deutschland
Tel.:+49(0)7164/9420-0
„Rapunzel, Rapunzel, lass dein goldenes Haar herunter“, flüstert die Kindergärtnerin, vorsichtig löst sie den langen Zopf aus gelbgoldener Märchenwolle, den sie eigens für die Figur geflochten hat, und lässt die Haarpracht in die Kulisse herabsinken. Lisa und die anderen Kinder sitzen gebannt davor. Sie bestaunen die schöne Gefangene und den großen Holzturm, der in einer märchenhaften Kulisse aus bunten Seidentüchern und einigen Schmuckelementen steht.
Was ist ein Tischtheater?
Tischtheater nennt sich die Märchenaufführung, die in Waldorfkindergärten regelmäßig stattfindet. Dort gehört es zum Alltag, dass die Erzieherinnen über mehrere Tage zur gleichen Zeit ein bestimmtes Märchen erzählen und dazu Figuren durch eine auf einem kleinen Tisch aufgebaute Kulisse wandern lassen.
Hinweis: Kinder brauchen Rhythmus, lieben und leben von Wiederholungen, das wissen nicht nur Kindergärtnerinnen, sondern alle Eltern, die immer wieder die gleiche Geschichte oder das gleiche Märchen erzählen müssen. Märchen sind so reichhaltig und voller schöner Bilder, dass Kinder immer wieder aufs Neue darin versinken können. Je öfter sie ein Märchen hören und je besser sie es kennen, desto reicher wird es in ihrer Fantasie erblühen. Intuitiv fühlen sie die wohltuende Wirkung der Märchenwelt.
Kinder, die Märchenaufführungen erlebt haben, spüren oftmals den Impuls selbst etwas für andere Kinder oder für Erwachsene aufzuführen. Auch wenn es etwas Geduld erfordert, sollten Sie sich die Zeit dafür nehmen.
Die Freude, anderen etwas vorzuführen
Im Gegensatz zum eigenen Spiel mit Babypuppen oder Puppenkindern, bei dem Kinder in ihrer eigenen Welt versinken, brauchen Kinder bei Aufführungen mit kleinen Püppchen oder Holzfiguren ein Gegenüber.
Der Schwerpunkt liegt darauf, dass sie etwas FÜR andere machen, darum wünschen sie sich Zuschauer, am besten gleich eine ganze Schar. Sie registrieren genau, ob diese aufmerksam ihrer Aufführung folgen, und hoffen auf viele „Ahs“ und „Ohs“.
Fantasie ohne Grenzen
Die Geschichten, die Kinder mit den Püppchen oder Holzfiguren erzählen, haben meist nichts mit der gehörten Originalgeschichte zu tun. Je nachdem, welche Spielfiguren ihnen in die Hand fallen, geht der bunte Reigen los.
Julia hält eine Bauersfrau in der Hand, gerade trifft diese auf einen Ritter und gemeinsam gehen sie in den Wald, wo sie einen Drachen vermuten. Stattdessen begegnet ihnen ein schlauer Igel, der ihnen verrät, wie sie an den Schatz kommen. In rasantem Tempo entwickelt Julia eine Geschichte mit vielen unvorhersehbaren Wendungen und kuriosen Auftritten verschiedenster Charaktere. Julias Zuschauer kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Woher nimmt Julia nur all die Ideen? Stolz und freudig nimmt sie das Lob der Zuschauer an.
Fantasie braucht Schutzräume
Kinder tragen ihre Fantasie wie einen verborgenen Schatz in ihrem Inneren. Als Erwachsene sollten wir dafür Sorge tragen, dass Kinder ein Umfeld haben, in dem sie ihre Fantasie entwickeln und äußern können.
Julia hat Glück, sie muss nachmittags nach dem Kindergarten keine Kurse besuchen, sie hat viel Zeit zum freien Spielen mit Spielkameraden, das tut ihr sichtbar gut. Auch ins Kino geht sie noch nicht, die Bilderflut und der aufgeregte Sprachduktus von Animationsfilmen ist nichts für sie.
Eine Märchenaufführung zu Hause
Stattdessen spielen Mama und Papa zu Hause ein Märchen für Julia und ein paar ihrer Freunde vor. Das klingt aufwändig, doch das ist es gar nicht. Dafür brauchen sie lediglich die Hauptfiguren von Julias Lieblingsmärchen „Dornröschen“, einen kleinen Tisch und ein paar bunte Tücher, die, über getrocknete Äste gelegt, eine Landschaft formen. Ein Turm genügt, um das Schloss anzudeuten. Je weniger auf der Bühne steht, umso besser für Julia, denn so kann sie in der Fantasie alles dazu ergänzen.
Weniger ist mehr
Mama spricht das Märchen und Papa bewegt die Figuren dazu. Dabei halten sich beide zurück und vermeiden jede Übertreibung. Die Dornenhecke von Dornröschen kann man mit einem grünen Tuch andeuten, das man über das Schloss hängt. Kinder brauchen keine große Action auf der Figurenbühne, denn weniger Ablenkung und ein ruhiges Bild sind besser für die Entfaltung ihrer Fantasie. Mama trägt das Märchen ruhig und gleichmäßig vor, Papa macht keine Faxen mit den Figuren, sondern führt sie durch die Kulisse und nimmt dann die Hände wieder weg, damit Julia und ihre Freunde sich ganz in das Bild hineinträumen können.
Vorbild sein
Ohne die Anregung von Eltern oder Erziehern werden Kinder nicht auf die Idee kommen, anderen Kindern etwas vorzuführen. Sie ahmen nach, was sie vorgelebt bekommen. Im Kindergarten dürfen die Vorschulkinder manchmal beim Tischtheater helfen. Sie spielen ein paar Töne auf der Laute, während das Schloss und seine Bewohner in hundertjährigen Schlaf versinken. langsam wachsen sie so in das gemeinsame Tun hinein.
Kleinkinder
Während für Kindergartenkinder Märchenaufführungen wohltuend sind, brauchen kleinere Kinder noch viel weniger.
Mit Fingerspielen wie „Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen ...“ oder dem kleinen „Mäuschen“, das am Kinderarm entlang hoch krabbelt und sie am Ohrläppchen zupft, bringt man Kleinkinder zum Lächeln.
Aus einem Finger unter einem Seidentuch, mit einem Schnürchen umwickelt, wird ein „Püppchen“, mit dem man das Kind streicheln und zu ihm sprechen kann.
Natürlich bereiten auch kleine, bunte Püppchen, die man sich auf den Finger steckt, Kindern viel Vergnügen – nötig ist dies jedoch nicht.
Durch einfache Spiele angeregt, werden Kinder später die Initiative ergreifen und selbst mit Puppen und Püppchen spielen.
Das Kasperletheater
Vorschulkindern und Schulkindern macht der Kasper besonders viel Spaß, denn er ist wie sie selbst: ständig in Bewegung, vorwitzig, neugierig, mutig und aufmüpfig.
Besuchen Sie ein traditionelles Kasperletheater. Meiden Sie adaptierte Kasperlegeschichten und modernisierte Märchen. Sie tragen eher dem Geschmack von Erwachsenen Rechnung als den tatsächlichen Bedürfnissen von Kindern. Je einfacher die Geschichte gestaltet ist, desto besser ist sie zu verstehen und umso leichter nachzuahmen.
Eine einfache Kasperle-Geschichte zum Vorspielen zu Hause geht so:
Kasperle wird von der Großmutter zum Einkaufen geschickt, weil sie einen Kuchen backen will. Er zieht mit einem Lied auf den Lippen los. Beim Kaufmann verwechselt er alle Zutaten: 5 Flaschen Butter, 6 Stück Mehl, 1 Pfund Eier – da braucht er die Hilfe der zuschauenden Kinder.
Auf dem Rückweg trifft er ein durstiges Kätzchen, dem gibt er so viel Milch aus seiner Hand bis alles weg ist. Dann trifft er noch den Seppel, der ihn so fest drückt vor Freude, dass gleich alle Eier zerbrechen.
Das Gejammer ist groß! Was tun? Was für ein Glück: Gretel kommt gerade vom Bäckerladen zurück und weiß, dass da der Lehrling krank ist, und dass sie eine Aushilfe brauchen, die das Brot austrägt. Kasperle bietet an zu helfen, macht diesmal fast alles richtig, ist lustig und frech zu jedem Kunden, dem er Brot bringt.
Als Lohn bekommt er einen schönen Kuchen geschenkt, den er statt der Zutaten gerade noch rechtzeitig zur Großmutter bringt. Großmutter staunt und Gretel ist froh, dass alles doch noch so gut ausgegangen ist.
Mehr über Puppenspiele finden Sie in diesem wertvollen Buch:
Freya Jaffke
Puppenspiel
Puppenspiel animiert Eltern und Erzieherinnen durch viele praktische Anleitungen, Fotos und pädagogische Hinweise, Puppen selbst herzustellen und für Kinder kleine Spiele aufzuführen.
Die offene Spielweise des Tischtheaters ermöglicht es dem Kind, jeden Vorgang – und auch den Spieler – zu beobachten und sich zugehörig zu fühlen. Freya Jaffke gibt Tipps zum Aufbau von Spielszenen mit Tüchern und einfachen Requisiten, zur Herstellung verschiedenartiger Puppen sowie zur Aufführungspraxis und Beispiele für geeignete Märchen und Geschichten.
Reihe: Arbeitsmaterial aus den Waldorfkindergärten, Band-Nr. 7
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009, 128 Seiten:
ISBN-13: 978-3-7725-2307-6
Möchten Sie mehr über das Spielen mit Märchenfiguren erfahren? Lesen Sie bitte hier weiter.
Möchten Sie mehr über Kasperletheaterspielen erfahren? Lesen Sie bitte hier weiter.
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