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Jirina Prekop: Kinder brauchen unsere ganze Liebe

„Ein Kind zu erziehen bedeutet vor allem, es in der Besonderheit seines kindlichen Wesens bedingungslos anzunehmen und zu lieben. Erziehung ist Herzensarbeit und Geduld“, meint die bekannte Kindertherapeutin und Pädagogin.

Dr. Jirina Prekop, geb. 1929, arbeitete viele Jahre in einer Kinderklinik in Stuttgart. Sie wohnt in Lindau am Bodensee, ist jedoch meist unterwegs zu Vorträgen und Seminaren. Ihre Erfahrungen mit der Festhaltetherapie gibt sie dabei an Fachleute in aller Welt weiter.

Frau Prekop, war früher für Familien alles einfacher?

Erziehung war früher allein schon deshalb einfacher, weil es mehr Kinder gab. In den Großfamilien konnten sie unter der Obhut aller aufwachsen, voneinander lernen und sich gegenseitig erziehen. Das Spektrum an Wissen, an Fähigkeiten und Fertigkeiten, das sich Kinder damals in den größeren Familien aneignen konnten, war nicht nur breiter als heute. Es war meist auch ausreichend, um sich später als Erwachsene in der damals noch überschaubareren Welt zurechtzufinden. Außerdem boten sich kaum Möglichkeiten, aus dieser Welt auszubrechen und eigene Wege zu gehen. So ist Erziehung über viele Generationen hinweg irgendwie immer gelungen, ohne dass sich jemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht hätte. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich das dramatisch geändert.

 

Was ist heute anders?

Die heutigen Eltern sind die Kinder der 68-er Eltern. Diese haben wenig Grenzen gesetzt. Demzufolge haben ihre Kinder wenig Orientierung mit auf den Weg bekommen und sind deshalb auch nicht in der Lage, ihren eigenen Kindern Sicherheit zu vermitteln. Dies ist der Grund, warum heute viele Kinder so unruhig und haltlos sind. Hinzu kommt: Die Welt, in die Kinder heute hineinwachsen, ist komplizierter geworden. Und das Gepäck an eigenen Kompetenzen, das sie aus ihren immer kleiner werdenden Herkunftsfamilien mitbringen, reicht oft nicht mehr aus, um diese neuen und vielfältigen Anforderungen zu bewältigen. Viele scheitern an dieser Aufgabe, entwickeln unterschiedlichste Formen psychischer, emotionaler oder körperlicher Störungen, werden zu Schulversagern oder erreichen Abschlüsse, die weit unter ihren intellektuellen Möglichkeiten liegen.

All dies ist aber bestimmend für ihre weitere berufliche Entwicklung und oft auch für ihr gesamtes weiteres Leben. Genau das wird heute von Eltern viel stärker als früher wahrgenommen und öffentlich diskutiert. Die frühe Kindheit und die Frage nach der richtigen Erziehung geraten nun immer stärker in den Blick.

 

Was unterscheidet Kinder von uns Erwachsenen?

Kinder sind viel neugieriger und lernfähiger als wir Erwachsene – auch viel offener und unvoreingenommener. Sie sind vertrauensvoller und wahrhaftiger. Und sie stecken voller authentischer Kraft. Ihre Begeisterungsfähigkeit ist größer als unsere. Und fast alles, was sie erleben, spüren sie noch mit ihrem ganzen Körper. Irgendwie kennen sie daher wohl auch ihre wahren Bedürfnisse noch weitaus besser als wir. Und die äußern sie dann auch mit sehr viel mehr Energie. Und noch etwas können Kinder, was uns Erwachsenen allzu häufig abhanden gekommen ist: Ihnen ist es noch ein Bedürfnis – und sie sind bereit, alles, was in ihrer Macht steht, dafür zu tun -, dass es den Menschen, mit denen sie zusammen leben, gut geht. Sie fühlen sich mit den anderen auf eine tiefe und ursprüngliche Weise verbunden.

Können Kinder diese Begeisterungsfähigkeit wieder verlieren?

Jedes Kind kommt mit der Erwartung zur Welt, in der vertrauten Verbindung zur Mutter weiter zu wachsen, Neues hinzuzulernen, um dabei über sich selbst hinauswachsen zu können. Je länger diese Erwartung bestätigt und weiter gefestigt werden kann, desto offener und neugieriger wendet sich das Kind dann auch weiterhin allem Neuen zu. Auf diese Weise wird die Erfahrung, hinzuzulernen und über sich hinauswachsen zu können, so tief verankert, dass sie schließlich zu einem inneren Bedürfnis wird. Die meisten Kinder haben vor und nach der Geburt automatisch all das bekommen, was sie für ihr Wachstum und ihre Hirnentwicklung brauchen: Wärme, Nähe, Zuwendung, Anregungen, Vorbilder und gelegentlich auch Herausforderungen. Erst später kommen dann zunehmend auch andere Erfahrungen hinzu, etwa Gleichgültigkeit der Eltern, Zurückweisung und Liebesentzug. Die inneren Bilder von Sicherheit und Geborgenheit werden überschattet oder verblassen gar bis zur Unkenntlichkeit. Dann erst verlieren Kinder ihre unbekümmerte Neugier, ihre unbegrenzte Offenheit und damit auch ihre Begeisterungsfähigkeit.

 

Kommt bei den vielen Bildungs- und Förderangeboten Wesentliches zu kurz?

Ich befürchte, dass die vielen Förderprogramme und Bildungsaktivitäten in Schulen, Kindergärten und Elternhäusern nicht das bewirken, was man sich davon erhofft. Kinder sind keine Maschinen, die man nur ordentlich schmieren muss, damit sie gut funktionieren. Sie sind erst recht keine Computer, die man richtig programmieren muss, damit man vernünftig mit ihnen arbeiten kann. Was haben all die Bildungs- und Förderungsbemühungen seit Generationen gebracht?

Auf dem Mond sind wir zwar inzwischen gelandet. Aber die Erde haben wir dabei nicht nur in den beiden Weltkriegen zu einem globalen Trümmerfeld gemacht. In gewisser Weise gleicht der jetzige Zustand unseres Planeten dem unserer Seelen: Auch in denen ist vieles von dem, was dort hätte wachsen können, verkümmert oder gar zertrümmert worden.

 

Was ist hier falsch gelaufen?

Über allen Förderprogrammen ist der Bezug zum Wesen kleiner Kinder verloren gegangen. Der Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther, Mitautor eines meiner Bücher, sagt: „Keine Katzenmutter käme auf die Idee, ihren Jungen das Mäusefangen beizubringen, indem sie mit ihnen zunächst das Löchersuchen, dann das Stillsitzen und schließlich auch noch das Zupacken übt. Überall im Tierreich laden die Eltern ihre Jungen liebevoll ein und ermutigen sie dazu, unter ihrer sorgsamen Obhut und kompetenten Anleitung selbst zu entdecken, worauf es im späteren Leben ankommt.“ Für kleine Menschen gilt deshalb besonders: Ohne ein liebevolles Zuhause kann weder Erziehung noch Bildung gelingen. Dies hat auch die moderne Hirnforschung bestätigt. Eltern sollten ihre Kinder für die Welt öffnen, in die sie hineingeboren wurden. Dazu gehört, charakterliche Eigenschaften zu stärken, etwa Ehrlichkeit, Selbstreflexion, Dankbarkeit, Neugier, Offenheit, Achtsamkeit, Liebe zu sich und anderen. Ein Beispiel aus dem Alltag: Da begegnet uns eine alte Dame am Stock. Eltern sollten ihr Kind zu Überlegungen anregen wie: Was könnte der alten Dame helfen oder gut tun? Sollen wir ihr die Tasche tragen, sie bis zu ihrer Haustür begleiten, ein wenig mit ihr reden, weil sie vielleicht sonst niemanden hat? Dazu gehört dann natürlich auch, die Ideen in konkretes Handeln umzusetzen. Eine der wichtigsten Erziehungsaufgaben von Eltern ist die Stärkung des Einfühlungsvermögens bei ihren Kindern.

Sie werden oft „Botschafterin der Liebe“ genannt. Was verbinden Sie mit dem Wort „Liebe“?

Es macht mir Angst, dass die Liebesfähigkeit der Menschen in der technisch zivilisierten Welt von Jahr zu Jahr schwindet. In der Welt der Computer und der Genmanipulation wird es immer kälter. Der Mensch braucht den Menschen scheinbar immer weniger. Er muss sich mit dem anderen nicht mehr so intensiv auseinandersetzen. Jeder hat sein eigenes Zimmer, seine eigenen Unterhaltungsgeräte. Es fehlt der lebendige Dialog. Wir werden mehr und mehr zur autistischen Gesellschaft. Damit ist der Fluss der Liebe gestört.

Wahre Liebe fließt nämlich bedingungslos - trotz aller Vorbehalte und Fehler. Wenn man sich auf sie unter allen Umständen verlassen kann, vermittelt sie Geborgenheit. Die braucht jeder Mensch – und ganz unabdingbar das Kind. Der Wesenskern der Liebe ist die Einfühlung. Ich muss mich im anderen und ihn in mir spiegeln können, mich mit seiner Mimik und seinem Blick, seinen positiven und negativen Gefühlen konfrontieren.

Wenn ein Kind einfühlsam und vorbehaltlos geliebt wird, spürt es: Meine Eltern sind bereit, sich in mich hineinzufühlen. Das macht stark und glücklich.

Frau Prekop, wir danken Ihnen für dieses Interview.

 

 
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